Science Slams und wissenschaftliche YouTube-Videos kommen bei der breiten Öffentlichkeit gut an
„Die Charakterisierung der oralen Mikrobiota von frugivoren Fledermäusen aus den Neotropen“. Was bitte? Viel zu kompliziert? Ach, das geht auch einfacher. Es bedeutet „Karies bei Fledermäusen“, erklärte Benjamin Stegmann auf dem ausverkauften Science Slam im Karlstorbahnhof. Er studiert Biologie an der Uni Ulm und schreibt gerade seine Doktorarbeit.
An diesem Abend sollten sich die zahlreichen Zuschauer nicht langweilen, sie sollten lernen und lachen und den unterhaltsamsten der vier Kandidaten zum Gewinner küren. Also mische man zehn Minuten lang Wissen mit Witz und heraus kommt das: „Warum haben Fledermäuse eigentlich keine Karies, wenn sie täglich ihr eigenes Körpergewicht an Feigen verzehren? Die Art Artibeus jamaicensis frisst so 50 bis 60 Gramm. Ein durchschnittlich schwerer Mensch müsste 113 Liter Cola am Tag trinken, um eine vergleichbare Zuckermenge aufzunehmen. Jetzt wissen wir auch, warum Fledermäuse nachtaktiv sind.“
Johannes Schildgen, der Gewinner dieses Abends, ist Informatiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Kaiserslautern. Er erklärte dem Publikum, wie Amazon-Empfehlungen funktionieren: „Jeder kennt das, wenn man bei Amazon einkauft, dann steht da unten ‚Kunden, die das gekauft haben, kauften auch‘. Nachdem ich mir ‚World of Warcraft‘ gekauft hatte, wurde mir der Clearasil Pickelstift vorgeschlagen.“
Das bleibt einfach im Kopf. Aber ist es sinnvoll, Wissenschaft lustig zu verpacken und so einer breiten Öffentlichkeit zu erklären? Karl Heinz Meier, Professor am Kirchhoff Institut für Physik an der Uni Heidelberg sagte dazu: „Eine Gesellschaft, in der magnetisiertes Wasser gekauft wird und in der kaum jemand weiß, warum sein Telefon mit dem des Nachbarn kommuniziert, befindet sich auf dem Weg zur kollektiven Dummheit. Bei der Vermittlung fundamentaler Tatsachen der Naturwissenschaften sind daher meiner Ansicht nach alle Mittel erlaubt. Insbesondere auch so sensationsheischende Events wie Slams und ähnliche. Die gute Sache rechtfertigt alle Mittel.“ Karl Heinz Meier kennt sich mit öffentlicher Wissenschaft aus, denn er produziert selbst YouTube-Videos, in denen er physikalische Phänomene vereinfacht erklärt.
In den letzten Jahren erschienen wissenschaftliche Themen immer öfter in den Medien. 1993 startete das Wissenschafts-Fernsehmagazin „Quarks und Co“ mit dem Physiker Ranga Yogeshwar. Von 1998 bis 2003 moderierte der Mediziner Eckart von Hirschhausen die Ratgebersendung „Service: Gesundheit“ im Hessischen Fernsehen. Ende 2004 brachten der Süddeutsche-Verlag und der Zeit-Verlag zwei neue Wissensmagazine auf den Markt. Laut der Marktforscher beider Häuser war das Interesse der Leser an wissenschaftlichen Themen gestiegen. Sat.1 strahlte 2004 zum ersten Mal die Fernsehsendung „Clever! – Die Show, die Wissen schafft“ aus. Zusammen mit Barbara Eligmann erklärt Wigald Boning Alltagsphänomene anhand von Experimenten. 2004 wurde auch die Videoserie „Minute Physics“ von dem Amerikaner Henry Reich ins Leben gerufen. In seinen auf YouTube publizierten Beiträgen erläutert er mittels Zeichnungen beispielsweise, warum Pink gar keine Farbe ist oder wie groß man sich das Universum vorstellen kann. Die Amerikaner Hank und John Green entwickelten die Serie „Crash Course“ und veröffentlichten sie erstmals im Jahre 2012. Während Hank Green naturwissenschaftliche Themen erläutert, informiert John Green über wichtige Personen und Ereignisse der US-amerikanischen Geschichte. Natürlich darf man auch nicht die Physiker Joachim Bublath oder Vince Ebert vergessen, wenn es um wissenschaftliche Sendungen im deutschen Fernsehen geht.
Bei allem Spaß warnt uns Meier jedoch: „Dieser unterhaltsame, aber intellektuell dürftige Ansatz darf nicht die Universität infiltrieren. Dies beobachte ich mit Sorge. Physik ist in Wirklichkeit dann eben nicht Krach, Bumm, Bäng sondern schlicht harte Arbeit. Physiker und andere Naturwissenschaftler müssen die Grundlagen für zukünftige Technologien entwickeln und da helfen keine Slams oder Youtube-Videos.“
All diese YouTube-Serien oder Fernsehsendungen sind natürlich oberflächlich und auf das fachfremde Publikum ausgerichtet. Wichtig sei es, so Paul Eisewicht, einer der vier Science Slam- Kandidaten, die Balance zwischen Wissenschaft und Komik zu finden. Henning Gerlach von der Universität Neu-Ulm war in den Karlstorbahnhof gekommen um mit den Slammern zu konkurrieren. Er findet es sehr sinnvoll, Wissen mittels eines Slams zu verbreiten. Es sei wichtig, dass die Wissenschaftler aus der grauen Universität rauskämmen und ihr Wissen weitergäben. Tatsächlich sind Wissenschaftler viel offener gegenüber den Medien geworden. Dies hat eine weltweit umfassende Wissenschaftlerbefragung von 2009 zu dem Thema „Verhältnis zwischen Forschern und Journalisten“, geleitet von Hans Peter Peters vom Forschungszentrum Jülich, ergeben.
Die breite Öffentlichkeit ist also wissbegieriger geworden, die Wissenschaftler kommen aus ihrem Elfenbeinturm heraus und sind bereit, ihr Wissen zielgruppengerecht weiterzugeben. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Form das Wissen präsentiert wird, Hauptsache die Wissenschaft steht im Vordergrund.
von Sandra Hadenfeldt