Sie arbeitet mit Erpressung, Terror und Mord: Die italienische Mafia ist so brutal wie unsichtbar. Eine Ausstellung beleuchtet die Orte ihrer Verbrechen.
Wie hingestreut liegen die Häuser da. Pinien erheben sich neben schroffen Felsen, und über den sanften Hügeln liegt ein beinahe magisches Licht. Corleone wirkt wie ein Traum. Doch die Kleinstadt im Norden Siziliens mit ihren 11.000 Einwohnern ist von einem Kraken gefangen. Einem Kraken, der alles kontrolliert, alles umfasst und jede Gegenwehr erstickt: der Mafia.
Die italienische Mafia ist eine Macht wie aus einem Roman von Franz Kafka. Man sieht sie nicht und hört sie nicht, und doch ist sie allgegenwärtig. Sie lebt von der Verschwiegenheit ihrer Mitglieder und nährt sich von der Furcht und dem Schweigen ihrer Opfer. Sie verbirgt sich hinter unscheinbaren Fassaden, um im geeigneten Augenblick mit äußerster Brutalität zuzuschlagen. Nichts muss eine solche Macht so sehr treffen wie der Versuch, ihre Verbrechen offenzulegen.
Genau das haben die Fotografen Tomasso Bonaventura und Alessandro Imbracio in ihrer Ausstellung „TAT/ORT – (Un)heimliche Spuren der Mafia“, die zur Zeit in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen zu sehen ist, getan: Sie haben die Verbrechen der Mafia in Bilder gefasst.
Dabei sind sie nicht der Versuchung erlegen, spektakuläre Bilder von Leichen und Waffen zu präsentieren. Stattdessen zeigen ihre betont nüchternen Fotografien die Orte der Verbrechen der Mafia, ihre Versammlungshäuser, die Residenzen ihrer Anführer, die Schauplätze von Morden. Hässliche Plattenbausiedlungen sind zu sehen und gepflegte bürgerliche Vororte. Und erschreckend schöne Bilder wie etwa das von Corleone oder das des idyllisch verschneiten Bergdorfes Bardonecchia bei Turin, das ebenfalls von der Mafia unterwandert wurde.
Es sind die Geschichten hinter den Bildern, die ihnen ihre Brisanz verleihen. Leider gibt es neben den Bildern keine Tafeln mit Text, aber man erfährt die Hintergründe in dem lesenswerten Handbuch zur Ausstellung, das vor Ort kostenlos erhältlich ist. Dort gibt es auch Glosare und Personenregister zur Mafia und ihren Gegnern, eine Chronik ihrer Geschichte und einen Überblick über die unterschiedlichen Mafiaorganisationen und ihre Strukturen: Camorra, Cosa Nostra, ‚Ndrangheta, Sacra Corona Unita und Stidda.
Im frühen 19. Jahrhundert in Sizilien aus Verbänden von Straßenräubern entstanden, konnte sich die Mafia nach dem Zweiten Weltkrieg in den noch ungeordneten Verhältnissen des postfaschistischen Italiens schnell organisieren und durchsetzen. Schutzgelderpressung, Drogen und Prostitution haben sie groß gemacht. In den 1980er Jahren führte die Cosa Nostra einen regelrechten Krieg gegen den italienischen Staat und ermordete mehrere seiner Repräsentanten.
Inzwischen geht die Mafia diskreter vor, auch ihre Geschäfte haben sich gewandelt. Heute lebt sie vor allem von der Zersetzung legaler Wirtschaftsfelder wie dem Bauwesen oder der Abfallwirtschaft, wobei sie mit Ausbeutung und anderen illegalen Methoden ihre Kosten senkt und sich mit Korruption und Erpressung lukrative Aufträge sichert. Auch bei illegalen Transaktionen ist sie behilflich. Sie operiert im Verborgenen – und setzt doch immer noch auf Mord und Gewalt.
So ist die Mafia heute noch eine Bedrohung und Europas wohl letztes sozialdarwinistisches System. Sie ist nach wie vor mächtig, kontrolliert in Italien ganze Wirtschaftszweige. Und sie hat bereits ihre Fühler nach Deutschland ausgestreckt. Ihre Verbrechen aufzudecken und sie zu entmythologisieren ist das große Verdienst dieser Ausstellung. Soweit es überhaupt möglich ist, zeigt sie die gespenstische Macht der Mafia, dieser so unheimlichen wie unsichtbaren Organisation.
[box type=“shadow“ ]Die Mafia entstand im frühen 19. Jahrhundert in Sizilien. Die Herkunft des Wortes ist unbekannt; Mitglieder der Mafia führen es auf die 1863 in Sizilien uraufgeführte Komödie „I mafuisi de la Vicaria“ („Die Mafiosi des Gefängnisses von Vicaria“) zurück. Inzwischen gilt der Begriff als Synonym für Verbrecherorganisationen überall auf der Welt, wie etwa den amerikanischen Ableger der Cosa Nostra, die chinesischen Triaden oder die japanischen Yakuza. In Italien sind die sizilianische Cosa Nostra, die kalabrische ‚Ndrangheta und die kampanische Camorra die größten Organisationen. Die Mafia-Vereinigungen bestehen aus Familienverbänden, an deren Spitze ein Capo (Boss) steht. Übergeordnete Organe dienen der Regulation des Vorgehens und damit der Geheimhaltung ihrer Geschäfte.[/box]
Alle Informationen zur Ausstellung „TAT/ORT – (Un-)Heimliche Spuren der Mafia“ unter zephyr-mannheim.com.
von Michael Abschlag