Bei der Podiumsdiskussion „Sicherer Hafen oder Festung Europa – Ideal und Praxis der EU- Migrationspolitik“ kam es schon vor Beginn zu einem ersten Aufreger.
Noch bevor die Organisatoren vom Forum für internationale Sicherheit Heidelberg e.V. die Veranstaltung eröffnen konnten, stürmte eine studentische Gruppe die Bühne und verlieh dem Diskutanten Klaus Rösler von FRONTEX den „Muammar al-Gaddafi Preis für Menschenrechte“. Rösler ist Abteilungsleiter für Einsatzangelegenheiten bei der EU-Agentur, die für den Schutz der Außengrenzen zuständig ist. Die betreffenden Personen wurden anschließend aus dem Raum gebeten.
Erst als wieder Ruhe im gut gefüllten Heidelberg Center for American Studies herrschte, konnte Moderatorin Katja Riedel die Diskussion einleiten. Michael Mwa Allimadi aus dem Vorstand des Flüchtlingsrats Heidelberg vertrat den verhinderten Markus Löning. Außerdem beteiligten sich Dr. Roland Bank vom UNHCR und Dr. Oliver Müller von der Caritas an der Runde.
Zunächst wurden Gründe für Migration und Flucht grundsätzlich besprochen. Herr Müller wies darauf hin, dass Migration prinzipiell nichts Negatives sei und schon immer stattgefunden habe; die EU werde nichts daran ändern. Eine stabile Lage in den Krisenregionen zu schaffen und existenzielle Not zu mindern könne jedoch Menschen davon abhalten, ihr Heimatland zu verlassen. Allimadi betonte, die Motivation zu fliehen sei nicht die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa, sondern vielmehr eine unmittelbare Bedrohung durch Krieg, Unterdrückung oder Hunger.
Auf die Rolle von FRONTEX in der EU-Migrationspolitik angesprochen sagte Klaus Rösler, es gehe vor allem um die Koordinierung nationaler Einsatzkräfte. Diese hätten viel geleistet, indem sie Menschen in Seenot gerettet hätten. FRONTEX stand in letzter Zeit häufig in der Kritik wegen sogenannter Push-Backs auf dem Mittelmeer, bei denen Flüchtlinge noch auf See abgeschoben werden. 2012 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dass dieses Verfahren menschenrechtswidrig ist, weil es gegen das Grundrecht verstößt, auch außerhalb vom EU-Territorium einen Asylantrag zu stellen. Es ist nicht zulässig Flüchtlinge direkt zurückzuschicken, wenn davon ausgegangen werden muss, dass ihnen in ihrem Heimatland Verfolgung oder Gewalt droht. Dennoch gab FRONTEX Direktor Ilkka Laitinen kürzlich in einem Interview zu: „Ich kann nicht bestreiten, dass es diese Vorgehensweise auch nach 2012 noch gegeben hat.“
Zu den Berichten über solche Vorkommnisse äußerte sich Rösler nur ausweichend und verwies darauf, dass den fünf bis zehn Verdachtsfällen pro Jahr nachgegangen werde. Dafür, dass viele Flüchtlinge auf hoher See zu Tode kämen, sei nicht FRONTEX, sondern vielmehr die Schlepperbanden verantwortlich, die die Menschen aus Profitgier auf völlig überfüllten Schiffen losschicken. Weiter ging er auf die Anschuldigungen nicht ein.
Bank sprach sich für eine langfristige Strategie zur Krisenbekämpfung aus, um die Zahl der Flüchtlinge zu vermindern. Im Zusammenhang damit kritisierte Allimadi die aktuelle Entwicklungspolitik der europäischen Staaten. „Die Entwicklungsländer brauchen keine paternalistische Entwicklungshilfe, sondern faire Teilnahme am Handel und freien Zugang zu Märkten“, so Allimadi. Nur auf diese Weise könne eine wirkliche Verbesserung der Lebenssituation geschaffen werden. Außerdem dürfe die Schuld nicht voreilig auf FRONTEX geschoben werden, sondern die EU-Länder, die eine Verbesserung der Situation von Flüchtlingen verhindern, müssten ihre Verantwortung wahrnehmen.
Bank schlug als Verbesserungen vor, die mit einem Asylantrag verbundene Bürokratie abzubauen und Familiennachzug zu vereinfachen. Die EU-Staaten sollten ihre Aufnahmeverfahren vereinheitlichen. Die schon bestehenden Rechtsvorschriften müssen umgesetzt und ihre Einhaltung kontrolliert werden.
Überraschenderweise wurde die Diskussion nur wenig kontrovers geführt; Nachfragen von Moderatorin Katja Riedel blieben aus und auch die Vertreter von Caritas und UNHCR übten keine konkrete Kritik an Aktionen durch FRONTEX. Trotzdem war die Diskussion ein Erfolg, denn sie trägt dazu bei, dass dieses wichtige Thema im öffentlichen Diskurs bleibt, ein erster Schritt zu Lösungsansätzen.
von Jonas Peisker