In Shitstorms entlädt sich kollektive Wut im Internet – und trifft oft Unschuldige
In der deutschen Berichterstattung tauchte vor drei Jahren erstmals gehäuft ein Wort auf, das eines der unangenehmsten Internet-Phänomene beschreibt: „Shitstorm“.Gemeint ist eine Welle der Entrüstung. Sie geht mit extremen Reaktionen einher und verhindert die sachliche Diskussion. Nicht nur Firmen und Institutionen sind davon betroffen, sondern immer öfter auch Privatpersonen. Und obwohl der Name „Shitstorm“ zunächst harmlos klingt, ist das Phänomen für Betroffene alles andere als lustig.Fürchten bereits große Unternehmen wie Nestlé und Dell die – teils begründeten – Shitstorms, so sind vor allem Privatpersonen davon besonders hart getroffen, weil sie alleine kaum eine Möglichkeit haben, darauf zu reagieren. Und inzwischen sind bereits eine ganze Reihe von ihnen diesem Problem begegnet. Aktuelles Beispiel ist die ehemalige Dschungelcamp-Teilnehmerin Georgina Fleur, die auf einem Foto vor dem vom Hochwasser überfluteten Heidelberg posierte und damit eine Welle der Entrüstung hervorrief. Aber während auch sie den Protest selbst provozierte und als halbwegs prominente Person mit einer gewissen Resonanz auf ihr Verhalten rechnen muss, trifft es nicht selten völlig Unschuldige.
Vermeintliche Täter werden zu Opfern
Traurige Berühmtheit erlangte etwa vergangenes Jahr der Fall der 15-jährigen Amanda Todd, die sich nach jahrelanger Hetze im Internet umbrachte. In ihrem Fall wurde aus einem Shitstorm reines Mobbing. Ihr Fall erschütterte die Welt, obwohl Cybermobbing beileibe kein Einzelfall ist. Gelegentlich kommt es im Netz sogar zu Aufrufen zur Lynchjustiz, wie etwa bei jenem Emdener Berufsschüler, der im Mordfall der 11-jährigen Lena als Verdächtiger festgenommen worden war. Im Netz kam es darauf zu einer ganzen Reihe von Drohungen und Mord-Aufrufen, die dazu führten, dass er Selbstmord beging. Wenig später stellte sich heraus, dass er unschuldig war – und der Fall hatte sein zweites Opfer.
Auch die Heidelberger Studentin Sophie Herold hat am eigenen Leib erfahren, was Shitstorm bedeuten kann. Vor zwei Jahren nahm ihr Leben über Nacht eine so unerwartete wie unerfreuliche Wendung. Eines Morgens hatte sie hunderte Freundschaftsanfragen auf ihrer Facebookseite und ebenso viele E-Mail erhalten. „Ich war zunächst völlig erstaunt“, erklärt die heute 22-Jährige. „Dann hat mir eine Freundin den Link zu einem Blog geschickt. Dort hatte jemand einen Link zu meinem Facebookprofil gesetzt. Den habe ich da zum ersten Mal gesehen.“ Der Blog hetzt übel gegen Homosexuelle. Auch werden Menschen geoutet, deren Familien und Freunde bisher noch nichts von ihrer sexuellen Orientierung wussten. Betrieben wird die Seite von einer Amerikanerin: Sophie Miriam Herold.
„Ich hoffe, du stirbst einen langsamen und schmerzvollen Tod“
Die verhängnisvolle Namensähnlichkeit sorgte dafür, dass das Profil der deutschen Sophie Herold mit dem amerikanischen Blog in Verbindung gebracht wurde. Bald geisterte das Gerücht durch das Netz, der Blog stamme in Wahrheit von ihr. Schlagartig traf eine Flut von Nachrichten bei ihr ein. Einige positive von Ultrakonservativen, die ihre vermeintlichen Positionen unterstützten, die meisten aber negativ, darunter Beleidigungen und sogar Bedrohungen: „Du bist eine dumme Fotze und ich hoffe, du brennst in der Hölle“, schreibt einer. Ein anderer äußert: „Ich hoffe, du stirbst einen langsamen und schmerzhaften Tod, und dein erstgeborenes Kind lernt nie lesen.“ Ein weiterer verkündet: „Ich werde dir so sehr die Scheiße aus dem Leib prügeln, dass dein Freund weint.“
Es offenbart sich die gefährliche Macht, die von der ungezügelten, kollektiven Wut im Netz ausgeht – und nun eine Unschuldige trifft.
Weil immer wieder Menschen zum Opfer von Shitstorms werden, gibt es Internetseiten, die sich auf den Schutz dagegen spezialisiert haben. Zum Beispiel soll die Web@ktiv-Versicherung vor Verleumdung, Beleidigung und Rufschädigung im Netz schützen. Sie hilft den Opfern, Schadensansprüche geltend zu machen und rufschädigendes Material zu entfernen. Sie informiert auch über rechtliche Risiken, wie das versehentliche Verletzen von Urheberrechten.
In der allgemeinen Aufregung macht sich niemand die Mühe, das haltlose Gerücht zu überprüfen. „Nur wenige haben mich gefragt, ob dieser Blog wirklich von mir stammt“, erzählt Herold. Die Welle des Zorns traf sie völlig unvorbereitet. „Ich war zunächst völlig geschockt“, erzählt sie heute, „Dann bin ich zur Polizei gegangen. Die haben herausgefunden, dass der Link zu meinem Profil auf einem Rechner in Houston, Texas unter den Blog gesetzt wurde. Aber wer genau dahinter steckte, hat man bisher noch nicht herausfinden können.“
Ebenso unklar ist, wer wirklich hinter dem homophoben Blog steht. Hat die Verfasserin sich einen Namen als Pseudonym gesucht, ist zufällig auf Sophie Herold gestoßen und hat einen zweiten Vornamen hinzugefügt? Oder heißt sie wirklich so, und jemand ist bei der Suche nach ihrer Identität auf die falsche Sophie Herold gestoßen? Möglicherweise wird das nie geklärt werden.
Inzwischen hat die Mailflut nachgelassen. „Darüber bin ich natürlich sehr erleichtert“, sagt Sophie Herold. In Zukunft will sie noch vorsichtiger als bisher in sozialen Netzwerken unterwegs sein. „Leider ist mein Bild immer noch mit diesem Blog in Verbindung, weil es zwar auf der Seite, auf der es ursprünglich auftauchte, beseitigt, davor aber auch oft kopiert wurde“, erklärt sie. „Ganz aus dem Internet löschen wird man es wohl nie können.“
von Michael Abschlag