4 von 5 rupis: The Importance of not being Ernest
John Grant ist bis dato eher für Alternative Rock (als Frontmann der Czars) und 70er Soft Rock (mit seinem Solodebüt „Queen of Denmark“) bekannt. Auf seinem neuen Album „Pale Green Ghosts“ erweitert er seine musikalische Palette um dunklen Electronica. „Pale Green Ghosts“, der beeindruckende Opener des gleichnamigen Albums, beginnt mit Drive‘schem Minimalismus und durchlebt im Laufe seiner sechs Minuten Momente voller Woodkid-Pathos, Gloria und Unbehagen. Es ist der standout track des Albums, die Art Single, die Fans und Kritiker dreimal nachschauen lässt, ob es sich wirklich um denselben Musiker handelt, der so zarte Songs wie „Fireflies“ geschaffen hat.
Zusammen mit „Blackbelt“, seinem lockereren und tanzbareren Gegenpart, ist „Pale Green Ghosts“ auch das erste Stück, das Grant mit Biggi Veira von der isländischen Electro-Band Gus Gus aufgenommen hat. Diese Zusammenarbeit zieht sich durch das ganze Album – die Hälfte der Lieder ist Electro(pop), der Rest zumindest mit Synthesizern unterlegt. Wo keine Elektronik herrscht, verfällt Grant in gewohnte Soft Rock Muster. Was den Songs gemeinsam ist, sind die Texte, die sich wie schon auf „Queen of Denmark“ um Grants Privatleben drehen. Mal provokant, meist sardonisch, singt er von sehr persönlichen Themen: seiner Homosexualität, seiner religiösen Familie, einer in die Brüche gegangenen Liebesbeziehung. Sein größter Trumpf ist dabei sein beißender Humor. Durch sarkastische Kommentare in ansonsten tieftraurigen Texten hält der bärtige Amerikaner seine Hörer immer in der Schwebe zwischen Lachen und Weinen.
Oft wirkt er dabei von Selbstzweifeln zerfressen, etwa auf „Why Don’t You Love Me Anymore“: „I am ashamed ‘cause I don’t know myself right now / and I am 43.“ Oder auch: „I still keep trying to figure out how I became irrelevant.“ DieFrankfurter Rundschau hat Grant unlängst als „Kammersänger des Masochismus“ bezeichnet – besser kann man es kaum sagen. Der Einzige, der dieser Beschreibung noch etwas hinzuzufügen hat, ist der Kammersänger selbst. Auf dem Kraftwerk-meets-Bonaparte-Tanzhit „Sensitive New Age Guy“ singt er: „She had a special way of preaching glamour mixed with doom.“ Wenn auch ungewollt, trifft Grant damit den Kern seiner eigenen Musik. Der Cocktail aus Tanz, Trauer, hellen „Any Colour You Like“-Synths und dunklen Industrial-Anleihen („Why Don’t You Love Me Anymore“) ist im besten Sinne verstörend.
Unbeständigkeit ist zugleich jedoch die größte Schwäche von„Pale Green Ghosts“. Fast jeder Song ist einzeln betrachtet ein kleines Meisterwerk – doch wo ist das Gefühl eines großen, meisterhaften Albums? Nach den ersten zehn Minuten kaltem Electropop kommt der Temperatursturz zu warmem Soft Rock einfach zu krass. Der Tiefpunkt liegt im Wechsel von „Ernest Borgnine“, einem weiteren Höhepunkt, das an den potentiell homophoben, letztes Jahr verstorbenen Schauspieler adressiert ist, zu „I Hate This Fucking Town“ – da hilft auch der ironische Walzertakt in letzterem Lied nicht viel. Bei jedem zweiten Song schlägt die Stimmung um und Grant seinen Hörern auf den Magen. „Pale Green Ghosts“ ist am besten in Häppchen zu genießen, je nach Stimmung. Mit ein bisschen Selektion finden Electro- und Balladen-Affine gleichermaßen Gefallen an dem Album. Alle anderen können sich die Texte von Grants zwei Alben wunderbar als Gedichtband binden lassen.
Zum Abschluss – sie sind einfach zu schön – noch ein paar von Grants Textzeilen:
„Remember how we used to fuck all night long? / Neither do I because I always passed out.“
„Take Picasso, Aldo, Dicks and add some Salvador Dalí / accompanied by Wagner plus some public enemy / She isn’t any of these six and she would never want to be.“
„What they want is commonly referred to as theocracy / and what that boils down to is referred to as hypocrisy.“
von Philipp Fischer