4 von 5 rupis: Die Rückkehr des Antipop
Chart- und Popmusik wischt mit den Grenzen der Musikgenres scheinbar den Boden auf. Das Resultat ist oft ein einziger harmonistischer Dudelbrei, der jedem gefallen soll. Jenseits der Pubertät schläfert dieser aber häufig nur noch ein. Bjørn Berge ist dazu das Gegenprogramm.
Geboren wurde Berge am 23. September 1968 in Sveio in Norwegen. Bevor Berge 1997 Berufsmusiker wurde und sein erstes Album „Bjørn Berge“ erschien, arbeitete er als Mechaniker auf den Nordsee-Bohrinseln. Über diese Zeit sagt er: „Ich habe zwar nie unter der sengenden Sonne der Dixie-Plantagen gearbeitet, aber ich kann ein Lied von der Kälte auf den Bohrinseln an stürmischen Tagen singen.“ Das rauhe Klima schlägt sich in Berges Musik auch noch in seinem 14. Album nieder. Nicht nur in der rauchig-harmonischen Stimme hört man den Menschen Bjørn Berge, der gerade aus seinen Emotionen und Erfahrungen seine Kraft zieht. So sehr, dass er in Norwegen schon vor zehn Jahren vollends überzeugte: 2001 und 2002 wurde er mit dem Spellemannprisen, dem norwegischen Pendant zum Grammy, für seine Alben „Stringmachine“ und „Illustrated Man“ geehrt.
Berges Stil: Der Antipop
Rauchig, markig, hart und erst auf den zweiten Blick melodisch wohlgeformt. Das sind keine Attribute, mit denen man mit den ganzen Rihannas, Lady Gagas oder Katy Perrys konkurrieren kann. Ein Star wird man damit nicht. Damit geht Berge auf seine eigene Weise um: Scheinbar vermessen nennt Berge sich selbst in einem Stück den „Antipop“: Berge setzt sich in seinem Album „Mad Fingers Ball“ auch über Genre-Grenzen hinweg, aber doch völlig anders als Popmusiker: Seine Musik verkommt nie zu einem musikalischen Einheitsbrei ohne Handschrift. Über seine Musik sagt Berge selbst im Album-Booklet zu seinem vorherigen Album „Blackwood“: „Ob es sich um Rock, Jazz, Blues, Folk oder Funk handelt, das ist mir egal. Hauptsache, ich bin fähig, es meiner eigenen Sprache, meinem eigenen Stil anzupassen.“ Und das, obwohl in „Mad Fingers Ball“ sieben von zwölf Songs Cover-Versionen sind. Dabei zeigt er eindrucksvoll: Ein Cover ist bei entsprechendem Können keine schlechtere Kopie des Originals. Zu hören ist dies in seinem ersten Lied „Honey White“, das von der Band Morphine stammt:
Honey White“ vs. „I can’t quit you Baby“: Wollust und Melancholie
Morphines Darbietung mit dem Saxophon klingt stumpf. Während der Sänger hier dagegen nicht ankommt, gelingt Berge ein Spagat: Er wirft seine tiefe rauchige Stimme in die Waagschale und interpretiert dieses Stück mit seiner Gitarre rockig und hämmernd mit dem Tempo eines D-Zuges neu. Das fasziniert, unterhält, gefällt, aber strengt den Zuhörer auch gleichermaßen an. Umso länger man Berges Interpretation genießt, umso größer wird der Wunsch nach einem ruhigeren, leiseren und langsameren Song.
Diesen Wunsch bedient Berge perfekt: Just in dem Moment, in dem „Honey White“ lästig würde, wechselt er zu „I Can’t Quit You Baby“, dem längsten und ruhigsten Song. Ging es in „Honey White“ um die Wollust und Leidenschaft in einer frischen Beziehung, ist „I Can’t Quit You Baby“ der melancholisch-traurige Gegenentwurf. Das bestimmende Thema ist hier die Tristesse des Alltags, die eingekehrt ist. Daher ist nun eine Beziehungspause notwendig geworden.
Berge als Ein-Mann-Band
Was man in Berges Videoclips sieht: Er spielt hier den Bass und die Gitarre gleichzeitig – auf seiner Gitarre! Was normalerweise zwei Musiker mit zwei Instrumenten leisten, erledigt Berge also mit einer Hand. Berge ist also im wahrsten Sinne des Wortes eine Ein-Mann-Band. Der Bluesmusiker Robert Johnson ist hier für Berge das Vorbild.
Seine Virtuosität auf der Gitarre droht aber oft im Schatten seiner ausdrucksstarken Stimme zu stehen. Dessen ist sich Berge offenbar selbst bewusst. Deswegen sind die fünf weiteren Stücke, allesamt von ihm selbst komponiert, reine Instrumentalstücke. Dazu gehört der dritte Track „Mad Fingers Ball“, nach dem das Album benannt ist. Tempo, Lautstärke und Rhythmus stellen hier zwischen den ersten beiden Stücken den Mittelweg dar, der den Hörer wieder an flottere, dynamischere Songs heranführt.
„Mad Fingers Ball“: Krachend und ruhig
Dieses Spiel gelingt im ganzen Album perfekt. Das I-Tüpfelchen des Albums ist vielleicht das Instrumentalstück „Heavy Mental“, in dem er ironisch sein Spiel mit den Genregrenzen aufgreift. „Heavy Mental“ hat mit Metal aber nichts gemeinsam, sondern präsentiert sich als schwungvolle, aber doch ruhige Entspannungsmusik. „Mad Fingers Ball“ ist also für alle Liebhaber von gutem, markigem und vielfältigem Blues sowie für Fans von Virtuosen und rauchigen Stimmen das perfekte Album.
von Ziad-Emanuel Farag