Jeden Tag muss das Gehirn komplexe Leistungen vollbringen. Psychoaktive Substanzen suggerieren, die Leistung des Gehirns verbessern zu können.
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Die Situation wiederholt sich so oft gen Semesterende: Nur noch wenige Tage bis zu der Klausur. Nur noch ein paar Stunden bis zur Deadline für die wichtige Hausarbeit. Die Augen fallen zu, der Kopf raucht und doch muss noch viel rein: Wie verlockend scheint da die Aussicht, dem eigenen Gehirn ein bisschen auf die Sprünge zu helfen. Laut einer Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) aus dem Jahr 2012 haben 13 Prozent der Studierenden schon mindestens einmal zu psychoaktiven Substanzen oder anderen Medikamenten gegriffen, die die eigene Leistungsfähigkeit steigern sollen. Neuere wissenschaftliche Studien wie diese und die mediale Aufarbeitung suggerieren einen Anstieg in der Nutzung leistungssteigernder Mittel.
Das auch als „Hirndoping” bezeichnete Neuro-Enhancement ist Gegenstand ethischer und neurobiologischer Debatten. Hirndoping ist ein Feld, dass von der alltäglichen Nutzung legaler Substanzen bis hin zur Einnahme und dem Missbrauch verschreibungspflichtiger Medikamente wie Ritalin reicht. Dementsprechend wird auch zwischen Hard- und Soft-Enhancement unterschieden. Hard-Enhancement umfasst alle jene Substanzen, die verschreibungspflichtig sind oder unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, wohingegen Soft-Enhancing legale Inhaltsstoffe wie Koffein, Teein oder Vitamine umfasst. Auch in der HIS-Studie wird zwischen Hirndoping und nicht-medikamentösem Soft-Enhancement unterschieden, womit nach dieser Unterscheidung fünf Prozent der befragten Studierenden medikamentöses Hirndoping betreiben.
Immer mehr Studenten betreiben Hirndoping – vor allem in der Prüfungszeit
Bezüglich der Frage wer und wie viele Personen tatsächlich Hirndoping betreiben, fehlt es an verallgemeinerbaren und empirisch einwandfreien Daten, wie Maximilian von Heyden, Mitarbeiter im Projekt „Rebound” am Institut für medizinische Psychologie der Universität Heidelberg mitteilt. Rainer Holm-Hadulla, Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle an der Universität Heidelberg, konstatiert einen Anstieg: „Grundsätzlich glaube ich aus der alltäglichen Erfahrung und auch aus der Befragung von niedergelassenen Ärzten, dass wir eine Zunahme bei Studierenden verzeichnen können. Aber auch in der Allgemeinbevölkerung nimmt der Gebrauch von psychoaktiven Substanzen besonders von Antidepressiva und Mitteln gegen Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörungen zu.” Gleichzeitig verweist er darauf, dass besonders bei illegalen Drogen eine hohe Dunkelziffer zu erwarten ist.
Die genutzten Substanzen sind mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Dazu gehören nicht nur Amphetamine, sondern auch Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie Cannabis, Methylphenidat oder Kokain. Die Nebenwirkungen die mit dem Konsum solcher Substanzen einhergehen, sind erheblich: „Es gibt gravierende Risiken, einmal körperlich, zum Beispiel Blutdruckkrisen und Herzrhythmusstörungen, Abhängigkeitsentwicklung und auch Verhaltensrisiken wie Unfälle aller Art”, sagt Holm-Hadulla.
Medikamentöse Eingriffe stören den Verarbeitungsmodus des Gehirns
Warum greifen Studierende zu Medikamenten? In der HIS-Studie wird auf das subjektive Stresslevel sowie Persönlichkeitsmerkmale verwiesen. So haben die Studierenden, die zu Medikamenten greifen, eher schlechtere Fähigkeiten, organisiert und geplant zu arbeiten und zu lernen – die Annahme ist, dass sie diese Probleme durch Hirndoping zu kompensieren versuchen. Allerdings ist das ein Trugschluss. Denn bei komplexen intellektuellen Leistungen helfen psychoaktive Substanzen nicht, es sei denn, es liegt tatsächlich eine Aufmerksamkeitsdefizit-Störung vor: „Diese Mittel können im Normalfall kurzfristig die Wachheit erhöhen, man kann tatsächlich mit solchen Mitteln eine Nacht durchlernen, aber leider hat man einen Rebound-Effekt, das heißt man ist dann doch häufig zwei, drei Tage in der Leistung beeinträchtigt. Wenn man statt der durchlernten Nacht sein Arbeitspensum auf drei Tage à vier Stunden verteilt hätte, wäre die Leistung wesentlich besser”, erklärt Holm-Hadulla und verweist auf ein weiteres Problem: Gelerntes wird nur im sogenannten Ruhemodus des Gehirns weiter verarbeitet. Erst so hat es die Chance, sich zu festigen.
Medikamentöse Eingriffe stören diesen besonderen Verarbeitungsmodus: „Die Steigerung der Aufmerksamkeit und der Konzentration führt auch dazu, dass das kombinatorische Denken nachlässt. Dies ist zum Beispiel an dem Tunnelblick nach Einnahme von Amphetaminen und verwandten Stoffen ablesbar.” Auch von Heyden verweist auf den geringen Mehrwert der Einnahme: „Im Wesentlichen ist die Evidenz für eine Verbesserung eher gering – was es auf jeden Fall bringt ist, dass man seine Wachheit und Konzentrationsphase steuern kann, im Sinne eines Nullsummenspiels aber das heißt: Was ich mir jetzt nehme, das muss mein Körper trotzdem irgendwann nachholen. Stimulierende Substanzen führen nämlich nicht von außen Energie zu, sondern versetzen den Körper in einen Zustand, indem er wie in einem Notfallprogramm auf seine Kraftreserven zurückgreift.“
Laut HIS-Studie sind die Studierenden, die Hirndoping betreiben signifikant stärker von Nervosität, Unsicherheit und Stress betroffen als Studierende, die kein Neuro-Enhancement betreiben. Die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln, aber auch Beruhigungsmitteln wird, so die Autoren der Studie, von diesen Studierenden vor allem betrieben, um beruhigter arbeiten zu können. Neuro-Enhancement umfasst nämlich nicht nur das Aufputschen, sondern auch die Beruhigung, um die Leistung zu steigern, erklärt von Heyden: „Unter Neuro-Enhancement oder Hirndoping fällt nicht nur Stimulierendes, was die Konzentration steigert, sondern auch all das, was das subjektive Empfinden, dass man sich motivieren kann, verbessert. Und auf dieses Subjektive wirkt nicht nur Stimulierendes ein, sondern auch alles was beruhigt. Gerade wer Stimulanzien zur Leistungssteigerung verwendet, kann am Abend häufig kaum ein- oder schlecht durchschlafen. Hier ist die Versuchung besonders groß, die künstlich erzeugte Wachheit durch eine andere Substanz in der Nacht zu konterkarieren.“
Auch eine Studie unter Studierenden an drei Schweizer Universitäten aus dem Jahr 2013 kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie die HIS-Studie bezüglich der Konsumentenzahl und Konsummotivation. So haben gut 14 Prozent der befragten Studierenden mindestens einmal Substanzen konsumiert, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Laut dieser Studie werden aber vor Prüfungsphasen vorwiegend Soft-Enhancer wie Koffeintabletten täglich eingesetzt, nicht jedoch Hard-Enhancer wie Amphetamine oder Methylphenidate. Als Gründe gaben die Befragten Leistungsdruck innerhalb und außerhalb der Universität an.
Der Kaffee abends um 20 Uhr in nicht zu hohen Dosen ist kein Problem
Die Mittel des Soft-Enhancements sind weniger risikobehaftet. Der Kaffee abends um 20 Uhr, um noch wach zu bleiben, die Bachblütentropfen um sich, etwas beruhigter, besser konzentrieren zu können – in nicht zu hohen Dosen sind diese Methoden der Leistungssteigerung wohl eher ungefährlich. Dennoch eint alle Formen des Hirndopings – vom Kaffee bis zum Kokain – der Wunsch, die eigene Leistung zu optimieren. Von Heyden vermutet, dass es auch die gesellschaftlichen Anforderungen sind, die Hirndoping begünstigen: „Wir leben in einer Leistungsgesellschaft die Leistung fordert, die Leistung gutheißt, und wenn man sich den bioethischen Diskurs ansieht, zum Konsum psychoaktiver Substanzen zu Zwecken der Leistungssteigerung, so fällt auf, dass das als sehr positiv und ethisch vertretbar bewertet wird.” Auch Holm-Hadulla betont, dass gesellschaftliche Gründe das Betreiben von Hirndoping erklären können: „Das Neuroenhancement bedient eine grandiose gesellschaftliche Illusion: Dass ich ohne Arbeit geistige Leistung vollbringen kann, und deswegen ist das auch so attraktiv.”
Ohne Arbeit besser im Studium abzuschneiden – das geht wohl kaum. Wissen und Konsolidierung von Wissen braucht Zeit. Und doch kann man seine Leistung steigern, ohne den Illusionen des Hirndopings anheim zu fallen. Denn gute wissenschaftliche Leistung ist auch an einen guten Lebensstil gebunden. So weist Holm-Hadulla darauf hin, wie man die eigene geistige Leistung steigert: „Ein gutes Gleichgewicht von Anspannung und Entspannung, Disziplin und Freiheit. Nach oder zwischen konzentrierten Arbeitsphasen helfen lange Spaziergänge oder andere Arten ungestörter körperlicher Betätigung. Inspirierende persönliche Kontakte, kulturelle Aktivitäten und Lebensfreude können gleichermaßen leistungsfördernd sein.“
[box type=“info“ align=“aligncenter“ ]Info: Viele der zum Hard-Enhancement eingesetzten Substanzen unterliegen betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften. Sie sind Bestandteile von Medikamenten, aber auch von illegal gehandelten Drogen. Die Wirkung richtet sich maßgeblich nach der Dosis.
Amphetamin ist eine synthetisch hergestellte Substanz, die Bestandteil von Medikamenten gegen Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) ist. Es ist zudem Wirkstoff der als „Speed“ und „Meth“ gehandelten Drogen. Amphetamine wirken anregend und stark stimulierend.
Methylphenidat ist ein Derivat des Amphetamins und ebenso Wirkstoff in Medikamenten gegen ADHS und Narkolepsie. Es wirkt ähnlich wie Amphetamin abhängig von der Dosis anregend und aufregend, und steigert kurzfristig die Konzentrationsfähigkeit.
Betablocker sind Arzneimittel, die bei Bluthochdruck und Herzkreislauferkrankungen verschrieben werden. Sie blockieren die Wirkung körpereigener Stresshormone. Missbräuchlich eingesetzt steigern sie Konzentration und Wachheit. Betablocker stehen in manchen Sportarten auf der Dopingliste. Der Einsatz solcher Substanzen ist nicht neu – so wurden beispielsweise im Zweiten Weltkrieg sowohl im deutschen, als auch im amerikanischen Militär Substanzen wie Methylamphetamin bei Soldaten eingesetzt, um Erschöpfungs- und Angsterscheinungen entgegenzuwirken.[/box]
von Madalina Draghici