Das Human Brain Project ist eines von mehreren Großprojekten zur Simulation des menschlichen Gehirns. Forscher wollen Hirnkrankheiten verstehen und Erkenntnisse für Informations- und Kommunikationstechnologie gewinnen. Über Herausforderungen, Chancen und Grenzen des Projekts diskutieren Teilprojektleiter und Physiker Felix Schürmann und Psychologie-Professor Joachim Funke.
Professor Schürmann, das menschliche Gehirn nachzubauen klingt wie der Stoff einer Hollywood-Produktion. Was genau kann ich mir unter dem Projekt vorstellen?
Felix Schürmann: Es geht darum, Simulation als ein Werkzeug in den Baukasten der Wissenschaft hinzuzufügen, neben der Theorie, neben dem Experiment, um Dinge zu verstehen, die mit den anderen Tools nicht zugänglich sind. Wie in anderen Wissenschaftsbereichen, sollte es auch in der Biologie funktionieren: Dass man die Physik modelliert, die dem Gehirn zu Grunde liegt und dadurch Vorhersagen machen kann über die Prozesse, die im Gehirn stattfinden.
In den USA hat 2013 das Brain Activity Map Project begonnen mit dem Ziel, das menschliche Gehirn zu kartieren. In ihrem Vortrag sprachen sie von einem Forschungswettlauf. Wie erklären Sie sich diese Faszination des Menschen, das menschliche Gehirn zu verstehen?
Schürmann: Ich denke, die Faszination treibt den Menschen seit tausenden von Jahren um: Die Frage, was den Menschen möglicherweise besonders macht; die Tatsache, dass wir das Bewusstsein von uns selbst haben und dass wir das Bewusstsein dem anderen unterstellen können. Das sind Eigenschaften, die wir tagtäglich erleben und die uns ein grundsätzliches Interesse geben, das Gehirn zu verstehen. Neben dieser mehr philosophischen Fragestellung gibt es das Problem der hirnspezifischen Krankheiten: ein sehr bedrückendes Problem, einerseits für die Betroffenen und Angehörigen, andererseits in der ökonomischen Dimension. Das macht es notwendig, alle Möglichkeiten, die uns Wissenschaftlern zur Verfügung stehen zu nutzen, um die Situation zu verbessern.
Joachim Funke: Als Kognitionspsychologe würde ich natürlich sagen: Die Veränderungen des Gehirns sind das eine. Aber ganz maßgeblich für die Entfaltung von Symptomen sind Umgebungsparameter. Das wird bei Ihnen ja zurückgedrängt und, ich würde fast sagen, ausgeblendet.
Schürmann: Ein sehr guter Punkt. Die Entwicklungsbiologie ist eine weitere Dimension des ganzen Problems. Wir versuchen, den Gehirnzustand als Snapshot zu verstehen. Das heißt, man kann sich sehr wohl vorstellen, dass man ein entwickeltes Gehirn zu einem späteren Zeitpunkt beschreiben kann und durch Patientendaten beschreiben kann, wie dieses Gehirn sich in bestimmten Parametern von einem normalen oder einem anderen Gehirn unterscheidet.
Funke: Sie wollen den Transfer zwischen Maus und Mensch herstellen. Wir haben in Mannheim am Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mäusemodelle von Suchtverhalten. Man kann Suchtverhalten experimentell super untersuchen und überträgt die Erkenntnisse auf den Menschen. Das schlägt fehl. Warum? Weil eine kulturelle Dimension unseren Alkoholkonsum ganz erheblich moderiert.
Schürmann: Ich glaube, dass das einer der Gründe ist, warum Medikamentenentwicklung mittlerweile so schwierig ist, weil auch dort Mäusemodelle von menschlichen Krankheiten verwendet werden, bei denen das Medikament das Problem löst, aber beim Menschen eben nicht. Der Transfer ist nicht nur, dass man sagt: Ich mache das Experiment mit der Maus und deshalb glaube ich, es gilt im Menschen. Es geht darum, in der Maus Konstruktionsprinzipien der Gehirnphysik zu verstehen. Denn evolutionär gesehen sind viele Prinzipien erhalten.
Funke: Verstehen, wie das Gehirn funktioniert, hat noch eine tiefere Dimension als das Verständnis von Zellen und Ionenkanälen.
Schürmann: Das Verstehen des Gehirns bedeutet für unterschiedliche Disziplinen verschiedene Dinge. Ich würde Ihnen zustimmen, dass der Mensch als soziales Wesen Krankheiten hat, die andere Spezies so nicht aufweisen und dass das Einsichten sind, die man nicht so schnell bekommt. Ich würde die Frage umdrehen: Welche anderen Möglichkeiten haben wir denn, diese Forschung voranzubringen? Was wir vorschlagen, ist kein Ersatz für andere Forschung, sondern ein Instrument, diese Forschung zu ergänzen.
Es ist, als würde man einen High Speed Train sehen, der an einem vorbeirauscht.
Wie gut kann ein Computermodell das menschliche Gehirn erkären?
Schürmann: Momentan haben wir kein Computermodell, das das menschliche Gehirn erklären kann. Im Laufe der letzten acht Jahre haben wir ein Modell gebaut, ein Stück Hirngewebe eines Neokortex junger Ratten. Dieses Modell ist sehr spannend, weil es Konstruktionsprinzipien zeigt, Reaktionen des Gewebes auf Stimulationen.
Funke: Die normative Kraft solcher Modelle ist auf der einen Seite natürlich sehr schön. Auf der anderen Seite würde ich als Kreativitätsforscher sagen: das ist eine Behinderung, weil ich als Forscher in dem großen Verbund auf diese Rahmenvorstellungen festgelegt werde.
Schürmann: Eine der strategischen Implikationen von Großforschung ist, dass man sich einer Mission verschreibt. Wenn man zum Mond fliegen will, dann tut man das, was man dazu tun muss. Eine der Hauptingredenzien unseres Ansatzes ist es, eine Plattform für Wissenschaftler verfügbar zu machen. Was wir verfügbar machen, sind die Methoden, Modelle zu bauen. Sie können jetzt selbst entscheiden: Ich überschreite das.
Sie haben das Beispiel gebracht, einen Menschen zum Mond zu schicken. Viele Stimmen vergleichen das Human Brain Project mit der Apollo-Mission. Sehen Sie das auch so?
Schürmann: Es ist ein sehr plakativer Vergleich. Eine Parallele ist, dass es eine Vision gibt, die verschiedene Wissenschaftler davon überzeugt, überhaupt erst zusammenzuarbeiten. Das Apollo-Projekt hatte eine solche Vision und hat gezeigt, dass die Menschheit sich zusammenraufen kann und Dinge schaffen, die vorher so nicht denkbar waren. Wir haben aber ein anderes Umfeld, ein anderes Problem, andere Interessen. Ich würde das nicht als feindlichen Wettbewerb betrachten sondern als Projekte, die kollaborieren können.
Funke: Findet denn auch der Wissensaustausch innerhalb der 112 Partner statt? Das ist ja viel spannender, weil der Wettbewerb in den Wissenschaften dazu führt, dass ich versuche, meine Veröffentlichungen hochkarätig unterzubringen und wie Sie ihre unterbringen, gucken sie selbst. Wie wird sichergestellt, dass wir sehen: Alle Forscher in verschiedenen Teams arbeiten gemeinsam an einer großen Sache? Gibt es wie beim Higgs Boson eine Veröffentlichung mit tausend Namen?
Schürmann: Ich würde sagen, das CERN hat tatsächlich eine Vorbildfunktion. Hier wurde gezeigt, wie das funktionieren kann, wie sich hunderte von Wissenschaftlern zusammenraufen können für eine Publikation. Wie Sie gesagt haben, da stehen tausend Namen.
Welche anderen Möglichkeiten haben wir, diese Forschung voranzubringen?
Sie haben in ihrem Vortrag von Möglichkeiten gesprochen, die sich durch das Human Brain Project bieten könnten. Zum Beispiel, dass es möglich sein könnte, künstliche Intelligenz zu schaffen oder Roboter mit menschenähnlichen Intelligenzen auszustatten. Denken Sie, dass Sie auch Emotionen oder Bewusstsein simulieren können?
Schürmann: Als Naturwissenschaftler glaube ich, dass das Gehirn ein chemisches System ist und ich habe in gewisser Weise Vorstellungen, dass sich die Phäomene, die wir im Gehirn sehen, auch dadurch erklären lassen. Was das Spannende daran ist: Dieser Prozess wird testbar, wir müssen nicht mehr darüber spekulieren. Wenn man ein Modell des Gehirns baut und es schafft, diese Eigenschaften zu sehen, dann ist es ein Hinweis darauf, dass es möglich ist und wenn nicht, dann ist es ein Hinweis darauf, dass wir möglicherweise Sachen übersehen haben.
Was ist Ihre Vision?
Schürmann: Die Vision des Projektes ist, zu sagen, dass der Fortschritt in der Computer- und Informationstechnologie so dramatisch ist, dass wir diesen Fortschritt nutzen müssen, um uns sozial zu vernetzen, als Wissenschaftler zusammen zu arbeiten und der Biologie zu helfen, Dinge zu lösen, die sie allein nicht schafft. Es ist so, als würde man einen High Speed Train sehen, der an einem vorbeirauscht und ihn ignoriert. Wir glauben, dass dieser High Speed Train die Wissenschaft, die Art und Weise wie Wissenschaftler zusammenarbeiten, die Art und Weise wie wir Daten verstehen, so dramatisch verändert, dass man diese Möglichkeit nutzen muss für die Neurobiologie.
Das Interview führte Janina Schuhmacher