Zumindest kann man der grün-roten Landesregierung keinen mangelnden Ehrgeiz vorwerfen. „Wir werden die Qualität im Bildungswesen spürbar verbessern“, lautete das Versprechen im Koalitionsvertrag, und wenigstens angestoßen wurde eine Menge: Die verbindliche Grundschulempfehlung ist abgeschafft, das Ganztagsschulwesen ausgebaut, 42 Gemeinschaftsschulen an den Start gebracht.
Das umstrittene G8 wird entschärft, ein Modellversuch ermöglicht das „entschleunigte“ Abitur in neun Jahren. Mehr soziale Gerechtigkeit, stärkere individuelle Förderung und die Inklusion behinderter Kinder ins Regelschulwesen stehen als große Aufgaben noch aus. Auf der anderen Seite drückt der Schuldenberg, und entgegen der Wahlversprechen musste man 11.600 Lehrerstellen streichen. Damit es also nicht beim redlichen Bemühen bleibt, muss in Baden-Württemberg noch einiges geschehen. Der große Wurf könnte die Reform der Lehrerausbildung werden – aber auch der große Fehlschlag. In welche Richtung die Entwicklung tendiert, lässt sich vielleicht schon bald sagen. Die Reform wird derzeit intensiv diskutiert, seit im März die Expertenkommission zur Lehrerbildung ihren Ergebnisbericht vorgelegt hat. Dass darin weitläufig aus dem Bericht einer Berliner Expertenkommission zum selben Thema zitiert wird, genügt schon, um konservative Beobachter misstrauisch zu machen. So oder so: Werden die Empfehlungen der Kommission umgesetzt, bedeutet das eine tiefgreifende Umgestaltung der Lehrerausbildung in Baden-Württemberg.
Bachelor und Master lösen das Staatsexamen ab
Zusammengefasst geht es um vier wesentliche Punkte. Erstens: Das alte Staatsexamen soll dem Bachelor/Master-System weichen. Das soll nicht zuletzt der sogenannten Polyvalenz dienen, also der Anschlussfähigkeit eines Bachelorstudiums auf verschiedenen Berufswegen. Zweitens: Im Zuge dessen sollen Universitäten und Pädagogische Hochschulen kooperieren und zum Beispiel die Masterphase gemeinsam ausgestalten. Drittens: In allen Lehramtsstudiengängen soll dabei eine sonderpädagogische Grundbildung verankert werden, um das Ziel der Inklusion verwirklichen zu können. Viertens: Die Lehrerausbildung soll in Zukunft nicht mehr wie bisher schulartenspezifisch, sondern nach zu unterrichtender Altersgruppe erfolgen. Es wird also künftig keinen Gymnasial-, Real- oder Hauptschullehrer mehr geben, sondern Lehrer für die Sekundarstufe I (bis zur zehnten Klasse) und Lehrer für die Sekundarstufe II (Oberstufe).
Genau dieser Punkt macht die Reform sehr teuer und damit unwahrscheinlich: Er bedeutet die Ausdehnung der Ausbildungsdauer für alle Lehrämter auf fünf Jahre. Damit aber muss auch die Besoldung angeglichen, sprich: die Besoldung der bislang geringer bezahlten Grund-, Haupt- und Realschullehrer angehoben werden. Das aber kostet Geld, vermutlich einige hundert Millionen. Geld, das im Landeshaushalt, in dem der Kultusetat mit mehr als neun Milliarden Euro etwa ein Viertel der Ausgaben einnimmt, derzeit fehlt. Die Ausgestaltung der Reform ist ebenfalls noch nicht zu Ende gedacht. Fraglich ist, inwiefern die Bachelor-/Masterumstellung „echte Polyvalenz“ bringt. In den Geisteswissenschaften liegt mit dem Staatsexamen ein angesehener Abschluss vor. Im Staatsexamen haben sie zudem nach der Zwischenprüfung das Recht auf einen Abschluss, der dem Master gleichwertig ist. Sie ist zwar kein Abschluss, dafür muss man aber nach dem Bestehen kein weiteres Zulassungsverfahren wie nach dem Bachelor durchlaufen.
„Polyvalenz ist nicht mehr als ein Schlagwort“
„Im naturwissenschaftlichen Bereich ist der 50/50-Bachelor für das Lehramt ein offenes Problem“, gesteht Friederike Nüssel, Prorektorin für Lehre an der Universität Heidelberg, ein. Einen 50-prozentigen Chemie-Bachelor zum Beispiel gibt es nicht. Aus gutem Grund – auf dem Arbeitsmarkt werden nur Chemiker gesucht, die eine Promotion abgeschlossen haben. Ein Lehramtsbachelor würde also für den Arbeitsmarkt hier erst recht keine Perspektiven eröffnen. Der Master Chemie baut zudem auf einen 100-Prozent-Bachelor auf. Neue Möglichkeiten bietet die Bachelor-Master-Umstellung in keinem Fall. Dennoch steigt für die Studenten dadurch der Aufwand: Sie müssen eine zusätzliche Abschlussprüfung absolvieren. Der Arbeitskreis Lehramt urteilt daher: „Polyvalenz ist nicht mehr als ein Schlagwort. Der Zeitverlust durch sinnlose Bachelor-Prüfungen vor dem Examen ist ein Problem.“
Eberhard Keil, der Vorsitzende des Philologenverbandes, befürchtet angesichts der Anpassung der Lehramtsstudiengänge an die Bologna-Reform einen erheblichen Qualitätsverlust. „Der Bachelorstudiengang ist in seiner Substanz verfehlt, da er keinen arbeitsmarkttauglichen Abschluss enthält. Statt Qualität generiert er breites Unbestimmtes: Dilettantismus“, kritisiert Keil. Die Umstellung bedeute daher auch für Lehramtstudenten eine Verschlechterung der Ausbildungsqualität.
Von der Gemeinschaftsschule bis zur Inklusion: Lehrer sollen alles können
Nicht einfacher ist die Verwirklichung der Inklusion. Sie soll allen Eltern die Wahl eröffnen, ob sie ihr behindertes Kind auf eine Regelschule oder eine Sonderschule schicken. Nicht nur in der Ausstattung der Schulen, auch in der Ausbildung künftiger Lehrkräfte müsste sich dann einiges ändern. Die Inklusion spielt bei der Lehrausbildung außerhalb des sonderpädagogischen Bereichs aktuell keine Rolle. Auch deshalb sollen Universitäten und Pädagogische Hochschulen künftig kooperieren. Daher sollen sie auch gemeinsam ein Konzept entwickeln, wie man die verschiedenen fachlichen und (sonder-)pädagogischen Inhalte gut miteinander verbinden kann. An der Universität Heidelberg gibt es jedoch dafür „bisher keine Planungen. Das ist vornehmlich ein Thema für die PH“, erklärt Friederike Nüssel.
Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Baden-Württemberg, Doro Moritz, sieht ein generelles Problem: In ihren Augen sind „für die Umsetzung der Inklusion keine Ressourcen vorhanden. Eberhard Keil wiederum hält eine Inklusion nur in Einzelfällen für sinnvoll und realisierbar. Aufgaben, die bislang von ausgebildeten Sonderpädagogen übernommen wurden, zusätzlich jedem Lehrer aufzulasten, führt für ihn in „verantwortungslosen Dilettantismus“. Glaubt man Keil, dann zeichnet sich an dieser Stelle auch ein Konflikt innerhalb der Regierungskoalition ab: Die SPD rücke vom Inklusionsziel ab, während die Grünen daran im Kern festhielten.
Baustelle Lehrerbildung
Generell läuft die Zusammenarbeit zwischen der PH und der Universität Heidelberg jedoch gut. Nach der Anhörung aller lehrerbildenden Institutionen im Land zeigt sich Gerhard Härle, Prorektor für Studium und Lehre an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, „positiv überrascht über die Einigkeit und die konstruktive Stimmung“. Übereinstimmend herrsche große Entschlossenheit, man müsse es jetzt „anpacken“. In Heidelberg wolle man eine verbindliche Kooperation baldmöglichst institutionalisieren. Seit zwei Jahren besteht ein Roundtable, der die Inhalte der Zusammenarbeit konzipiert. Mehrere mögliche Modelle der Kooperation würden derzeit juristisch geprüft. Grundsätzlich soll die Eigenständigkeit der Pädagogischen Hochschulen im Land gewahrt bleiben.
Beim Reformprojekt Lehrerbildung bestehen derzeit also noch eine Fülle offener Baustellen. In den Ministerien gibt man sich wortkarg, was den Zeitrahmen der Umsetzung angeht. Das grüne Wissenschaftsministerium erklärt, derzeit könnten noch keine Fragen zur Reform beantwortet werden. Das rote Kultusministerium gibt sich noch intransparenter. Ob angesichts der vielen neuen Ansprüche eine Überfrachtung des Lehrerberufs drohe und sich die Pädagogen mit den ihnen aufgelasteten Aufgaben überfordert fühlen könnten? Keine Stellungnahme. Gibt es bereits Ideen für die Finanzierung der Reform? Keine Antwort. Dies passt zu Keils Einschätzung, dass man sich in der Regierungskoalition nicht einig sei.
„Dass an der Uni Heidelberg über das Lehramtsstudium gesprochen wird, dass ernsthaft erwogen wird, sogar Gremien dafür einzurichten, ist bereits eine Neuerung, von der man in den letzten zehn Jahren nicht einmal träumen konnte“, freut man sich indes beim Arbeitskreis Lehramt der FSK. Die Umgestaltung der Lehrerausbildung bleibt das große Projekt der grün-roten Bildungspolitik. Der Ausgang ist völlig offen: Wenn es nicht gelingt, ein Eckpunktepapier noch vor der Sommerpause vom Kabinett zu verabschieden, ist es fraglich, ob in dieser Legislaturperiode überhaupt noch damit zu rechnen ist.
von Ziad-Emanuel Farag, Kai Gräf