Der Deutsche Buchpreis geht in diesem Jahr an Lutz Seilers „Kruso“.
Die Mauer ist noch nicht gefallen, doch der Umbruch liegt schon in der Luft, als Edgar Bendler (Ed) 1989 auf die Insel vieler Aussteiger, Hiddensee, kommt. Auf ihr versammeln sich viele Querdenker und Freiheitssucher. Gebeutelt vom Leben heuert Ed in einem Lokal als Tellerwäscher an. Dort lernt er Kruso, Alexander Krusowitsch, kennen, der der Mittelpunkt für alle „Schiff brüchigen“ auf Hiddensee ist. Viele von ihnen träumen von der Freiheit im nahegelegenen Dänemark. Und so schafft Kruso einen eigenen Raum für seine Anhängerschaft, die „Freie Republik Hiddensee“, in die auch Ed schnell aufgenommen wird.
Kruso und Ed verbindet der Schmerz über den Verlust von Schwester und Freundin. In kurzer Zeit entwickelt sich eine enge und zärtliche Freundschaft zwischen den beiden Männern, nachdem die letzten Anhänger die Insel verlassen haben. Erst als sein schwer verletzter Freund Kruso durch Sowjets von der Insel gebracht wird, bemerkt Ed welche Veränderungen um ihn herum stattfanden.
„Kruso“ ist eine wundervolle Hommage an die Schicksale der Flüchtlinge, die versuchten über die Ostsee zu entkommen. Seiler, geboren 1963 in Gera, verbindet in seinem ersten Roman eine fundierte Recherche mit seinen eigenen Erlebnissen und wahrem Einfühlungsvermögen. Zur Vorbereitung auf seinen Debütroman befasste er sich mit den Schicksalen der Flüchtlinge. Er verbrachte viel Zeit in dänischen Archiven und befragte Hinterbliebene. Seiler selbst arbeitete 1989 in einem Lokal auf Hiddensee als Tellerwäscher und beschreibt deshalb in „Kruso“ eine reale Szenerie. Darum ist es eine würdevolle Geste, dass Protagonist Ed am Ende der Erzählung in der Gegenwart über die DDR-Flüchtlinge der Ostsee recherchiert. In seinem Epilog schafft Seiler erneut ein Denkmal für die Todesopfer ohne Namen.
Zurecht wurde er deshalb für sein Buch „Kruso“ mit dem Deutschen Buchpreis 2014 ausgezeichnet – passend zum 25-jährigen Jubiläum der Maueröffnung in diesem Herbst.
Zum zehnten Mal wurde der Preis dieses Jahr am Vorabend der Frankfurter Buchmesse vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehen. Seiler stach dieses Jahr zwischen Heinrich Steinfests „Der Allesforscher“, Angelika Klüssendorfs „April“ und Thomas Hettches „Pfaueninsel“ heraus. Ziel des Preises ist es, über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit für deutschsprachige Autoren, das Lesen und das Leitmedium Buch zu schaffen. Finanziell gesehen ist die Würdigung dieser Leistung mit 25 000 Euro für den Preisträger jedoch eher gering. Der größere Wert darin, dass sich kein Preisträgerroman bisher weniger als hunderttausend Mal verkauft hat.
Für Diskussionsstoff sorgten die Kriterien, nach denen der Preis verliehen wurde. Kritiker meinen, dass alle ernstzunehmenden Konkurrenten zuvor aussortiert wurden. Auch die Tradition, kein im Frühjahr erschienenes Buch mit dem Preis auszuzeichnen, wurde wieder fortgeführt. Der Ruf nach mehr Autorinnen wurde in diesem Jahr zudem laut.
von Maren Kaps