Wie Studenten in Heidelberg den Schritt in die Selbstständigkeit wagen
Bill Gates hat es getan. Steve Jobs hat es getan. Und Lady Gaga auch. Alle vernachlässigten ihr Studium. Statt Partys, Kaffee trinken oder in der Bib zu flirten, verfolgten sie lieber ihre eigenen Pläne. Doch wie gestaltet sich der Alltag eines Studenten, der sich selbstständig macht? „Ich hoffe, ihr haltet uns nicht für Perverse“, ist der erste Satz, der aus Sohils Mund kommt. Wir treffen ihn in einem Café gegenüber vom Campus Bergheim. Zwischen einer Mutter mit Kind, einem Pärchen beim ersten Date und einem Professor, der in Ruhe Zeitung lesen will, unterhalten wir uns über Sportkamasutra. „Ich finde es ein bisschen schade, dass nicht mal unsere Freunde die App auf Facebook liken wollen. Nur weil ihre Eltern das auch sehen würden“, beklagt sich Sohil, „betrunkene Party-Fotos sehen Mama und Papa schließlich auch.“ Dass sein Geschäftskonzept nicht unbedingt familienfeiertauglich ist, nimmt er jedoch mit Humor.
Aus einer Bierlaune heraus entstand mit seinen Freunden die Idee, eine Sportkamasutra-App zu programmieren. Schon öfter hatten sie über unterschiedliche Geschäftsideen gegrübelt. „Den schwachsinnigsten Einfall wollten wir umsetzen“, so der Soziologie-Student. Eine App, die anzeigt, welche Muskelpartien bei bestimmten sexuellen Stellungen beansprucht werden – und diese sogar nach Sportarten kategorisiert – gehörte definitiv dazu. So amüsant die trunkene Idee auch gewesen sein mag, so ernst stellte sich ihre Umsetzung heraus.
Den Aufwand, eine App zu etablieren, hatten sich die Studenten geringer vorgestellt. „Hätten wir vorher gewusst, wie stressig das ist, hätten wir uns das zweimal überlegt“, gesteht der 27-Jährige. Denn mit der Gründung einer Unternehmergesellschaft fing die Arbeit erst an. Um Geld zu sparen, holte sich das achtköpfige Team bei der praktischen Umsetzung keine externe Unterstützung. Während ein befreundeter Informatiker die App programmierte, Sohil als nebenberuflicher Fitnesstrainer die Muskelpartien bestimmte und ein Freund die Grafiken und Zeichnungen anfertigte, übersetzten einige Freundinnen die Texte in fünf Sprachen. Seit Oktober ist die App im Google Play Store erhältlich. Ungefähr ein Jahr nach dem feuchtfröhlichen Abend. Rund 3500 Euro haben die Studenten bisher in ihre Sportkamasutra-App investiert. Daran verdient haben sie noch nichts. Auch deshalb hört die Arbeit, insbesondere auf der Marketing-Ebene, nicht auf, worunter mitunter auch das Studium zu leiden habe. So stressig ist es bei den Heidelberger Ideen noch nicht. Die harte Realität, mit der Sohil zum Teil zu kämpfen hat, verweilt hier in Gedankenspielen. Einmal die Woche treffen sich im Campus Bergheim Studenten aller Fachrichtungen, um sogenannte „Ideenrunden“ abzuhalten. Hier hat das Brainstormen Struktur. Die Studenten schreiben ihre Ideen auf Zettel und diskutieren diese in Kleingruppen. Im Fokus steht dabei deren Umsetzbarkeit. Welche Hürden können auf einen zukommen? Wo liegt noch Recherchebedarf?
„Der Verein selbst führt keine Projekte durch“, erklärt Vereinsvorsitzender Hendrik. „Es funktioniert leider oft nicht, wirklich in die Tiefe zu gehen.“ Dennoch steckt hinter dem Verein mehr als der Name suggeriert. Zwei Ausgründungen gibt es bereits. Obwohl die Heidelberger Ideen erst seit anderthalb Jahren existieren.
„Junge Gründer brauchen einen Businessplan“
Noch fehlt den Studenten das geeignete Know-how, um Unternehmensgründungen zu forcieren. Das soll sich ändern. „Zurzeit arbeiten wir an Strukturen, damit Ideen auch realisiert werden“, so Hendrik. Bisher verstauben die meisten Gedanken im Protokoll. Im kommenden Semester soll in Kooperation mit dem Gründungsmanagement der Universität Heidelberg ein Gründungscafé entstehen. Dort werden Laien mit Experten zusammenkommen, um ein Netzwerk zu etablieren. Zu diesem Netzwerk gehört auch Raoul Haschke. Seit Anfang Dezember ist der Physiker und promovierte Astronom als Gründungsmanager der Uni tätig. Da sein Studium nicht lange zurückliegt, kann er sich noch gut in die Perspektive von Studenten hineinfühlen. Seine Aufgabe ist es, Studenten auf dem Weg in die Selbstständigkeit zu beraten.
„Angenommen, jemand will von den Einnahmen seines Unternehmens leben und hat eine ungefähre Vorstellung davon, wie viel er verdienen will. Sagen wir, 2000 Euro netto im Monat; dann bedeutet es, dass dieser Gründer 5000 Euro im Monat verdient“, erklärt Haschke und ergänzt: „Bei drei Leuten im Team sind das Gehaltszahlungen von 15 000 Euro im Monat. Ob diese Summen mit der vorgeschlagenen Idee realisierbar sind, versuche ich mit den Gründern im Gespräch abzuschätzen.“
Darüber hinaus informiert er auch über Fördermöglichkeiten. Jungunternehmer haben unter anderem die Möglichkeit, sich um Stipendien zu bemühen. Dazu gehören Programme wie „Exist“ oder das Landesprogramm „Junge Innovatoren“. Mitunter erhalten Unternehmer bis zu 100 000 Euro. Etwas Bürokratie mag manche abschrecken, gehört aber dazu: „Junge Gründer brauchen einen Businessplan. Für Exist muss man ein Ideenpapier einreichen – und das ist schon ein halber Businessplan“, bekräftigt Haschke. „Ob es sich lohnt, die Formulare dafür auszufüllen, schätze ich im Gespräch mit erfahrenen Coaches ab.“
„Es ist nicht schwer, sich selbstständig zu machen“
Diese Beratung hat Felix Baumeister nicht gebraucht, gehört hatte er bisher allerdings auch nicht davon. Der 21-Jährige hat eine Marktlücke entdeckt: „Im letzten Sommer gab es in Bergheim eine Fahrradauktion. Da fiel mir auf: Nirgends in Heidelberg sonst kann man Fahrräder unter 100 Euro kaufen.“ Im Oktober beschloss er, defekte Fahrräder zu erwerben, sie zu reparieren und selbst kostengünstig wieder zu verkaufen. Die Räder repariert und lagert er in der Tiefgarage seiner Wohnung. Seine Wohnung sieht er als Büro. Als Fahrradspezialist will er sich nicht bezeichnen. „Anfangs konnte ich nur Schläuche wechseln und Bremsen einstellen“, erklärt er. „Aber viel kann man sich auch übers Internet aneignen.“
Die Anmeldung seines Unternehmens war unkompliziert: „Es ist gar nicht so schwer, sich in Deutschland selbstständig zu machen: Alles, was man braucht, ist ein Personalausweis und eine Idee.“ Werbung gehört natürlich auch dazu: Ein Freund erstellte die Website, seine Facebook-Seite sendete er an Freunde, die ihn wiederum weiterempfahlen. Auch Flyer und Visitenkarten habe er drucken lassen, sowie Kugelschreiber; vieles laufe jedoch durch Mund-zu-Mund-Propaganda.
Unterschätzt hatte er anfangs, wie viel Zeit es bedarf, eine Internetseite auf dem Laufenden zu halten. Auch an Garantiefälle hatte er bei der Anmeldung seines Gewerbes zunächst keinen Gedanken verschwendet: „Den Einfall hatte ich erst, als die Leute mit einem kaputten Rad zurück zu mir kamen.“ Mit so einem hohen finanziellen Aufwand hatte er auch nicht gerechnet. „Ich habe anfangs 20 Räder gekauft, das ging schon ganz gut ins Geld“, gibt Felix zu.
Sein kleines Unternehmen sei relativ leicht mit dem Studium vereinbar und scheint die perfekte Alternative zum Nebenjob: „Die Kunden kommen zu mir, wenn ich Zeit habe. In Prüfungszeiten mache ich weniger, in den Semesterferien mehr für meinen Fahrradladen. Worauf ich achten muss, ist, dass nicht alles ausverkauft ist.“ 20 Fahrräder hat er schon verkauft, mit seinem Handel macht er bereits Gewinne.
Zu seinem trockenen VWL-Studium sei sein Fahrradhandel ein toller Anreiz, um in die Wirtschaft einzusteigen. „So macht das Studium viel mehr Spaß und man lernt auch mal die andere Seite kennen.“ Er würde es sich wünschen, dass die Uni junge Leute bei ihren Ideen unterstützte, gerade VWL-Studenten erleichterte dies das doch sehr praxisferne Studium.
Haschke hat viele Pläne
Auch Sohil hätte sich etwas Unterstützung von der Uni oder ein Netzwerk von weiteren studentischen Jungunternehmern gewünscht. Das Gründungsmanagement war auch ihm unbekannt. Dass die Uni bei der studentischen Unternehmensgründung in Heidelberg keine große Rolle spielt, bestätigt die Studie „Vom Studenten zum Unternehmer: Welche Universitäten bieten die besten Chancen?“ von 2011. In dem Ranking belegte Heidelberg von 64 untersuchten Hochschulen Platz 60.
Möglicherweise ändert sich das bald, denn Haschke hat viele Pläne. Zum einen will er das Gründungsmanagement in sozialen Netzwerken und mit Hilfe von Plakaten bekannter machen, zum Anderen hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Enterpreneurship-Lehre in Heidelberg auszubauen.
Bisher beschränkt sich das Angebot zum Thema Unternehmensgründung auf drei Lehrveranstaltungen pro Jahr in drei Studiengängen. „Die Uni sieht ihren Schwerpunkt nicht im Gründerbereich. Das möchte sie lieber anderen Unis überlassen“, erklärt Haschke. Aus seiner Sicht sei es neben der Forschung Aufgabe der Hochschulen, auf den späteren Beruf vorzubereiten: „Existenzgründung und Selbstständigkeit ist ein möglicher Karriereweg und da gehört es an der Uni dazu, Möglichkeiten aufzuzeigen und entsprechendes Handwerkszeug mitzugeben.“
Das Gründungscafé soll nur ein Weg sein, um dies zu ermöglichen. Haschke zeigt sich diesbezüglich verhalten optimistisch. Die Grundeinstellung der Uni bezüglich des Gründungsbereichs ändere sich zurzeit ein wenig. „Man realisiert, dass es hier auch Möglichkeiten gibt, mit Ausgründungen Geld zu verdienen. Das ist ein langwieriger Prozess. Erfolgreiche Gründungen helfen dabei, die Unileitung zu überzeugen.“
Studie: „Vom Studenten zum Unternehmer“
Die vom Bund geförderte Studie des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeografie und Tourismusforschung der LMU München untersucht alle zwei Jahre die akademische Gründungsförderung an deutschen Hochschulen. Die Grundlage des Rankings sind acht Kriterien. Die Universität Heidelberg gehört zu den Hochschulen mit dem größten Punkteverlust. Die Autoren der Studie bemängelten insbesondere das spärliche Angebot von Lehrveranstaltungen zum Thema Unternehmensgründung. Zudem beobachteten sie einen rückläufigen Trend bezüglich der Kommunikation bestehender Angebote.
von Annika Kasties und Corinna Lenz