In den USA ist es bereits die neue Trendsportart. Nun erobert Calisthenic auch die Städte Deutschlands.
Was hier nach Trainingslager für Rekruten der Bundeswehr oder einem Treff für anonyme Sadisten klingt, ist in Wirklichkeit ein neuer Trendsport aus den USA. Gemeint ist Calisthenic – eine Mischung aus Turnen, Akrobatik und klassischem Krafttraining. Trainiert wird nur mit dem eigenen Körpergewicht. Bevorzugter Trainingsort: der Kinderspielplatz.
Die Sportart Calisthenic stammt ursprünglich aus den USA, wo diejenigen, die nicht in ein Fitnessstudio gehen wollten oder aus finanziellen Gründen nicht gehen konnten, nach Alternativen suchten. Man nahm, was vorhanden war. In den meisten Fällen waren das die Klettergerüste auf den Kinderspielplätzen. Genau hier machten vor ein paar Jahren junge Männer wie „Hannibal for King“ oder Frank Medrano auf sich aufmerksam. Sie kombinierten klassische Kraftübungen wie Klimmzüge mit 360-Grad-Sprüngen oder machten an Parallelstangen Liegestütze mit den Beinen in der Luft. Innerhalb weniger Wochen wurden ihre Youtube-Videos von Millionen Menschen angeschaut und fanden viele Nachahmer.
Mittlerweile ist Calisthenic auch in Deutschland angekommen und bringt das Training vom Fitnessstudio nach draußen ins Freie. Was die Anzahl an geeigneten Trainingsplätzen angeht, ist Deutschland allerdings spärlich besetzt. In jedem Dorf unserer Nachbarländer gibt es mehr Möglichkeiten zu trainieren als hierzulande. Aus diesem Grund setzt sich die Calisthenic-Gruppe in Mannheim für den Bau eines neuen Calisthenic-Parks ein. Geplant ist der Park auf dem Pfalzplatz im Mannheimer Stadtteil Lindenhof. „Wir haben schon Sponsorenzusagen von 3000 Euro gesammelt, um zeigen zu können, dass es großes Interesse an so einem Park gibt“, erzählt Lars Schmid, Mitbegründer der Mannheimer Calisthenic-Gruppe. „So ein Park in Deutschland kostet mit TÜV je nach Größe 10 000 bis 30 000 Euro“, erzählt Lars weiter.
Auch in Heidelberg wird fleißig an der Stange (englisch bar) trainiert. Die Calisthenic-Gruppe der „Heidelbarz“ trainiert drei Mal in der Woche, davon zwei Mal auf dem Schulhof der Käthe-Kollwitz-Schule in Bergheim und ein Mal auf dem Kinderspielplatz in der Freiburger Straße in Rohrbach. Gründer der „Heidelbarz“ ist Fitnesstrainer Patrick Berger. Als Alternative zu seinem täglichen Fitnesstraining betreibt er in seiner Freizeit mit Gleichgesinnten Calisthenic. „Wir hatten sonst nichts darüber gefunden und dachten wir gründen direkt eine Gruppe, suchen uns Leute, die Lust auf Calisthenic haben und bieten den Leuten einfach eine Trainingsmöglichkeit, ohne ins Fitnessstudio zugehen, oder Geld dafür bezahlen zu müssen“, sagt Patrick.
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FOTOSTRECKE Die besten Bilder vom Calisthenic
Wie bei jeder Sportart wird sich zuallererst warm gemacht; niemand will sich einen Muskel reißen oder überdehnen. Auf welche Art man sich warm macht, bleibt jedem selbst überlassen. Der eine benutzt ein Springseil, der andere joggt im Viereck oder macht den „Hampelmann“. Nach dem Aufwärmen macht jeder weiter wie er möchte. Die eine Gruppe trainiert mit den mitgebrachten Ringen, die am Klettergerüst festgemacht werden, die andere Gruppe geht an die Stangen und trainiert verschiedene Klimmzugvarianten. Bei Calisthenic muss man sich hin und wieder etwas einfallen lassen, was man mit den vorhanden Gerüsten oder Stangen anfangen will. Außerdem drückt einem niemand einen Trainingsplan in die Hand wie im Fitnessstudio. Viele, die Calisthenic betreiben, sind noch, oder waren einmal in einer „Muckibude“. Das stumpfe rauf und runter Bewegen der Hanteln wurde ihnen zu eintönig. Calisthenic-Training bietet nicht nur Abwechslung, sondern bezieht den Körper als Ganzes mit ein. „Der Vorteil ist, dass man den kompletten Körper trainiert, und nicht wie im Fitnessstudio nur eine Partie, also nur die Arme zum Beispiel. Bei uns ist einfach der komplette Körper mit dabei“, meint Patrick.
Bei Calisthenic werden vor allem auch die oft vernachlässigten kleinen Muskeln mittrainiert, wie z.B. die sogenannte Stützmuskulatur, die bei einem isolierten Gerätetraining überhaupt nicht zum Zuge kommen würde. Außerdem läuft man bei einem Ganzkörper-Training auch nicht in Gefahr des einseitigen Muskelaufbaus. Eine Brust wie Mike Tyson, aber ein Rücken wie der Glöckner von Notre Dame sieht weder schön aus, noch ist es für die Gesundheit förderlich. Der Nachteil bei Calisthenic ist, dass man schwer zusätzliches Gewicht dazu addieren kann. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem das eigene Körpergewicht einem zu leicht vorkommt. Um die Schwierigkeit zu erhöhen, variiert man die Übungen: Liegestütze auf einem Arm oder mit einer Person auf dem Rücken; oder man schwingt sich aus der Klimmzug-Bewegung über die Stange in die Stützposition (auch Muscle-Up genannt, eine sehr schwierige Übung).
Wer mit Calisthenic beginnen möchte, der muss nicht jahrelang Krafttraining absolviert haben oder im Turnverein gewesen sein. Geduld muss man mitbringen. „Man kann eigentlich alles machen, aber es dauert wirklich ein Jahr bis man etwas perfekt drauf hat“, meint Patrick. Bevor man schwierige Übungen wie den „Back Lever“ (siehe Bild) oder Kunststücke mit Drehungen und Sprüngen beherrscht, müssen die Grundlagen trainiert werden. Das heißt: Liegestütze, Klimmzüge, Dips. Alle ausgefallenen, akrobatischen Übungen sind meistens Abwandlungen oder Kombinationen der Basics. Trotzdem kann man schnell Erfolge erzielen. Als Patrick vor sieben Monaten mit Calisthenic angefangen hatte, schaffte er gerade mal einen mageren Klimmzug. „Jetzt müsste ich so bei 35-38 liegen.“ Sein Fazit: „Vorbeischauen, mitmachen, was lernen, Spaß haben. Wir finden für jeden etwas.“ Die „Heidelbarz“ trainieren jeden Dienstag um 19 Uhr auf dem Spielplatz in der Freiburgerstraße in Rohrbach. Am Donnerstag um 19 Uhr und Sonntag um 17 Uhr findet das Training auf dem Schulhof der Käthe-Kollwitz-Schule statt.
Wem das Fitnessstudio zu langweilig ist und wer nach einer Alternative für Krafttraining sucht, der ist bei Calisthenic an der richtigen Adresse. Frische Luft schadet nie und der Boden für Liegestütze ist immer vorhanden. Und das Beste ist, all das gibt es kostenlos.
von Niklas Feil