Wenn das Smartphone mehr als nur Facebook kann: Onlineabstimmungen finden Einzug in den Hörsaal.
„Wer von Ihnen besitzt ein Smartphone?“ – überraschende Eröffnungsworte für eine Vorlesung aus dem Munde des Dozenten. Unruhiges Gemurmel macht sich im Hörsaal breit. Nahezu alle Teilnehmer strecken zaghaft die Hände empor. Bei einer so überwältigenden Mehrheit spräche wohl nichts dagegen, die Vorlesung von onlineted begleiten zu lassen. Die Irritation steigt – bis die Erklärung folgt: Onlineted ist ein 2013 gegründetes Start-Up-Unternehmen der TU München. Dessen kostenfreier Dienst bietet eine vorlesungsbegleitende Abstimmungs- und Umfragefunktion an. Zu Beginn der Veranstaltung sollen sich alle Teilnehmer mit internetfähigen Geräten einloggen. Dann kann der Dozent während der Vorlesung Ja-Nein-Fragen oder Multiple-Choice-Aufgaben beantworten lassen.
„Unser Ziel war es, einfach und intuitiv nutzbare Produkte zu entwickeln. Damit ermöglichen wir den Dozenten, Lehrinhalte in den von Studenten täglich verwendeten Medien, zum Beispiel Smartphones, zu vermitteln“, erklärt Antonio Sarikas, Mitgründer des Internetdienstes. Inzwischen begleitet onlineted erfolgreich Veranstaltungen in über 30 Ländern. An der Universität Heidelberg nutzen Dozenten den Dienst seit Mitte 2013. Bislang wird er jedoch nur vereinzelt von Lehrenden in Anspruch genommen.
Klassisch ist die Vorlesung Monolog in Reinform: Der Dozent spricht, die Studenten folgen. Schon die Nutzung von Präsentationsmaterial bricht diese Struktur auf; interaktive Einbeziehung der Teilnehmer sprengt das Format. Als junger Erwachsener, dem sogenannten digitalen Zeitalter entsprungen, ist man allseits von Medien umgeben. Die Vorlesung könnte also Raum bieten, sich bewusst diesen Einflüssen zu entziehen und die Konzentration auf das Wort der referierenden Person zu richten. Der Versuch, multimediale Vorlesungssituationen zu schaffen, erinnert an den selten gelungenen Spagat zwischen interaktiven Onlineplattformen in Verbindung mit Fernsehshows.
Das Aufbrechen des klassischen Rahmens kann aber auch gezielt passieren, gerade um einen Dialog entstehen zu lassen – im ersten Schritt digital, im zweiten analog. Spätestens hier können auch die Nicht-Smartphone-Besitzer einsteigen. Denn die Eröffnung der Chance, sich anonym zu beteiligen, die Einbindung der Studenten ins Vorlesungsgeschehen ermutigen zur aktiven Teilnahme, regen zu Nachfrage und Diskussion an. „Besonders geeignet ist es bei großen Gruppen von Studenten“, beschreibt Kai Cornelius, Dozent an der Universität Heidelberg und Nutzer von onlineted.
„Neben Einzelnen, die sich beteiligen, gibt es vor allem die große passive Masse. Diese gilt es zu animieren.“ Darüber hinaus wird mittels Abstimmung versucht, möglichst viele unterschiedliche Sinneskanäle anzusprechen. Nicht nur Zuhören und Sehen, auch Sprechen und Mitmachen sollen den Lernzuwachs fördern.
Und tatsächlich, ein Vergleich der Vorlesung des selben Dozenten unter Verzicht auf mediale Interaktion zeigt: Beteiligung und Diskussionsbereitschaft steigen merklich, sobald die Veranstaltungsteilnehmer angehalten sind, mitzudenken und Position zu beziehen.
von Christina Deinsberger