Heidelberg bewirbt sich in diesem Jahr um den Titel
„Unesco City of Literature“.
Nicht alle finden das gut.
Ach, das literarische Erbe Heidelbergs! Da sind „Des Knaben Wunderhorn“, Stefan Georges mystische Dichtung und ein Gingkobaum für Goethe. Joseph von Eichendorff, Friedrich Hölderlin, Hilde Domin. Dieses Jahr feiert die Stadt Muhammad Iqbal, den berühmtesten Dichter Pakistans und erklärten Heidelberg-Liebhaber. Die Liste ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen. Kein Wunder also, dass Heidelberg sich in diesem Jahr um den Titel „Unesco City of Literature“ bewirbt.
Doch sind es die Zahl der Gedenksteine und die unvermeidliche „Hier wohnte Goethe“-Plakette, die eine Stadt für das Unesco-Prädikat qualifizieren?
Heidelberg hat unbestritten eine bemerkenswerte literarische Tradition; mehr als ein Meisterwerk wurde hier verfasst. Geht es um die Infrastruktur? Auf diesem Feld schlägt Heidelberg mit 1,5 Buchhandlungen und 1,3 Verlagen pro 10.000 Einwohnern sogar Berlin. Was macht eine Stadt zur Literaturstadt? Über diese Frage lässt sich, wie die Diskussion um die kürzlich eingereichte Bewerbung gezeigt hat, streiten.
Vier Säulen gebe es, die das literarische Profil einer Stadt ausmachten, erklärt Frank Zumbruch, Projektleiter der Literaturstadtbewerbung. Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft, Kultur und Technologie – auf all diesen Gebieten hat Heidelberg einiges zu bieten, wie man in der 150-seitigen Bewerbung sehr anschaulich nachlesen kann. Neben Schriftstellern und literarischen Institutionen werden hier zum Beispiel auch die Heidelberger Druckmaschinen und Lamy-Schreibgeräte angepriesen.
Dennoch gibt Zumbruch zu, dass es bei der Bewerbung bei der Unesco vor allem auf andere Dinge ankomme. Es gebe besondere Auflagen, die eine Stadt erfüllen müsse, um sich als Literaturstadt zu bewerben, das literarische Erbe sei hierbei nicht das Entscheidende. Vielmehr stehe die kulturelle Zusammenarbeit mit den anderen UNESCO-Kulturstädten im Vordergrund. Ein Netzwerk zu bilden, das einen Austausch ermögliche, denn solche Initiativen stärkten, so die Hoffnung der Unesco, den Frieden und das sei es ja, meint Zumbruch, worum es der Organisation in erster Linie gehe.
Und wie schätzt er, der die letzten Jahre an dieser sehr umfangreichen und aufwendigen Bewerbung gearbeitet hat, die Chancen ein, dass Heidelberg dies auch tatsächlich schafft?
Da ist er optimistisch: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass die UNESCO uns in dieses Netzwerk aufnehmen wird.“ Es könne aber einfach formale Gründe haben, dass es vielleicht nicht in diesem Jahr, sondern später klappt. Die UNESCO versuche, überall auf der Welt vertreten zu sein und politisch instabilen Regionen mittels Kultur und Bildung Stabilität zu verleihen. Deshalb habe aus aktuellem Anlass die Mitbewerberstadt Lwiw in der Ukraine gute Chancen, in das Netzwerk aufgenommen zu werden. Rein geographisch sei es wahrscheinlich, dass die UNESCO ihre Anker auch nach Kampala in Uganda und Dunedin in Neuseeland werfen wolle, Regionen, in denen sie bisher noch kaum vertreten sei. „Wenn man davon ausgeht, dass die eine gute Bewerbung haben, würde ich sagen, dass die drei gesetzt sind“.
Wie wichtig ist also Heidelberg, die Stadt als Ort mit ihrem literarischen Angebot, und was ist nur Politik?
Am 24. April kritisierte der Heidelberger Dichter Michael Buselmeier in der Rhein-Neckar-Zeitung die Bewerbung und besonders ihre Vernetzungsprojekte recht drastisch:
„Mit literarischem Schreiben, überhaupt mit Gedrucktem, mit Büchern und ihrer Geschichte, haben solche populistischen (Online-)Unternehmen, die die Literatur für fremde Zwecke (interkulturelle Bildung, Tourismus, Partnerschaft, Gastronomie) benutzen, nichts gemein.“
Obwohl er beinahe sein ganzes Leben in Heidelberg gewohnt und publiziert habe, habe er nie das Gefühl gehabt, in einer „Literaturstadt“ zu wohnen. Denn dazu gehörten doch auch eine „literarische Atmosphäre“ und „avancierte Leser“, die Zeitschriften abonnierten und Buchhandlungen besuchten.
Wo ließe sich denn, zum Beispiel, ein wenig literarisches Flair in Heidelberg finden?
Am Kornmarkt hat vor beinahe einem Jahr ein neuer Buchladen aufgemacht. Klein und fein, ein Buchladen wie Clemens Bellut, der Besitzer, ihn in Heidelberg suchte und nicht fand. Wo man Literatur als „Dichtung“ versteht und nicht unbedingt zwischen Unterhaltung und „Ernsthaftem“ unterscheidet. In seinem Laden versucht er nun, seiner Vorstellung von Literatur einen Raum zu geben. Nicht nur im metaphorischen, sondern auch durchaus im praktischen Sinne: Die Regale wurden extra für seinen Laden angefertigt, ein Lichtdesigner wurde engagiert. „Artes Liberales“ ist nicht einfach nur ein neuer Buchladen, sondern eine Idee, ein Konzept. Es geht nicht nur darum, Bücher zu verkaufen, sondern ein Treffpunkt für Gleichgesinnte zu sein. Am Fenster steht ein Tisch, wer will, kann sich hinsetzen, lesen, arbeiten, gerne auch mit einem Kaffee vom „Grano“ nebenan.
Was Bellut von der Literaturstadtbewerbung hält? Da sei er zwiegespalten. Die Idee der Bewerbung fände er großartig und er habe auch großen Respekt vor all der Arbeit, die dahinterstecke. Aber so ganz seinen Vorstellungen entspreche es eben nicht.
„Ich muss auch Herrn Buselmeier in vielen seiner Punkte Recht geben. Denke ich an eine Literaturstadt, dann wäre mir nicht das Konzept dieser Bewerbung in den Sinn gekommen.“
Auch habe er „eine grundsätzliche, tiefe Abneigung“ gegen Marketing. Wenn er schon die pinken Broschüren sehe, werde ihm ganz anders. Dennoch spricht er sehr warmherzig von allen Beteiligten, mit Frank Zumbruch sei er immer gerne in guter und strittiger Zusammenarbeit verbunden. Nur aus dem Politischen hält er sich raus.
„Als ich vor zwei Jahren hierher kam, habe ich mir fest vorgenommen, mich an all dem nicht zu beteiligen. Weder an den Debatten um die Unesco-Bewerbung, noch an denen um das Literaturhaus.“
Ist es also so, dass man klar trennen muss zwischen denen, die auf kultur- wirtschaftlicher und denen, die auf kultureller Seite stehen? Zwischen denen, die die Bücher vermarkten und denen, die sie schreiben? Genau das, sagt Zumbruch, bedauere er und deshalb verstehe er besonders Buselmeiers Kritik nicht: „Es ist doch gut, wenn wir uns darum kümmern, dass Schriftstellern ein Raum gegeben wird, aber man muss eben auch wirtschaftlich denken, sonst funktioniert es nicht.“ Dennoch bleibt Zumbruch sehr vage, wenn man ihn fragt, was sich denn konkret ändern würde, sollte Heidelberg tatsächlich Literaturstadt werden. Das derzeit ebenfalls heiß diskutierte Literaturhaus und ähnliche Projekte hätten dann sicher bessere Chancen, doch bleibt erst einmal die Entscheidung der UNESCO abzuwarten. Im Oktober soll sie spätestens fallen.
Ob der Titel nun nötig ist oder nicht, darüber mag man sich streiten. Bleibt zu hoffen, dass die Kampagne nicht nur zum Netzwerken mit dem Rest der Welt führt, sondern auch Heidelberg zu einer Stadt der lebendigen Literatur macht.
von Anna Vollmer und Enrico Nahler
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