Sinti und Roma sind nach wie vor negativer Stereotypisierung ausgesetzt. Der Politikwissenschaftler Markus End hat jetzt in einer Studie die Verbreitung antiziganistischer Vorurteile in den Medien untersucht (siehe auch „Das wird man wohl noch sagen dürfen!“). Er beklagt, dass in Deutschland ein korrekter Umgang mit Minderheiten nicht gewährleistet ist.
Herr End, Sie schreiben in Ihrer Studie von der Stereotypisierung von Sinti und Roma durch die Medien. Gibt es noch weitere Instanzen, die dazu beitragen?
Die Medien sind natürlich nicht die einzige Instanz. Es gibt auch in der Literatur, im Film oder auch in Fernsehserien vielerlei Beispiele für solche ‚Zigeunerbilder‘. Ich kenne ein Kinderpuzzle, wo das erkennbar ist. Da ist ein Bild von einer Stadt, mit verschiedenen Leuten, die ihren Berufen nachgehen, es gibt eine Stadtmauer und einen Fluss und ganz links unten in der Ecke außerhalb der Stadt das ‚Zigeunerlager‘. Das heißt, die Stereotypen werden tatsächlich über verschiedenste Mittel transportiert.
Ist die „Unwissenheit“ der Menschen über Sinti und Roma das Problem des Antiziganismus?
Ich bin gar nicht so sicher, ob das Unwissenheit ist. Ich glaube, dass es eher um diese verfälschten Projektionen der Sinti und Roma geht, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Insofern glaube ich nicht, dass ein größeres Wissen über Sinti und Roma etwas verbessern, verschlechtern oder verändern würde. Die Nazis, nur als Extrembeispiel, kannten sich sehr gut mit jüdischen Traditionen und mit der jüdischen Kultur aus. Aber das hat sie nicht davon abgehalten, Antisemiten zu sein.
Produzieren und verbreiten die Medien vorsätzlich antiziganistische Vorurteile oder tun sie es unbewusst?
Rassismus ist ja nichts, was wir vorsätzlich haben. Also, Leute die rassistisch sind, denken ja, dass diese Dinge, die sie da denken, wahr sind. Zum Beispiel: „Weil diese Personen ‚Zigeuner‘ sind, haben sie weniger Lust zu arbeiten.“ Die Leute verbreiten also nicht bewusst Vorurteile und manchen ist auch nicht klar, dass das, was sie da schreiben, auf Widerspruch stoßen könnte. Es gibt aber auch solche, die wissen, dass das nicht okay ist, aber sie schreiben es trotzdem. Das merkt man dann daran, dass sie versuchen, etwas zu verstecken, oder die eigene Autorenschaft abstreiten.
Warum wird der Rassismus gegen Sinti und Roma im Gegensatz zum Rassismus gegen Juden verharmlost?
Ich glaube, der Antisemitismus ist auch deshalb so stark geächtet, weil er in der Ideologie des Nationalsozialismus im Vordergrund stand. Der Antiziganismus spielte eigentlich eine Nebenrolle. Das heißt nicht, dass es bei der Verfolgung große Unterschiede gab. Beide Gruppen waren letztlich zur Vernichtung vorgesehen, aber trotzdem spielte in der Ideologie und Propaganda der Antisemitismus eine zentralere Rolle als der Antiziganismus. Das ist auch der Grund, warum bei der Aufarbeitung der NS-Zeit der Antisemitismus im Vordergrund stand und stärker geächtet wurde als der Antiziganismus.
Sie sagen, dass die Nationalität oder Ethnie nicht genannt werden soll, wenn sie für das Verständnis unerheblich ist. Nehmen wir aber an, bei bestimmten Verbrechen stellt sich heraus, dass 80 Prozent dieser Verbrechen von Sinti und Roma begangen worden sind. Sollte man das dann nicht benennen?
Es entspricht ja einfach nicht der Realität. Als Beispiel: Bei der Bekämpfung der italienischen Mafia stellt man fest, dass 100 Prozent der angeklagten Mafiosi Katholiken sind. Es sagt aber niemand, dass man Katholiken bekämpfen muss, weil eben nicht jeder Katholik ein Mafioso ist. So sehe ich das auch bei Sinti und Roma. Wenn man feststellen würde, dass eine bestimmte Prozentzahl der Einbrüche von Roma begangen wird, sagt das nichts über die anderen Roma aus. Wie kommt man also darauf, dass zwischen beidem ein kausaler Zusammenhang besteht?
Wie sehen sie die Verbreitung von Vorurteilen in der Zukunft?
Die Bilder sind weit verbreitet und das hat sich auch nicht groß verändert. Vorurteile werden eher geäußert, wenn keine gesellschaftliche Ächtung besteht. Die gesellschaftlichen Normen, was man sagen kann und was nicht, verändern sich langsam zum Besseren, habe ich den Eindruck. Man kann Sachen nicht mehr sagen, die man vor zehn Jahren noch sagen konnte. Damals wurde in Presseberichten noch ganz offen von ‚Zigeunern‘ gesprochen.
Das Gespräch führte Niklas Feil