Was kann der Mensch wissen? Was ist der Mensch? Wen haben die kantischen Fragen noch nicht beschäftigt? Es ist ein existentielles Bedürfnis der Menschheit, herauszufinden, woher wir kommen. Dementsprechend groß ist das Interesse an einer Wissenschaft, die Anspruch darauf hat, Antworten zu finden: Der Astrophysik.
So auch Ralf Klessen, Professor für Astrophysik am Institut für theoretische Astrophysik in Heidelberg. „Mich hat schon immer fasziniert, wie alles funktioniert, wie der Zusammenhalt und die Gesetzmäßigkeiten dahinter sind“, sagt Klessen. „Allerdings war ich nie Hobbyastronom. Dafür war es mir draußen immer zu kalt und dunkel. Außerdem sieht man nie wirklich etwas, vielleicht einmal ein paar Saturnringe.“
Jetzt beschäftigen er und seine Arbeitsgruppe sich mit Themen wie Galaxien-Dymanik, interstellarer Turbulenz und der Entstehung der ersten Sterne. Für Letzteres hat er Ende 2013 den ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates erhalten, der mit 2,5 Millionen Euro Fördermittel dotiert ist, die über fünf Jahre verteilt werden. Das geförderte Forschungsprojekt „Starlight: Formation of the First Stars“ startete im Februar 2014. „Ich glaube, ich habe den Grant bekommen, um die bisherigen Vorhersagen weiter zu verfeinern, da vieles bisher nur Spekulation ist.“ Bisher wurde noch kein Stern der ersten Generation entdeckt. Kein Wunder, denn die meisten existieren gar nicht mehr.
Aber wie kann dann der Anfang von Sternen untersuchen, die eine Milliarde Jahre nach dem Urknall entstanden? „Ich beneide manchmal die Experimentalphysiker, die messen können, was sie wissen wollen“, meint Klessen. Er muss „indirekt spekulieren“, um den Spuren der ersten Sterne zu folgen.
Das funktioniert auf zwei Arten: Zum einen mit einem Bereich der Astrophysik, die sich „Galaktische Archäologie“ nennt. Alles, was wir um uns herum sehen, ist Staub von explodierenden Sternen, die ihre Bestandteile beim Verglühen im All verteilten. Folglich besteht unser Sonnensystem aus den Elementen von älteren, nicht mehr existierenden Sternen. Die Forscher suchen nun nach Sternen der zweiten Generation, von denen es einige in unserer Galaxie gibt. Da sie direkt nach den Sternen der ersten Generation entstanden, bestehen sie aus deren Staub, was wiederum erlaubt, Rückschlüsse auf die Elementar-Zusammensetzung der ältesten Sterne zu ziehen. Anzeichen für einen Stern der zweiten Generation ist dessen „Fingerabdruck“, sein Spektralmuster, das auf sehr leichte Materialien wie Wasserstoff oder Helium hindeuten muss. „Man durchmustert den Himmel mit einem Teleskop, sucht sich interessante Sterne und bestimmt ihr Spektralmuster“, erklärt Klessen.
Die zweite indirekte Methode ist die Suche nach Gammastrahlen-Blitzen. „Bisher wurde angenommen, dass die Sterne erster Generation einzelne sehr massereiche Sterne waren. Wir glauben aber, dass es damals schon Cluster von Sternen mit mittlerer Masse gab, die oft Doppelsterne waren.“ Das sei wichtig, da die energiereiche Strahlung der Gammastrahlen-Blitze, die heute noch gemessen werden kann, entstehe bei einer Supernova, während der sich zwei Sterne sehr nahe kommen.
Mit diesen Daten und den Gesetzmäßigkeiten der Sternenentstehung, die bereits bekannt sind, will Klessens Arbeitsgruppe ein realitätsgetreues Modell der Entstehung der ersten Sterne entwickeln. „Wenn die Simulation mit den Beobachtungen übereinstimmt, suspicious sein, wenn nicht, dann hat man auch etwas gelernt.“ Das Hauptproblem bei Simulationen sei, dass kleine Einzelaspekte, die nicht in die Modellberechnungen mit einbezogen werden, das Ergebnis verfälschen oder verzerren können. So auch bei Simulationen der Sternentstehung: Die Geburtsstätten von Sternen sind mit Staub angereicherte dunkle und sehr dichte Gaswolken. „Wenn man ungefähr die Menge an Sand, der im Volleyball-Feld an der Neckarwiese liegt, nimmt und die Buddelkiste von hier bis zum Mond streut, hätte man die Sternenverteilung in der Milchstraße.“ Die Sandkörner sind die Sonnen, der Raum dazwischen ist mit Gas gefüllt. Innerhalb dieser Gaswolken entstehen durch das fundamentale Gesetz der Gravitation Sterne. Das war damals so, das ist heute so.
Allerdings gibt es einige der Gravitation entgegengesetzte Kräfte, deren Auswirkungen immer noch erforscht werden. Sie stellen die kleinen Einzelaspekte dar, die Simulationsrechnungen in eine falsche Richtung lenken können. Da wären Turbulenzen im Gas, Strahlungsdruck, wenn Photonen und Gasteilchen aufeinander treffen, und Magnetfelder die sich einander nicht nähern wollen. Die Methoden der Astrophysiker sind ausgefeilt, aber „die Spreu vom Weizen zu trennen, ist der Clou“, meint Klessen. Es gilt statistisch signifikante, möglichst realistische Ergebnisse zu erhalten. Darüber hinaus ist „ab einem gewissen Punkt alles Glaubenssache“, da dieselben Ergebnisse verschieden interpretiert werden können.
Skeptiker könnten sagen: Vielleicht werden einige fundamentale Fragen beantwortet, doch gibt es auch für die Allgemeinheit nützliche Ergebnisse? Ja, gibt es! Indirekt haben Astronomen dazu beigetragen, Gigapixel-Chips der neuen Generation zu entwickeln, die für astronomische Aufnahmen nötig sind. Außerdem ist die Optik in Teleskopen eine der weltweit Besten. So gesehen können die Tools der Astrophysiker in der Industrie als Vorbild genutzt werden, um beispielsweise noch bessere Kameras und Computer herzustellen.
von Monika Witzenberger