Ist es Aufgabe des Staates, Forschung und Lehre über Religion zu finanzieren?
Theologie gehört seit jeher zu den klassischen Fakultäten einer Universität. Ein weltanschaulich neutraler Staat müsse Religion Privatsache sein lassen, fordern Laizisten. Für Gregor Etzelmüller, Professor für Theologie an der Uni Heidelberg, bereichert das Fach den interdisziplinären Dialog der Fakultäten.
Wozu gibt es eigentlich Theologie – und warum haben Staat und Gesellschaft ein lebendiges Interesse an der Existenz einer wissenschaftlichen Theologie? Auf die erste Frage lässt sich antworten: Weil in den Kirchen von Gott geredet wird, bedarf es einer Theologie, die kritisch hinterfragt, ob die kirchliche Rede von Gott ihrem Inhalt, also Gott selbst, entspricht. Theologie ist die „wissenschaftliche Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalts der ihr eigentümlichen Rede von Gott“ (Karl Barth). Theologie ist ein eminent kritisches, auch religionskritisches Geschäft. Wegen der beständigen Gefahr, Gott religiös zugunsten eigener Interessen zu vereinnahmen, sind die Kirchen auf die kritische Selbstprüfung durch die Theologie angewiesen. Die Kirchen brauchen Pfarrerinnen und Pfarrer, die in dieser kritischen Selbstprüfung geübt und ausgebildet – und deshalb in der Lage sind, ihr eigenes Handeln selbstkritisch zu begleiten.
Dass wir in Deutschland Theologie an staatlichen Universitäten lehren, zeigt, dass nicht nur die Kirchen, sondern auch die Gesellschaft als ganze ein elementares Interesse an der kritischen Reflexion der kirchlichen Praxis hat. Weil die Kirchen das gesellschaftliche Leben mitprägen – durch ihre öffentlichen Gottesdienste, als zivilgesellschaftlicher Akteur, mit ihren etwa vier Millionen Ehrenamtlichen, als zweitgrößter Arbeitgeber nach dem Staat –, gibt es ein gesellschaftliches Interesse an einer öffentlichen Reflexion kirchlicher Verkündigung und Praxis.
Soll diese Reflexion aber die kirchliche Verkündigung und Praxis nachhaltig prägen, soll sie also in die Kirchen zurückwirken, dann muss diese öffentliche Reflexion selbst von dem geprägt sein, wofür die Kirche einsteht. Dann muss die öffentliche Reflexion zugleich eine kirchliche sein. Dem entspricht, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Theologie als kirchliche Wissenschaft an staatlichen Universitäten gelehrt wird. Davon profitieren Theologie, Kirchen und Gesellschaft gleichermaßen: Die Beobachtung der Theologie durch die anderen Wissenschaften trägt maßgeblich zur Komplexität der Theologie und damit auch zu einer anspruchsvollen kirchlichen Verkündigung und Praxis bei. Wo Theologie an Universitäten gelehrt wird, existiert eine Reflexionsgestalt des kirchlichen Lebens, die permanent gesellschaftlich adressiert werden kann. Die Gefahr einer Abschottung der Religionsgemeinschaften und eines frei wuchernden, sich der Beobachtung entziehenden Glaubens sind damit zum Wohle der Gesellschaft gebannt.
Eben deshalb unterhält der Staat nicht nur theologische Fakultäten, sondern richtet gegenwärtig auch Institute für islamische Theologie ein. Auch diese dienen der kritischen Selbstreflexion religiöser Praxis. Sie leisten damit etwas, was der weltanschaulich neutrale Staat selbst nicht leisten kann, obwohl er ein Interesse an der Erbringung dieser Leistung hat.
Theologische Fakultäten erschließen den anderen Fakultäten und der ausdifferenzierten Gesellschaft aber auch die Orientierungsleistungen der jüdischchristlichen Tradition. Unsere gegenwärtige Kultur, aber auch eine Fülle wissenschaftlicher Auseinandersetzungen sind ohne Rekurs auf diese Tradition nicht zu verstehen: Komplexe Themenstellungen wie die Verhältnisbestimmung von Recht und Gerechtigkeit, aber auch von Leib und Geist sind in ihrer Tiefenstruktur stets durch theologische Diskurse mitgeprägt. Zugleich halten die jüdisch-christlichen Überlieferungen ein Orientierungspotential bereit, das etwa vor der Verabschiedung des Begriffs der Gerechtigkeit im Rechtssystem und einer reduktionistischen Naturalisierung von Geistphänomenen in den Naturwissenschaften warnt. Dieses Orientierungspotential wissenschaftlich zu prüfen und zu entfalten, ist Aufgabe aller Fakultäten. Damit die Übersetzungen theologischer Gehalte in eine nicht-theologische Sprache aber nicht reduktionistisch ausfallen, bedarf es im interdisziplinären Dialog der Stimme der Theologie.
Weil die Gesellschaft ein Interesse an der selbstkritischen Reflexion religiöser Praxis hat – und weil die Theologie den interdisziplinären Dialog der Fakultäten bereichert, darum finanziert der Staat zu Recht theologische Fakultäten.