Am 17. Mai und 17. Juli 1933 wurden auf dem Heidelberger Universitätsplatz Bücher verbrannt. Genau 80 Jahre später fand am vergangen Mittwoch auf demselben Platz ein Smartmob statt, um daran zu erinnern. 200 Menschen kamen aus allen Altersgruppen zusammen – Organisator Dietrich Harth von der Bürgerstiftung ist dennoch nicht zufrieden.
Während viele Gedenkveranstaltungen so ablaufen, dass sich die Besucher sehr lange berieseln lassen, ist ein Smartmob grundlegend anders: Die Teilnehmer sind hier nicht zum bloßen Zuhören aufgerufen, sondern sie gestalten die Veranstaltung mit. Wie viele Menschen teilnehmen ist im Vorfeld nie abzusehen. Damit ist ein Smartmob vielleicht das beste Format für diesen Anlass, denn schließlich gedenkt man der Opfer am besten, wenn sich die Bürger unserer Gesellschaft aktiv dafür einsetzen, dass sich so etwas nicht mehr wiederholt. In Zeiten, in denen sich hierzulande eine zunehmende, entpolitisierte und karrieristische Konsumgesellschaft bildet, die trotz politischer Krisen innerhalb Deutschlands wie den NSU-Morden oder dem Spähprogramm Prism erschreckend ruhig bleibt, umso wichtiger.
Vor dem 17. Juli sollten sich daher alle, die kommen wollten, von Autoren Texte heraussuchen, die am 17. Mai und 17. Juli 1933 verbrannt wurden, um sie selber vorzulesen. Dazu sollten sie ein Schild anfertigen oder ein Plakat, auf dem zu lesen ist, welchen Autoren sie zitieren. Gerade vergessene Autoren kam man dadurch wieder ins Gedächtnis rufen.
Brecht machte den Anfang:
Und ihr Anstreicher strich die Sprünge im Haus mit brauner Tünche zu
Und sie schalteten alles gleich.
Und wenn es nach ihnen ginge, dann wären wir auf du und du:
Sie dachten, da springen wir gleich!
Wir müssen es nur toll treiben, sagten sie
Dann können wir wundervoll bleiben, sagten sie
Und uns bauen ein drittes Reich.
Gut, das sagen die Äste
Aber der Baumstamm schweigt.
Mehr her, sagen die Gäste
Bis der Wirt die Rechnung zeigt.
(Aus: Die Ballade vom Baum und den Ästen, Bertolt Brecht)
Trotz 200 Teilnehmern ist Dietrich Harth unzufrieden
Die Veranstaltung begann um 17 Uhr auf dem Universitätsplatz. Laut Dietrich Harth fanden sich circa 200 Menschen aus allen Altersgruppen auf dem Universitätsplatz ein. Zu Beginn wurde Brechts Ballade vom Baum und den Ästen vorgetragen. In diesem Text stellen die Äste die Nationalsozialisten dar, die sich nur aufgrund der Passivität des Baumstamms, also der kollaborierenden Gesellschaft durchsetzen konnten und damit zugleich auch ein Problem der heutigen Gesellschaft benennt: Eine Demokratie mit ihren Grundrechten droht in dem Moment einzugehen, wenn sich keiner mehr für sie interessiert.
Anschließend wurde Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ verlesen, bevor im anschließenden Hauptteil alle ihre Texte zeitgleich vorgetragen haben. Dazwischen lasen immer mal wieder Schüler einzelne Gedichte vor. Insgesamt dauerte die Veranstaltung 45 Minuten. Es waren einige Heidelberger Schulen beteiligt, wie zum Beispiel das Hölderlin-Gymnasium, von dem einige Schüler ein Video über die Bücherverbrennung gedreht haben.
Neben der Bürgerstiftung waren unter anderem auch die Heidelberger Fachschaftskonferenz und „Rotaract„, die Jugendorganisation der Rotary Clubs, beteiligt. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lothar Binding war auch anwesend und sehr erfreut darüber, dass circa 40 Prozent der Teilnehmer Studenten und Schüler waren. Dietrich Harth war jedoch mit der Teilnehmerzahl von 200 Personen in Heidelberg und insbesondere dem studentischen Zulauf nicht zufrieden.
„Vorbereitet wurde der Smartmob durch zeitaufwändige Besuche in vielen Heidelberger Schulen, mit Verteilung von Hunderten von Handzetteln in den Mensen und ausgedehnten Gesprächen mit den Studierenden, mit einem Aufruf in der Rhein-Neckar-Zeitung und so weiter. Gemessen am Aufwand war die Beteiligung bescheiden. Man kann vergleichen: In vielen anderen Städten wurden insbesondere dem Gedenken an die Bücherverbrennungen riesige Veranstaltungsprogramme gewidmet. In Heidelberg wird die braune Vergangenheit gerne verdrängt.“
Viele Studenten gehen einfach vorbei
Wenn man sich das Video der Website stattfernsehenhd.de anschaut, wird klar was Dietrich Harth meint: Der Universitätsplatz war recht leer. Obwohl der Smartmob an einem geschichtsträchtigen Ort wie Heidelberg stattgefunden hat, wo Joseph Göbbels promoviert hat, obwohl sich die Bücherverbrennung zum 80. Mal jährte, gehen insbesondere sehr viele Studenten auf dem Weg in die Neue Universität einfach daran vorbei. Dabei war doch 1933 die Nationalsozialistische Studentenschaft maßgeblich an den Verbrennungen beteiligt. Insofern sollte es gerade das Ziel heutiger Studenten sein, zu zeigen, dass man dies entschieden verurteilt. Die Studenten bleiben nicht stehen.
Der Grund zeigt sich schnell, wenn wir als studentische Nachwuchsjournalisten vor der eigenen Tür kehren: Ursprünglich wollten wir zu zweit vor Ort sein. Da sich bei einem von uns ein Geschäftstermin verschoben hat, blieb er jedoch fern. Wir können uns dieses Verhalten nochmal uns selbst gegenüber schön reden, wir müssen arbeiten, studieren, Geld verdienen. Aber genau darin liegt das Problem: Als einer von uns vor die Wahl gestellt wurde, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren und an diesem wichtigen Smartmob mitzuwirken oder ein paar Euro zu verdienen, fiel die Entscheidung schnell zugunsten des Geldes. Smartmobs haben die schöne Eigenschaft, sich nicht einfach in die Tagesordnung zu fügen. Sie durchbrechen sie für ein politisches Signal, doch sind die Ignoranz und Entpolitisierung so groß, dass einer von uns bei sich selbst damit noch auf Granit beißt, weil er letztlich doch andere Prioritäten hatte. Aber: Darf man in so einem Fall andere Prioritäten haben? Eine solch geringe Resonanz zeigt jedenfalls, wie wichtig solche Veranstaltungen sind. Nächstes Jahr soll es wieder einen Smartmob geben. Dann wird jeder wieder selbst entscheiden müssen, ob ihm das wichtig ist oder nicht.
Doch nicht nur die Studenten glänzten durch Abwesenheit: Dietrich Harth lud auch die Dozenten des Germanistischen Seminars ein, an dem er als Professor früher selber lehrte. Auch sie fehlten laut Harth komplett. Angesichts dessen, dass besonders literarische Werke wie die von Brecht zu den verbrannten gehörten, ist das doch sehr überraschend.
Der Zulauf war also von vielen Seiten zu gering. Umso besser ist es jedoch, dass sich trotz einer zu großen Ignoranz 200 Menschen hierfür zusammengefunden haben und sich nicht beirren ließen. Zudem wurden auch 300 Euro Spenden für die Initiative „Writers in Prison“ des PEN-Zentrums gesammelt, die aktuell verfolgte Schriftsteller unterstützt.
von Ziad-Emanuel Farag und Jakub Szypulka