Am 31. März zeigte John Neumeiers Bundesjugendballett die Inszenierung „The Loss of Innocence“ in der Hebelhalle. Zu überzeugender kammermusikalischer Untermalung präsentieren die acht Tänzerinnen und Tänzer verschiedene Choreografien im Rahmen des Heidelberger Frühlings.
Das erste Stück der sechsgliedrigen Aufführung heißt „Songs & Chansons“. Begleitet von der jungen Sopranistin Sonia Šarić und Kammermusik geben sich die Tänzerinnen und Tänzer des Bundesjugendballetts modern. Mit schwarzen Tüllröcken oder Anzugshosen zu hautfarbenen Oberteilen mit Tattoo-Druck stehen sich zwei Gruppen gegenüber, tanzen um-, mit- und gegeneinander. Neckisch, selbstironisch stellen sich die Tänzerinnen zu französischen Chansons dar, während die Herren sie von Barhockern aus beobachten. Einer von ihnen beginnt ein Solo. Mit Hebungen und Bodenfiguren zeigt das Ensemble sein Können. Der Tanz ist kraftvoll und dynamisch. Die Choreografie wirkt anspruchsvoll ohne sich ernst zu nehmen. Häufig tragen sich die Tänzer über die Bühne, stoßen sich weg oder ziehen einander an. Verspielt, unschuldig und fröhlich umwirbt sich ein Paar, während Saric „let’s fall in love“ trällert. Zuletzt trägt die Ballerina ihren Verehrer von der Bühne.
Ganz im Gegensatz zu der frühlingshaften, freien Leichtigkeit des Anfangs steht „Helmbedeckt“, eine Choreografie von Patrick Eberts. Das Licht wird abgedunkelt, weißer Nebel verdeckt nicht ganz die Soldatenhelme, die über den Boden verteilt liegen. Der erste Weltkrieg ist ausgebrochen. Männer werden zu Soldaten, ihre Frauen richten sie zum Abschied im Soldatengruß. Zunehmend beklemmender wird die Musik, bis die Tänzer alle Helme von der Bühne getragen haben.
Weniger symbolhaft kommen die Petruschka-Variationen daher, wenn die Tänzer in orangenen Kostümen über die Bühne springen. Sie fahren Auto, sind verwundert, drücken Entdeckungsfreude und Erstaunen aus. Charakteristisch für die gesamte Aufführung ist die Mischung aus modernen und klassischen Elementen, die hier deutlich wird, wenn die gleichen Künstler erst auf Spitze tanzen, um anschließend mit geflexten Füßen Bewegungen zeigen, die entfernt an Ausdruckstanz erinnern.
Nach einer Pause beginnt John Neumeiers „In the Blue Garden“. Fast schon episch, erzählend wirkt die Inszenierung. Ein rotes Schiff bringt verschiedene Figuren zu der Spielstätte. Darunter sind ein blinder Matrose, ein Mädchen, eine verschleierte Witwe, ein vermummter Mann im schwarzen Mantel und ein asiatisch gekleideter Fremder. Nicht mehr die Gruppe steht im Vordergrund, sondern die einzelnen Charaktere, die eine Geschichte erzählen wollen. Die Handlung selbst bleibt jedoch unverständlich. Der schwarze Mann wirkt bedrohlich. Er trägt eine weiße Rose, die die anderen anzuziehen scheint. Plötzlich rollt ein langer Tisch auf die Bühne, der Mann ergreift ein Messer, bedroht das Mädchen. Er wirft ihr einen Apfel zu und sie verschwindet.
Ist er der Tod? Wofür steht die Vermummung? Was verbindet die Figuren?
Auch der Blinde trifft auf den schwarzen Mann, dann irrt er orientierungslos umher, bis das Mädchen ihm seine Sonnenbrille zurückgibt. Es folgen lange Zeiträume völlig ohne Musik, der Zuschauer muss viel warten, Szenen wiederholen sich. Wenn der Nachmittag mit einem zweiten Aufeinandertreffen von Mädchen und schwarzem Mann endet und sie ihm seinen Mantel und Hut nimmt, möchte man fast Brecht zitieren: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Die Choreografie schafft es nicht, die Spannung zu halten. Der Schluss hat Längen und bleibt ohne Höhepunkt.
Dass das Bundesjugendballett künstlerisch überzeugt, braucht man kaum zu betonen. Die beiden letzten Teile wirken allerdings befremdlich. Wie willkürlich aneinandergefügt lassen sie den Zuschauer nachdenklich und unbefriedigt zurück. Da helfen auch die Erläuterungen des Programms nicht, dass sich die Petruschka-Variationen nicht aus einer „Reihe von Tänzen [zusammensetzen] , deren Ursprung und Inspiration von der Form, dem Rhythmus und der Stimmung der Musik bestimmt sind“ und „In the Blue Garden“ „ein Zusammenkommen für eine begrenzte Zeit von verschiedenen, nicht zusammenpassenden Typen“ darstellt.
Schon allein das Niveau der Tänzer und Musiker machen das Stück dennoch sehenswert.
von Janina Schuhmacher
[box type=“info“ align=“alignleft“ ]Noch bis zum 12. April treten 700 Künstler aus 14 Ländern im Rahmen des Heidelberger Frühlings auf, der im letzten Jahr fast 35.000 Besucher anlockte. Gemeinsam ist den Veranstaltungen das übergreifende Thema „Parallelgeschichten“ nach einem Roman von Peter Nódas. Das Festival will die Vielschichtigkeit der Epochenwende des 20. Jahrhunderts mit dem Anbruch des neuen Jahrtausends in Bezug setzen. Studenten zahlen an der Abendkasse nur acht Euro. Kostenlos sind Veranstaltungen der Festival Akademie, die einen Austausch zwischen Künstlern und Gästen ermöglichen will. Das gesamte Programm sowie weitere Informationen finden sich hier.[/box]