Amerikaner lieben große Autos, Häuser und Hamburger. Mittlerweile finden sich vielerorts in den USA Kirchen, die diesen Trend fortzusetzen scheinen: sogenannte Megachurches
Einer wirklichen Aufforderung bedarf es eigentlich nicht, denn überall in der Halle sieht man sich zur Musik bewegende Menschen mit in die Luft gestreckten Händen. Alle singen begeistert die Lieder mit, deren Texte ebenfalls an die Leinwände projiziert werden. Es ist die Stimmung eines Rockkonzerts, dabei befinde ich mich bei einem Sonntagsgottesdienst in den USA. Die Biltmore Baptist Church in Arden, im US-Bundesstaat North Carolina ist eine Megachurch, eine Kirche, die weitaus mehr bietet, als nur die Möglichkeit zum Beten. Hier gibt es neben Coffee Shop und Buchladen auch ein Kinderkino. Das Worship Center, der Ort, wo der Gottesdienst stattfindet, bietet Platz für über 2000 Menschen. An einem Wochenende wird die Kirche von bis zu 6000 Kirchgängern besucht und die Zahl steigt stetig, denn Megachurches erfreuen sich in den USA immer größerer Beliebtheit.Eine Kirche wird dann als Megachurch bezeichnet, wenn wöchentlich mindestens 2000 Menschen die Gottesdienste besuchen. In den USA soll es derer inzwischen über 1600 geben. Vor allem in den Südstaaten und Kalifornien ist dieses Phänomen weit verbreitet.
Eine riesige Lagerhalle ohne jeglichen ästhetischen Reiz
An dem Wochenende, an dem ich die Biltmore Baptist Church besuche, regnet es in Strömen. Meine Sorge, ob das die Menschen wohl vom Besuch der Kirche abhält, wird schon auf dem Parkplatz vernichtet. Begrüßt werden wir, wie bei einer Massenveranstaltung, von mehreren freiwilligen Helfern, die uns den Weg zu unserem Parkplatz weisen. Dort angekommen habe ich einen guten Blick auf das Gebäude, das mit einer europäischen Kirche gar nichts mehr gemein hat. Was ich sehe, wirkt wie eine riesige Lagerhalle ohne jeglichen ästhetischen Anreiz. Im Inneren erinnert auch nichts an das typische Bild einer Kirche, dafür aber an ein Einkaufszentrum. Gleich am Eingang befindet sich der Coffee Counter und bei einem Rundgang durch das Gebäude fällt vor allem eines auf: es ist extrem groß. So bin ich auch nicht mehr wirklich überrascht, als ich das Worship Center betrete und vor mir tausende Sitzplätze und eine dementsprechend ausfallende Bühne betrachte.
Der Gottesdienst selbst ist sehr modern gestaltet und die Menschen sind leger gekleidet. Am Anfang singt die Gemeinde drei Lieder. Ein Mix aus Rock- und Countrymusik lädt zum mitsingen ein und die Sänger beeindrucken mit teils ausgezeichneten Stimmen. Einem kurzen Gebet folgt ein weiteres Lied und daraufhin die rund 40-minütige Predigt von Pastor Bruce Frank. Die Predigt ist teils sehr traditionell und nicht anders als in Deutschland, wird aber auch durch Medien unterstützt. So soll ein Video, das aus mehreren Filmclips zusammen geschnitten ist, die Gemeinde in Stimmung bringen. Gut fünf Minuten lang sehen wir Szenen aus „Coach Carter“, „The Blind Side“, „Gegen jede Regel“ und so ziemlich jedem anderen emotionalen Sportfilm, den die USA zu bieten hat. Sehr sentimental, sehr mitreißend, sehr amerikanisch eben. Überraschend ist für mich, dass keine Bibeln für die Predigt zur Verfügung stehen, die wichtigen Bibelverse können wir jedoch an den Leinwänden mitlesen.
Die Stimmung eines Rockkonzerts beim Sonntagsgottesdienst
Pastor Bruce Frank erklärt mir in einem freundlichen Gespräch, dass er gerne hier arbeite. Seit fünf Jahren sei er nun in Arden und fände diese Art von Kirchen nicht schlechter als kleinere Gemeinden. „Natürlich ist es gut, wenn sich alle untereinander kennen, doch auch in einer kleinen Gemeinde ist das kaum möglich. Schon bei mehr als 100 Mitgliedern kann man nicht alle persönlich kennen“ und deshalb gebe es in der Biltmore Baptist Church sogenannte Connect Groups, erzählt Frank. Die Connect Groups sind klein und in bestimmte Altersgruppen oder nach Familienstand eingeteilt. Die Leiter der Gruppen sind diejenigen, die im ständigen Kontakt mit den Gruppenmitgliedern und dem Pastor stehen und somit als Bindeglied fungieren. Das wichtigste sei, dass sich die Menschen untereinander kennen, nicht dass der Pastor jeden kennt, glaubt Frank.
Diese Ansicht teilen auch viele der Mitglieder. Vor allem die Jugendlichen, mit denen ich gesprochen habe, kommen wegen des Gemeinschaftsgefühls und der vielen Angebote für sie in die Kirche. Die 15-jährige Meagan Ledvert sagt, dass alle ihre Freundinnen auch in diese Kirche gingen und sie hier außerdem viele neue Freunde gefunden hätte: „Gerade weil die Kirche so groß ist, kann man hier viele nette Menschen kennenlernen. Genau das gefällt mir hier.“ Anna Combs, 16, die seit mehreren Jahren auch als Freiwillige in der Kirche arbeitet, fügt hinzu, dass „die Atmosphäre in so einer großen Kirche einfach besser“ sei. Der Gottesdienst sei viel energetischer und emotionaler als in anderen Kirchen, so Combs. Viele der Jugendlichen schätzen die Bibelgruppen, die Connect Groups und die Missionsarbeit. Diese Woche gibt es auch eine Beach Week, in der die Jungendgruppen nach Myrtle Beach in South Carolina fahren werden.
„A little too much“
Das große, vielseitige Angebot wird von den Mitgliedern der Gemeinde sehr geschätzt und die Kritik an Megachurches können sie nicht nachvollziehen. Tanja Schär, eine Austauschstudentin aus der Schweiz, kann den Megachurches jedoch nicht viel Positives abgewinnen. „Teilweise hatte ich das Gefühl, dass die einzige Übereinstimmung mit unseren Gottesdiensten und Kirchen der Glaube an Gott und das Lesen aus der Bibel war.“ Schär kritisiert vor allem den Marketingaspekt der Kirche und dass einfach alles „a little too much“ sei. Claire Drummond, eine Studentin aus der Gegend, findet die Kommerzialisierung ebenfalls problematisch. Sie meint, dass das den Eindruck erwecke, die Kirche wolle einem Gott aufzwingen. „Vor allem das Video mit den Filmausschnitten zeigt doch, dass sie es einfach übertreiben und alles tun, um einen von Jesus zu begeistern. Mit dem Glauben direkt hatten die Clips ja nichts zu tun.“
Diese Kritik ist berechtigt, aber man kann nicht bestreiten, dass das große Angebot der Megachurches sie attraktiver macht. Obwohl die Kirchen auch in den USA mit abnehmenden Mitgliederzahlen zu kämpfen haben, genießen Megachurches steigenden Zulauf. Und eines muss man zweifelsfrei anerkennen: der Gottesdienst war definitiv unterhaltsamer als in Deutschland.
von Jasmin Miah