Die Tanzkompanie Nanine Linning begeistert das Heidelberger Publikum seit der vergangenen Spielzeit. „Endless“, der letzte Teil ihrer Trilogie, feierte nun Premiere
Wer einmal morgens durch die Altstadt spaziert und am Studio der Tanzkompanie Nanine Linning vorbeikommt, der kann den Tänzern durch die großen Fensterscheiben bei der Arbeit zuschauen. Da drehen sie sich und springen, zu Philipp Glass oder Adam Green. Jeden Tag, sieben Stunden. Und wenn man das so sieht, möchte man mitwirbeln und denkt sich, ach, die Schwerkraft, vielleicht war die doch nur ein Gerücht.
Nanine Linning und ihre Kompanie kamen in der letzten Spielzeit zusammen mit Holger Schultze aus Osnabrück nach Heidelberg. Während in anderen Städten der Tanz-Etat gestrichen wird, erweiterte er zu Beginn seiner Intendanz 2011 das Theater um diese Sparte. Mit Erfolg. Die Vorstellungen sind fast immer ausverkauft, 2012 und 2013 war Linning für den wichtigsten deutschen Theaterpreis, den Faust, nominiert. Im Februar 2014 wird es zudem die erste „Tanzbiennale“ geben, ein internationales Tanzfestival, zu dem Kompanien aus ganz Europa eingeladen werden.
Linning ist eine der bekanntesten Choreografinnen der Niederlande, doch die Möglichkeiten, die ein Stadttheater biete, gebe es dort einfach nicht. Nicht immer herumreisen zu müssen, sondern ein Haus, ein Team zu haben, zu dem man gehört, das die Zusammenarbeit mit anderen Sparten erleichtert und ein Stammpublikum hat.
Tatsächlich ist die deutsche Theaterlandschaft in dieser Hinsicht fast einzigartig. In den meisten Ländern gibt es Theater, die Kompanien einladen, ein festes Ensemble ist eher ungewöhnlich.
Ein Besuch bei den Anfangsproben zu „Endless“, dem neusten Linning-Stück, das vergangenen Freitag im Heidelberger Theater Premiere hatte: Die Tänzer arbeiten in Duos, einige der Choreografien werden später auf der Bühne nur als Schatten zu sehen sein.
Die Stimmung ist heiter, es wird ausprobiert, man sucht nach Bewegungen. Manches funktioniert, manches nicht, egal, noch einmal. Die Freude an der Arbeit wird deutlich. Scheu ist nur der Zuschauer, der schüchtern dabeisitzt und sich fragt: Stör ich? Aber nein. Tatsächlich tanzt die Kompanie auch gerne einmal durch die Heidelberger Altstadt, um zur Tanzvisite im Theater einzuladen. Ihre Mitglieder kommen aus der ganzen Welt. Griechenland, Holland, Belgien, Deutschland, Italien, England, Taiwan und der Karibik. Wie Linning ihre Leute auswählt? Lautes Lachen. „I like nice people!“ Erst einmal, so sagt sie, suche sie Menschen, die ihr sympathisch seien, kreativ, kommunikativ und offen. Und, ach ja, dann sollten sie auch noch tanzen können. Was ihr wichtig ist bei ihrer Arbeit: das Team, das Team! Immer wieder betont sie das. „Ich bin verliebt in meine Leute!“ Tänzer gebe es Tausende, aber bei einem Vortanzen könne sie gleich 80 Prozent nach Hause schicken. „Die suchen dann einen Job. Aber ich habe keine Jobs. Ich habe eine Leidenschaft und suche Menschen, die sie mit mir teilen. Wer einen Job will, soll zu McDonald’s gehen.“
Die Arbeit an einem Stück fängt circa ein Jahr vor der Premiere an, dann beginnt für Linning das Sammeln von Ideen, Themen. Sie mache kein Handlungsballett, habe keine Musik, zu der sie eine Choreographie suche, sondern überlege sich ein Konzept und versuche dieses Stück für Stück umzusetzen. Dann ruft sie Kostümbildner, Video- und Lichtdesigner an. Bilder, Eindrücke machen ihre Arbeit aus, diese inszeniert sie auf einer riesigen Bühne. Inspirationsquellen und Kollegen findet Linning durchaus auch außerhalb des Theaters. Bei ihrem Projekt „Cry Love Dinner“ arbeitete sie mit Chefkoch Remco Vellinga zusammen, bei „Cortex“ mit neun Neurologen.
Zwei Monate dauern die Proben mit den Tänzern, die Musik kommt erst zwei Wochen vor der Premiere hinzu. Das sei zwar stressig und nervenaufreibend, aber dann sei das Ergebnis auch ganz ihres. „Ein Nanine-Stück.“ Wie sieht das aus, so ein Stück?
Es sind die letzten Probentage, in zwei Tagen wird Premiere sein. Vom angekündigten Stress merkt man wenig, zumindest Choreografin und Tänzer albern noch gut gelaunt herum. Nur ein paar Techniker laufen hektisch umher, die Kameras, das Video, der Ton und, jetzt noch einmal an die Zuschauer, „bitte setzen Sie sich nicht direkt vor das Regiepult“. Dann geht es auch schon los.
Zwei Augenpaare. Schon bevor die Tänzer auftreten und beginnen, über die Bühne zu rennen, sind ihre Augen da. Sie schauen den Zuschauer an, mal ernst, mal starr. dann wieder lächelnd, schelmisch. „Endless“ ist der letzte Teil einer Trilogie. Sowohl thematisch als auch praktisch zoomt Linning heran. Erzählte „Zero“ noch vom Kosmos, „Voice-over“ von der Gesellschaft, so betrachtet „Endless“ nun den Menschen von ganz nah. Es ist die Geschichte einer Beziehung, von der Euphorie des Kennenlernens, bis hin zum Auseinanderdriften, Sichverlieren. So intim wie das Thema sind auch die Bilder. Mit Kameras loten die Tänzer ihre Körper aus, die Ohren, Hände und Leberflecken.
Körperlichkeit ist Linning wichtig. Ein Körper, so sagt sie, kann alles zeigen. „Ich muss niemandem erzählen, wie es ist, verliebt zu sein. Das weiß man und liest es in der Körpersprache.“ Das Unterbewusstsein sei das Entscheidende, nicht zu denken, einfach zu schauen, dann werde man es auch verstehen. „Lesen oder Vorwissen machen meine Stücke nicht besser.“ Auf den Einwand, dass nun doch nicht jedes Tanzstück selbsterklärend sei und man so manches auch mal verwirrt und ratlos verlasse, fragt sie verwundert: „Passiert das auch bei meinen Stücken?“ Mitnichten, möchte man Linning beruhigen. Zumindest nicht bei „Endless“. Da tanzt eine Frau beinahe zwanzig Minuten hinter einem Mann, ahmt seine Bewegungen nach und schafft es kaum, sich hinter ihm hervorzuwagen. Da rennen zwei Tänzer verzweifelt gegen ein Lauf band an und kommen doch nicht vorwärts. Sie entfernen sich, nähern sich wieder an und ringen miteinander. Der langsame Tod einer Beziehung.
Untermalt und komplettiert werden die Szenen von Schatten und Videobildern der Tänzer. Diese selbst wirken oftmals einsam, verloren vor der immensen Kulisse ihrer eigenen Körper.
Wo das Stück Gefahr läuft, ins Sentimentale abzurutschen, entgeht Linning dem im letzten Moment. Ihre Bilder sind eindrücklich, aber niemals kitschig. Nach über eineinhalb Stunden ein kurzes Zögern, dann Applaus vom kleinen Publikum. Hektik bricht aus, ein paar technische Pannen, hier und da. Der Zuschauer hat von all dem nichts bemerkt und schlendert mit einem Kopf voller Bilder nach Hause. Die Heidelberger sind ihrem Theater bekanntermaßen treu. Sieht man die Tanzkompanie Nanine Linning, so weiß man, warum.
von Anna Vollmer