Seit einiger Zeit gibt es in der Medizin in Heidelberg virtuelle Seziertische. Sie ermöglichen es, auch am Computer die anatomischen Kentnisse zu erproben.
Anatomie lernen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen? Das geht. Schon seit ein paar Semestern bietet die Universität Heidelberg freiwillige Kurse in „virtueller Anatomie“ an, bei denen Medizinstudenten die Möglichkeit haben, Körper auch digital zu sezieren. Bis vor Kurzem nur am Computer, seit letztem Wintersemester an sogenannten „virtuellen Seziertischen“, bestehend aus zwei Touchscreens, die den Körper lebensgroß auf einem Tisch abbilden. Mit verschiedenen Werkzeugen kann man an der Leiche arbeiten, sie „aufschneiden“, unterschiedliche Schichten freilegen und betrachten. Auch Nerven und Knochen, die an einer Leiche oft schwer zu sehen sind, können einzeln sichtbar gemacht werden. Sara Doll, präparationstechnische Assistentin an der Universität Heidelberg, erklärt, wie diese „Verzahnung von reeller und virtueller Anatomie“ in der Praxis funktioniert. Die Software der Tische bietet zu Beginn die Datensätze dreier fiktiver Patienten, weitere können direkt beim Sezieren aufgespielt werden. So ist es möglich, die Patientendaten des Körperspenders, an dem die Gruppe gerade arbeitet, auf den Seziertisch zu laden und dort im Detail digital zu betrachten und umgekehrt. „Reality check“ nennt Doll das. Außerdem werden veränderte anatomische Strukturen an Fallbeispielen erklärt. Dabei werden zum Beispiel Krankheiten, die bei der echten Leiche nicht gezeigt werden können, aus der Bibliothek des Seziertisches ausgewählt. „Oft hilft es, sich anzuschauen, wie auffällige Strukturen im Körper genau aussehen, dann kann man sich vieles besser einprägen und vorstellen“, erklärt Doll. Zu verschiedenen Themenbereichen gibt es Seminare am virtuellen Seziertisch, auch von medizinisch-technischen Assistenten oder anderen Fachkräften, die die Studenten etwa schon früh mit dem Interpretieren von Röntgenbildern machen.
Der Aufschrei bei Anschaffung der Tische war bei einigen groß, an einer echten Leiche zu arbeiten sei doch nicht das gleiche wie an einem Computer! Natürlich nicht – deshalb, so Doll, würden die virtuellen Tische ja auch nur als Ergänzung, nicht als Leichenersatz genutzt. „Ich möchte mich auch nicht von jemandem operieren lassen, der noch nie eine Leiche angefasst, sondern nur auf einem Touchscreen rumgewischt hat.“ Kurioserweise hätten einige Studenten bisher Hemmungen mit der neuen Technik zu arbeiten, „vielleicht haben sie Angst, etwas kaputt zu machen“, mutmaßt Doll. Tatsächlich ist die amerikanische Technik in Deutschland noch wenig verbreitet: Neben Heidelberg ist Freiburg die einzige Uni, die sie ihren Studenten zur Verfügung stellt. Einer der Heidelberger Tische steht in der Universitätsbibliothek im Neuenheimer Feld. Wer sich also beim virtuellen Sezieren austoben möchte, kann dort nach einer Einführung weiterüben.
von Anna Vollmer