In kürzester Zeit bringen die Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme Stadt und Universität Heidelberg unter ihre Kontrolle. Widerstand müssen sie dabei nicht fürchten: Schon seit Jahren sind sie hier die stärkste politische Kraft.
Am 17. Mai 1933 spielt sich auf dem Heidelberger Universitätsplatz eine gespenstische Szenerie ab. Einst war Heidelberg ein Zentrum deutscher Literatur gewesen, hatte Dichter wie Goethe oder Hölderlin angezogen. Nun werden auf einem meterhohen Scheiterhaufen Bücher verbrannt. Gustav Adolf Scheel, Hochschulgruppenführer des Nationalsozialistischen Studentenbundes (NSDStB) hat die Verbrennung maßgeblich mit organisiert, hat die Kontakte zwischen Studentenschaft, Partei, SA und SS geknüpft. Jetzt hält er die Eröffnungsrede, spricht vom Kampf gegen „jüdisch-zersetzende, marxistisch-bolschewistische und gegen gemein-frivole Schriften“ und fordert, das Volk zu befreien „vom Geist eines Gumbel, eines Remarque, eines Heinrich Mann, eines Kurt Tucholsky und wie die Verbrecher am deutschen Geist alle heißen mögen.“ Auch aus der Stadtbibliothek, der Universitätsbibliothek und der Studentenbücherei werden missliebige Schriften entfernt – die Bücher jüdischer Autoren, sexualwissenschaftliche oder erotische Literatur, Bücher mit Geheimcodes sowie statistische Werke, die für militärische Studien verwendet werden könnten.
In Heidelberg verläuft die Machtübernahme der Nazis weitestgehend reibungslos, denn die Stadt am Neckar ist schon vorher tiefbraun. Bereits 1930 stellt die NSDAP die stärkste Fraktion im Stadtrat. Dabei hatte es lange Zeit gar nicht danach ausgesehen.
In den „goldenen Zwanzigern“, als die krisengeschüttelte Weimarer Republik sich kurzzeitig erholt, erlebt auch die Stadt am Neckar eine Blüte. Auch hier legen die demokratischen Parteien zu; Der sozialdemokratische Reichspräsident und Mitbegründer der Republik, Friedrich Ebert, ist der berühmteste Sohn der Stadt. Heidelberg wird Festspielstadt und erringt als solche binnen kürzester Zeit hohes Ansehen. Berühmte Festredner wie Thomas Mann, Gerhard Hauptmann oder Gustav Stresemann loben die Festspiele, Carl Zuckmayer betont in seinen Erinnerungen ihren „modernistischen Qualitätscharakter“. Von der Universität gehen wichtige Impulse zur intellektuellen Debatte aus, Größen wie der Soziologe Alfred Weber oder der Philosoph Carl Jaspers lehren hier. Die meisten Professoren sind Vernunftrepublikaner, viele Mitglieder der „Vereinigung verfassungstreuer Hochschullehrer“. Am gerade errichteten Gebäude der neuen Universität prangt der Schriftzug „dem lebendigen Geist“, darüber thront eine Darstellung der Pallas Athene – der Göttin der Vernunft.
Aber als es nach 1929 zur Krise der Republik kommt, schlägt auch in Heidelberg die Stimmung um. Während die Arbeiterstadt Mannheim bis 1933 fest in der Hand kommunistischer oder sozialdemokratischer Regierungen ist, haben in Heidelberg die Nazis schon 1930 die Mehrheit. Hitlers Einbindung des bürgerlichen Lagers funktioniert in Heidelberg offenbar schon früher als an vielen anderen Orten. Bei den Professoren tritt verstärkt antidemokratisches und antisemitisches Gedankengut zutage. Auch die Studenten radikalisieren sich. Bei den Wahlen zum Allgemeinen Studierendenausschuss (AstA) 1933 erringt der NSDStB 18 von 39 Stimmen und ist damit stärkste Kraft. Wenig später schaffen er den Ausschuss ab, lösen Korporationen und Verbindungen auf (oder integrieren sie) und machen Jagd auf jüdische und andersdenkende Studenten und Professoren.
Der parteilose Oberbürgermeister Carl Neinhaus bietet nach der „Machtergreifung“ zunächst seinen Rücktritt an, wird dann allerdings von der NSDAP gebeten, im Amt zu bleiben. Er nimmt das Angebot an – ob aus Opportunismus oder mit dem Ziel, Schlimmeres zu verhindern, ist bis heute ungeklärt. Fortan regiert er unter Kontrolle der Nazis. Der Stadtrat wird aufgelöst und durch ein sogenanntes „Ratsherrenkollegium“ ersetzt, das keine wirkliche Entscheidungsgewalt hat. Dem autokratischen Regierungsstil von Neinhaus kommt diese Regelung entgegen. Auch die Verfassung der Universität wird ausgehöhlt. Die Gremien bleiben bestehen, sind aber entmachtet. Die akademische Selbstverwaltung ist damit faktisch aufgehoben. Die Universität wird dem neuen Regime unterstellt, ihre Linientreue vom NSDStB kontrolliert. Ironischerweise haben ausgerechnet jetzt die Studenten so viel Macht wie niemals sonst in der Geschichte der Heidelberger Universität – sofern sie sich zum Nationalsozialismus bekennen.Selbst in die Symbolik greifen die neuen Herrscher ein. Statt „dem lebendigen Geist“ steht nun „dem deutschen Geist“ über dem Eingang zur neuen Uni. Und auch die Athene wird ersetzt, durch den Reichsadler.
von Michael Abschlag