Hässlichste Orte Heidelbergs, Teil 8: Die Hauptstraße.
Das Glück, im Weltkrieg nicht zerstört worden zu sein, ist Heidelberg als einer der wenigen deutschen Städte zuteilgeworden. Umso ärgerlicher, dass sie nun trotzdem aussieht wie jede andere Mittel- oder Großstadt im Land.
Die berühmte Heidelberger Hauptstraße ist unter Gesichtspunkten der Stadtentwicklung eine Katastrophe: Die mit ununterbrochenen 1,6 Kilometern „längste Fußgängerzone Europas“ ist in Wahrheit die längste zusammenhängende Einöde des Kontinents – eine abstoßende Mischung aus Vulgärromantik und Kettenkonsums. Nun saniert die Stadt das Straßenpflaster, damit das Heidelberger Antlitz wieder hübsch glänzt. So will es der Eintagstourist: Studentenküsse als „Memories of Heidelberg“, sauren Wein im „Perkeo“ und ein Klischee-Foto von der Schlossruine. Er merkt dabei nicht, dass er in ein Bilderbuch getappt ist, das sein eigentliches Ruinendasein zu verschleiern sucht.
Nur ein paar wenige authentische Flecken haben sich in der Fußgängerzone erhalten. Der große Rest ist der kapitalistischen Gleichschaltung zum Opfer gefallen. Wer vom Markt- zum Bismarckplatz spaziert, blickt in ein hässlich gleichförmiges Stadtgesicht: Zweimal H&M, zweimal Galeria, dreimal Kamps. Dazu Starbucks und die Back-Factory. Es könnte auch Kassel oder Wuppertal sein. Inmitten dieser kommerziellen Eindimensionalität Schilder aufzuhängen, die einer fernen Vergangenheit gedenken, ist pervers. Hier hängen Gedenktafeln an Schumann über einer Jokers-Filiale, die Klassiksampler verschleudert. Des Knaben Wunderhorn zwischen brutalen Konsumtempeln. Goethe wohnte überm Franchise-Bäcker.
Worauf man stolz zu sein vorgibt – die erhaltene Altbaumasse, die Tradition eines lebendigen Geistes – wird durch diese Entwicklung völlig banalisiert. Längst ist die Vielfalt einer grauenvollen Uniformität, der Pluralismus einer gähnenden Langeweile gewichen. Dabei leiden die Bewohner unter dieser konsumideologischen Verformung, leiden unter Deichmann-Schuhen und McPaper-Kulis, unter der Charakterlosigkeit von Nanu-Nana-Spielzeug und der absurden Frechheit eines Build-A-Bear-Workshops. Die wenigen Kulturpflänzchen trocknen aus: Die traditionsreiche Rhein-Neckar-Zeitung ist längst aus der Hauptstraße geflüchtet. In den ehemaligen Redaktionsräumen werden jetzt billige Klamotten verscherbelt. Mit dem Harmonie-Lux-Kino im Wormser Hof stellt das letzte große Lichtspielhaus der Stadt Ende 2013 den Betrieb ein. Für die Weiternutzung des Gebäudes wurde zwar ein Literaturhaus vorgeschlagen, doch stattdessen wird hier wohl ein Modehaus einziehen. Das bringt Geld – und passt ja auch inzwischen besser ins Stadtbild. In der Heidelberger Hauptstraße stehen wunderbare Gebäude. Die kapitalistischen Hausbesetzer haben sie ununterscheidbar gemacht. Der lebendige Geist liegt in den Ketten des Kommerz. Da hilft es auch nicht, das Pflaster zu polieren.
von Kai Gräf
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