Viele Katalanen sehnen sich nach der Unabhängigkeit
Katalonien ist im Aufbruch. Die Region im Nordosten Spaniens kämpft um ihre Unabhängigkeit. Um festzustellen, ob ein solches Projekt die Unterstützung des Volkes hätte, wurde am 25. November gewählt. Warum wollen die Katalanen unabhängig werden und wie ist die Stimmung vor Ort? Der 11. September ist katalanischer Nationalfeiertag. Es wird derer gedacht, die 1714 im Spanischen Erbfolgekrieg bei der Schlacht um Barcelona ums Leben kamen. Gleichzeitig ist es eine Feier des Katalanismus. Normalerweise verläuft der Tag ruhig. Man genießt den freien Tag. In diesem Jahr allerdings kamen Menschen aus ganz Katalonien nach Barcelona. Reisebusse brachten Gruppen aus Tarragona, Lleida und Girona. Insgesamt gingen etwa 1,5 Millionen Menschen auf die Straße, um für die Unabhängigkeit der Region im Nordosten Spaniens zu demonstrieren. Dass dieser Wunsch gerade jetzt so stark ist, liegt auch an der wirtschaftlichen Situation. Spanien ist eines der Sorgenkinder der EU, doch Katalonien ist eine ökonomisch starke Region. Viele der großen Firmen haben sich um Barcelona herum angesiedelt. In der Hauptstadt der Region haben Unternehmen wie SEAT, Repsol oder Gallina Blanca ihren Zentrale.
Wegen seiner Wirtschaftskraft zahlt Katalonien jährlich Abgaben von bis zu 16 Milliarden Euro an den spanischen Staat, der jedoch investiert kaum in die florierende Region. Dies sehen viele Einwohner als Grund der hohen Verschuldung Kataloniens an und fordern daher wirtschaftliche Unabhängigkeit von Spanien. Ein katalanischer Polizist sagt: „Wir sind eindeutig die wirtschaftlich stärkste Region. Wir zahlen an Spanien, aber bekommen nichts dabei heraus.“ Am Folgetag der Demonstrationen hielt der Präsident der Region, Artur Mas, eine folgenschwere Rede. Er sagte, er sei stolz, Präsident eines so starken und engagierten Volkes zu sein und kündigte Neuwahlen im November an. Die Unabhängigkeit zu erreichen war nicht Teil des Programms der regierenden Partei CiU (Convergència i Unió, zentral), sodass ihre aktuelle Mehrheit im Parlament nicht aussagekräftig genug sei. Mit den Neuwahlen sollte festgestellt werden, ob die Mehrheit der katalanischen Wähler tatsächlich die Unabhängigkeit anstrebe und ob es genügend Unterstützung für entsprechende Maßnahmen geben würde.
Skepsis bei Aussenstehenden
Vor dem Wahltag, dem 25. November, gab es heftige Diskussionen. Während die Katalanen sich absolut sicher sind, dass die Unabhängigkeit das einzig Richtige für die Zukunft der Region ist, sehen das Außenstehende ganz anders. „Ich wünsche denen, dass sie ihre Unabhängigkeit bekommen. Dann werden sie ja sehen, was sie davon haben“, sagt eine deutsche Studentin sarkastisch. Sie ist überzeugt davon, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Abspaltung, sowohl Katalonien als auch Spanien und die EU betreffend, nicht absehbar sind. „Und ob für ausländische Touristen ein Urlaub in Katalonien genauso verlockend klingt wie ein Urlaub in Spanien, ist fraglich.“ Jedes Jahr wird die Region von Touristen überflutet, denn hier liegt nicht nur die Metropole Barcelona, sondern auch die Costa Daurada und die Costa Brava, die besonders von deutschen und englischen Abiturienten gerne besucht werden. Doch nur wenige beschäftigen sich mit der Kultur und Sprache der Region: „Wir sind in manchen Bereichen das kulturelle Gegenteil der Spanier. Der Süden Spaniens ist bekannt für Siesta und Party. Hier kennt man uns für Zielstrebigkeit und Unternehmergeist. Außerdem haben wir eine eigene Sprache, für deren Erhalt wir bis vor Kurzem kämpfen mussten.“
An Schulen und Universitäten ist, mit wenigen Ausnahmen, Katalanisch die Unterrichtssprache. Austauschstudenten sind davon immer wieder überrascht und verärgert. Oft kamen sie her, um spanisch zu lernen, nicht diese scheinbar nutzlose Sprache. Doch gerade diese ist den Katalanen wichtig. Unter General Franco war es verboten, auf den Straßen oder in öffentlichen Einrichtungen Katalan zu sprechen, Kinder mussten spanische Namen tragen. Heute merkt man, dass man sich natürlich mit jedem auf Spanisch unterhalten kann, es einem allerdings gedankt wird, wenn man wenigstens ein paar Fetzen Katalanisch nutzt. „Wir sind die Dummen. Die ganze Zeit übersetzen wir ins Spanische. Kein Wunder, dass viele Leute, die hierher ziehen, gar kein Katalanisch lernen wollen. Sie brauchen es ja nicht“, sagt eine Krankenschwester aus der Kleinstadt Reus. Es werden sogar kostenlose Sprachkurse angeboten, doch die Nachfrage ist gering, denn viele halten diesen Teil des katalanischen Stolzes für „Nationalismus“, „Engstirnigkeit“ oder „völlig übertrieben“. Doch eine Sprache hat immer auch eine verbindende Funktion. Sie ist es zu einem großen Teil, die Katalanen zu Katalanen macht.
Nur eine knappe Mehrheit
Dem Wahltag wurde mit Spannung entgegengefiebert. Einige Familien versammelten sich vor dem Fernseher, um diesen möglicherweise historischen Tag gemeinsam zu erleben. Erster Aspekt der Wahl war die Bestimmung einer neuen Regierung oder die Bestätigung der Aktuellen. Die Regierungspartei CiU büßte zwar einen Teil ihrer Wählerstimmen ein, doch ist sie immer noch Mehrheitspartei.
Noch ist kein Koalitionspartner gefunden, die Gespräche laufen. Wahrscheinlichster Partner ist die ERC (Esquerra Republicana de Catalunya, links), doch gibt es Diskussionsbedarf in der sozialpolitischen Ausrichtung der neuen Regierung. Der zweite, vielleicht wichtigere, Aspekt der Wahl war jedoch das Verhältnis derjenigen Parteien, die für die Unabhängigkeit stehen, und derer, die ihr entgegen stehen. Mit knapper Mehrheit sprach sich das Volk für die Unabhängigkeit aus. CUP (links), ERC, CiU und ICV-EUiA (Iniciativa per Catalunya Verds – Esquerra Unida i Alternativa, grün) erhielten 87 von 135 Sitzen. Dieses Ergebnis ist nicht so eindeutig, wie sich Präsident Artur Mas das gewünscht hatte. Doch es zeigt die Richtung für die nächsten Schritte an: Sobald die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sind, werden weitere Maßnahmen ergriffen. Normalerweise wird eine Entscheidung wie die für die Unabhängigkeit vom katalanischen Volk durch ein Referendum getroffen. Doch dies muss durch die spanische Regierung genehmigt werden. Mas kündigte an, ein Referendum auch ohne diese Genehmigung durchzuführen und als gültig anzusehen.
Der Prozess wird sicher noch lange andauern, und es wird spannend werden, zu sehen, wie sich die Katalanen entscheiden, aber auch, was dies für die EU (und somit indirekt für Deutschland) bedeutet. Als wirtschaftlich starkes Land wäre Katalonien ein interessantes Mitglied für die EU, doch wurde bereits verkündet, dass ein Land, das sich von einem EU-Staat abspaltet, nicht automatisch Mitglied der Union werde, sondern die offiziellen Prozesse durchlaufen müsse. Die Frage der Unabhängigkeit bleibt also weiterhin ungeklärt. Die Meinungen darüber, ob sie eine gute Idee ist, gehen weit auseinander. Ein niederländischer Übersetzer, der seit mehreren Jahren in Barcelona lebt, fasst seine Meinung zusammen: „Wenn die unabhängig werden, bin ich hier weg.“
von Claudia Pollok aus Barcelona (Spanien)