Gesellschaftskritik verpackt in heimtückischer Boshaftigkeit: Alligatoah begeistert mit „Triebwerke“
Hört, hört! Der Virtuose Alligatoah gibt seit Ende letzten Jahres Konzerte in ganz Deutschland und ließ sich am 15. Dezember in der Halle02 blicken. „Reise nach Jerusalem“ nennt er seine Tour. Jeder kennt dieses Spiel, am Ende bleibt nur ein Stuhl übrig. Dieser ist reserviert für Alligatoah, „denn der Lebensraum auf Gottes grüner Erde wird knapp und so sehr wir auch kreischend im Kreis rennen und mit beiden Armen in der Luft versuchen nicht im Strudel des Alltagsstresses unterzugehen, am Ende ist in unserer Gesellschaft einfach nicht genug Platz für jeden“, erklärt er in seinem Tour-Trailer. Gekleidet im Safari-Outfit mit BattleBoi Basti als Butler erzählt er an diesem Abend seine Geschichte.
Lukas Strobel heißt der 1989 geborene Niedersachse eigentlich. 2006 ruft er Alligatoah ins Leben und produziert Attntaat, sein erstes Album. Nach zwei weiteren Alben nimmt ihn 2011 das Label Trailerpark unter Vertrag. Am 2. August 2013 veröffentlicht Alligatoah sein Album „Triebwerke“ und steigt auf Platz eins der Albumcharts ein.
Kassenschlager wurde das Lied „Willst du“. „Willst du mit mir Drogen nehmen?“, singt Romeo, denn zusammen untergehen, das ist die neue Romantik. Zu dem berauschenden Text zupft Alligatoah seine Gitarre, die Melodie geht einem nicht mehr aus dem Kopf.
Aber ist das Rap? Nicht so richtig, denn Alligatoah benutzt seine Singstimme, man hört sowohl Akustik- als auch E-Gitarren, Elektrobeats, Zirkussounds, Harfe, Klavier und Geigen. Dennoch ist es beim Battlerap üblich, andere zu beleidigen, aggressiv zu sein und Fäkalsprache zu benutzen, weshalb Alligatoah den Anschein gibt, sich diesen Regeln zu beugen. Diese Merkmale lassen sich beispielsweise in „Wunderschöne Frau“ erkennen, ein Lied, in dem er sich über die „schlechtesten Transvestiten der Welt“ lustig macht. In „Erntedank“ beleidigt er Frauen und versucht ihnen mit zahlreichen Vergleichen klarzumachen, dass sie nicht von Dauer sind. Männer sind eben Nomaden und müssen ihre Fleischeslust stillen.
Verhaltensweisen von Personen oder der Gesellschaft kritisieren, das ist Alligatoahs Passion. Dazu schlüpft er von einer Rolle in die andere. Mal ist er in „Fick ihn doch“ von Eifersucht zerfressen und spioniert seiner treuen Freundin hinterher, mal ist er in „Prostitution“ ein geldgieriger ehrenloser Schleimer, der seinem Chef die Fußnägel schneidet. Hört man das Lied „Amnesie“, fragt man sich: „Ist die Tussi blöde?“. Egal, was der Ehegatte tut, sie verzeiht ihm, er überhäuft sie schließlich mit Kleidern, Juwelen und Blumen, natürlich alles mit ihrer Kreditkarte bezahlt.
Und wie erobert man Frauen? Du zeigst ihnen deine Blessuren und erzählst ihnen von deinen gefährlichen Abenteuern, wie Lukas in seinem Lied „Narben“ rät. Bald wird sich eine ganze Schar von Krankenschwestern um dein Bett versammeln, um dich gesund zu pflegen.
Und zum Abschied das „Trauerfeier Lied“. Ein Loblied auf sich selbst. Er wird irgendwo in der Wildnis begraben, fünf Leute sind gekommen, darunter ein Mädchen und ein Gärtner, die im Busch landen und eine Frau, die ihm wütend aufs Grab spuckt. Zu dem Trauerspiel erklingen Geigen. Traurig, wenn man nie wusste, was für ein Bild die anderen von einem hatten.
Dieser Ideenreichtum ist beeindruckend.Zum Totlachen sind seine ironischen Texte, in denen die heimtückische Boshaftigkeit erst auf den zweiten Blick zum Vorschein kommt. Er will, dass sich die Leute Gedanken machen und diskutieren, man müsse ihnen nicht alles erklären, sagte er in einem Interview. Sein Album „Triebwerke“ ist das erfolgreichste Werk des Hauses Trailerpark. Zurecht. Chapeau, Herr Zeremonienmeister!
von Sandra Hadenfeldt