Pseudowissenschaft Homöopathie? Natalie Grams hat sich von der Methode abgewandt. Fragwürdige Heilungsversprechen sind aber hartnäckig, wie die Ärztin lernen musste
Natalie Grams ist Ärztin und ehemalige Homöopathin. Bundesweite Bekanntheit erlangte sie durch ihr Buch „Homöopathie neu gedacht – Was Patienten wirklich hilft“ (2015), in dem sie die Alternativmedizin scharf kritisiert. Ein Gespräch über ihren Sinneswandel, erboste Kollegen und verständnisvolle Patienten.
Sie haben ein kritisches Buch über die Homöopathie geschrieben. Was ist das Problem mit dieser Methode?
Ich war ja lange selbst total überzeugt von der Homöopathie und habe das überhaupt nicht kritisch hinterfragt, weil man eben an dieses Konzept sehr gut glauben kann. Aber wenn man kritisch herangeht und überprüft, ob sie denn wirkt, etwa in klinischen Studien, dann sieht man eben, dass sie nicht besser wirkt als ein Placebo. Und wenn man sich die Mischung anschaut mit dieser sehr großen Verdünnung, dann wird man mit dem Wissen, das wir heute haben, sagen, dass von einer Wirksamkeit gar nicht mehr ausgegangen werden kann. Der Wirkstoff ist einfach wegverdünnt, und da kann man eben nichts anderes als eine Scheinwirkung erwarten.
Sie waren zuerst selbst Homöopathin, dann ist ein Sinneswandel bei Ihnen eingetreten. Was war der Auslöser?
Der Auslöser war eigentlich, dass ich ein Buch schreiben wollte, das die Homöopathie verteidigt. Dafür hatte ich nach Quellen und Belegen gesucht, und habe gemerkt, dass es die über einzelne Erfahrungsberichte hinaus nicht gibt. Es gibt wohl Leute, die von sich selbst sagen, dass die Homöopathie ihnen geholfen hat, oder dass sie in ihrer Praxis Behandlungserfolge hatten. Aber immer, wenn man versucht, systematisch und objektiv zu überprüfen, dann bleibt man diese Belege schuldig. Und ich habe es letztlich unlauter gefunden, meinen Patienten weiterhin etwas anzubieten, das sein Heilversprechen nicht einhält. Das hat letztlich dazu geführt, dass ich die Praxis geschlossen habe.
Sie wehren sich in Ihrem Buch gegen die verbreitete Ansicht, dass Homöopathie eine Alternative zur Schulmedizin sei, es also zwei gleichberechtigte Medizinen gebe. Aber kann es nicht trotzdem sein, dass es eine Heilwirkung gibt, die man bloß noch nicht erklären kann?
Die Homöopathie gibt selbst an, sogar chronische Beschwerden schnell, sanft, dauerhaft und sicher zu heilen. Wenn sie das täte, müsste man das ja irgendwie durch Überprüfungen erkennen können. Und da könnten Homöopathen ja valide Verfahren vorschlagen, die andere auch für valide halten. Das haben sie aber nie getan. Wenn man mit Standardverfahren untersucht, sieht man, dass dieses Versprechen nicht eingehalten wird. Aber Homöopathen behaupten wirklich, eine spezifisch wirksame Arzneitherapie anbieten zu können. Nachweislich tun sie das aber nicht, und dann ist es auch irgendwie fies, da von einer Medizin oder gar Alternative zur Medizin zu sprechen, weil es einfach nicht stimmt.
Wie haben Homöopathen auf Ihre Kritik reagiert?
Eigentlich ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich dachte wirklich, wenn ich die Homöopathie bei so vielen Dingen falsch eingeschätzt hatte, dann ginge es ja sicherlich vielen meiner homöopathischen Kollegen ganz ähnlich. Deswegen habe ich in meinem Buch einen sehr persönlichen, dialogsuchenden Ton angeschlagen. Ich hatte die Hoffnung, wir Homöopathen überlegen jetzt gemeinsam, was wir mit diesem Dilemma machen, dass die Patienten von der Homöopathie in gewisser Weise profitieren und es ihnen guttut, dass es aber keine Arzneitherapie ist. Das hat aber überhaupt nicht in einen Dialog gemündet, sondern nur in Anfeindungen, Beschimpfungen und Abwendungen – zumindest nicht in eine sachliche Diskussion. Das hat mich sehr erschreckt, ist aber bis heute so geblieben. Ein sachlicher, konstruktiver Dialog findet nicht statt.
Haben Ihre Patienten positiver darauf reagiert, dass Sie sich von der Homöopathie verabschiedet haben?
Darauf, dass ich mich verabschiedet habe, nur in Teilen positiv, weil sie natürlich an mir, an meiner Praxis und der Homöopathie hingen. Und weil es den Patienten damit oft auf gewisse Weise besser ging. Ich habe ja versucht, in meinem Buch aufzudröseln, was die Patienten wirklich wollen – z. B. die Zeit, die man mit ihnen verbringt, die Wertschätzung und so weiter. Das hat natürlich vielen Patienten gefehlt, deswegen haben manche mich auch gefragt, ob ich ihnen einen anderen Homöopathen empfehlen könnte, weil sie diese Arzt-Patienten-Beziehung gesucht haben. Aber die Patienten, die das Buch gelesen und die teilweise auch noch einmal mit mir gesprochen haben – „Sind Sie sich wirklich sicher, dass das alles stimmt?“ – die haben dann auch Abstand von der Homöopathie genommen.
Sie sprachen über die Hinwendung zum Patienten und die Zeit, die man mit ihnen verbringt. Das ist die gewisse heilende Wirkung, die Sie homöopathischen Behandlungsmethoden zugestehen. Könnten Sie das näher erläutern?
Ich denke, was von der Homöopathie übrigbleibt, ist, dass wir von ihr lernen können, mit den Patienten besser umzugehen; sie sieht die Patienten eher als Menschen und nicht als Krankheitsbilder. Manche Patienten vermissen es im medizinischen Alltag eben stark, gesehen zu werden – nicht nur mit ihren Symptomen, sondern wirklich als Menschen. Für mich ist auch ein Aspekt, dass viele das Gefühl haben, etwas Sanftes, Natürliches, Nebenwirkungsfreies zu geben, mit dem sie sich oder auch ihren Kindern nicht schaden. Und sie können es auch selbst machen: Viele Mütter geben Homöopathie, ohne beim Homöopathen gewesen zu sein. Das ist, glaube ich, einfach Selbstkompetenz, Selbstverantwortung gegenüber der Erkrankung – was statistisch auch hilft, nachweisbar. Es hilft eben nur nicht, wie die Homöopathie angibt, als Arzneitherapie.
Aber wenn das so ist, wäre es dann nicht legitim, die Behandlungen wie bisher fortzusetzen?
Das habe ich natürlich auch lange überlegt: Einfach eine Art „Psychotherapie light“, eine psychosomatische Gesprächstherapie oder etwas in der Richtung anzubieten. Aber es ist natürlich nicht ganz ehrlich, weil ich meine Patienten darüber aufklären muss, dass es sich nur um ein Placebo handelt. Es gibt natürlich sehr oft eine leichte Placebo-Wirkung, aber eben nicht planbar. Ich hätte dann auch weiter homöopathische Anamnesen abrechnen müssen, aber ich kann ja nicht ein Buch gegen die Homöopathie schreiben und weiter homöopathische Fallziffern abrechnen – das wäre einfach nicht in Ordnung gewesen. Das wäre auch für andere Homöopathen nicht in Ordnung. Es ist eher ein ethisches Dilemma.
Das Gespräch führte Lukas Jung
Lukas Jung studiert Philosophie und Politikwissenschaft. Er schreibt seit SoSe 2018 für den ruprecht – vor allem über Wissenschaft, Investigatives und Stadtentwicklung. Seit SoSe 2019 leitet er das Ressort Wissenschaft. ruprecht-Urgestein.
Danke für die Informationen über die Medizin. Meiner Mutter geht es nicht gut. Ich werde ihr helfen, die Medizin zu finden, die sie braucht.