Stefan Hell, ehemals Heidelberger Student und heute Professor am DKFZ, forscht unkonventionell – jetzt erhielt er den Nobelpreis.
[dropcap]D[/dropcap]er Physiker Stefan Hell wurde für seine Arbeit am STED-Mikroskop am 8. Oktober in Stockholm mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Der ehemalige Doktorand der Heidelberger Universität wird gerne als Pionier der Mikroskopie bezeichnet. Nun ist er am Ende eines langen Weges angekommen. Eine Geschichte über die Unwägbarkeiten der Wissenschaft und den Mut, diese zu überwinden.
Alles begann mit einer Idee: In den 80er Jahren arbeitete Stefan Hell als Doktorand der Physik an der Heidelberger Universität. Sein Forschungsgebiet umfasste die Lichtmikroskopie, im spezifischen die Nutzung von Konfokalmikroskopen. Im Gegensatz zur normalen Lichtmikroskopie, bei welcher das gesamte Präparat beleuchtet wird, kann bei dieser speziellen Form mit Hilfe von Fluoreszenz und Lichtreflexion die Lichtintensität in eng fokussierten Bereichen gemessen werden. Dies ermöglicht einen hohen Kontrast, der wichtig ist, um Objekte voneinander unterscheiden zu können.
Mit der Entwicklung von guten Linsen im 19. Jahrhundert setzte sich die Mikroskopie als wissenschaftliche Errungenschaft durch. Die Formulierung des Auflösungslimits für Lichtmikroskope durch Ernst Abbe 1873 wies jedoch physikalische Grenzen auf. Wollte man zwei Objekte effektiv voneinander trennen, ging dies nur mit Hilfe einer hohen Licht-Bündelung. Desto stärker man das Licht fokussiert, desto höher ist die Auflösung. Doch die Auflösung ist durch die Beugung des Lichts begrenzt. Das Auflösungslimit liegt bei etwa 0,2 Mikrometern und beschränkt die Möglichkeiten der Mikroskopie seitdem. Kleinere Strukturen, wie Viren und Proteine sind zwar grob erkennbar, ihre innere Struktur bleibt jedoch verborgen.
Latent unzufrieden mit dem bisherigen Thema seiner Doktorarbeit, die Stefan Hell als zu technisch erscheint, orientiert er sich neu. Er befasst sich nun mit einer Idee seines damaligen Professors Christoph Cremer, der schon 1970 in seiner Doktorarbeit darüber nachgedacht hatte, das Abbe-Limit zu unterschreiten.
Doch die Umsetzung dieser Idee findet in der Wissenschaft keine Interessenten. Der gerade promovierte Stefan Hell sucht händeringend nach einer Universität, die ihm Platz und Mittel bietet, um Cremers Idee weiterzuverfolgen. Zwar ermöglicht ihm das Heidelberger „European Molecular Biology Laboratory“ erste Versuche zum Thema zu machen, Fuß fassen kann er dort jedoch nicht. Dies sollte Stefan Hell nicht stoppen. Er bewirbt sich im Ausland, wo er dann 1993 Erfolg hat.
An der Universität im finnischen Turku, erhält er eine Postdoc-Stelle, die ihm weitere Forschungen ermöglicht. Hier nimmt Cremers Idee dann eine reale Form an. Hell entwickelt die Grundlagen für eine neue Art der Mikroskopie, die später als STED-Mikroskopie („STimulated Emission Depletion“) bekannt wird und die ungeahnte Auflösungsmöglichkeiten bieten sollte.
Der Ansatz ist ungewohnt: Das bisher verwendete Prinzip wird einfach umgedreht. Bisher regte man ein Molekül bei der Fluoreszenz an, so dass es zu leuchten beginnt. Dies überträgt sich aufgrund der namensgebenden „stimulierten Emission“ auf das nächste Molekül, so dass beide Moleküle leuchten. Dies ist ungünstig, denn dadurch fällt es schwerer, diese Punkte auseinanderzuhalten. Die zündende Idee Hells war, den einen Punkt dunkel zu machen, die „stimulierte Emission“ also zu vermindern. Dieses Prinzip gab STED seinen Namen, da es auf deutsch soviel bedeutet wie: „Abbau der stimulierten Emission“. Weitet man dieses Prinzip aus, so kann man minimale Bereiche voneinander abgrenzen. Und dies ermöglicht es in noch kleinere Strukturen hineinzuschauen. So jedenfalls bislang die Theorie, doch gilt es nun, dies in die Praxis umzusetzen.
Nach vier Jahren in Finnland kommt Stefan Hell 1997 nach Deutschland zurück, wo er am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen die Möglichkeit angeboten bekommt, das STED-Mikroskop zu bauen. Hierbei kommt ihm seine bisherige Erfahrung, um die Technik der Mikroskopie zu Gute. Anstatt wie bei herkömmlichen Mikroskopen das Licht zu bündeln, um möglichst viele Moleküle zu treffen, entwickelt er ein System, dass genau das Gegenteil tut. Mit Hilfe zweier Laser versetzt man zwei benachbarte Objekte, die voneinander getrennt werden sollen, in verschiedene Zustände – hell und dunkel. Anders ausgedrückt: Bei dem einen Objekt wird die Fluoreszenz eingeschaltet, bei dem anderen ausgeschaltet. Die Position des leuchtenden Objekts kann dann mit Hilfe der hochmodernen Laser genau nachgewiesen werden. Dies funktioniert mit dem STED-Mikroskop sogar so gut, dass es möglich ist, selbst auf kleinster Ebene nur ein oder wenige Objekte zum Leuchten zu bringen, was es ermöglicht diese klar abzugrenzen.
Der Durchbruch folgt: Stefan Hells Theorie, das Auflösungslimit zu umgehen, kann jetzt umgesetzt werden. Dies eröffnet ungeahnte Möglichkeiten für Chemie, Biologie und Medizin. Stellte das Auflösungslimit bisher eine natürliche Grenze dar, ist es nun möglich, tiefer in die molekularen Strukturen eines Objektes hineinzuschauen. Das Forschungsteam um Stefan Hell konnte experimentell nachweisen, dass zum heutigen Standpunkt eine Auflösung von bis zu einigen Nanometern erreicht werden kann. Zum Vergleich: Die Helix der DNA hat eine ungefähre Größe von zwei Nanometern.
Und es besteht sogar noch Luft nach oben: Das Auflösungsmaximum ist beim STED-Mikroskop lediglich durch die Größe des Farbstoffmoleküls, die technische Möglichkeit diese ein- und auszuschalten und den Hell-Dunkel-Kontrast begrenzt. Desto besser der Kontrast, desto besser sieht man die Abgrenzung der einzelnen Objekte und desto kleinere Strukturen werden erkennbar. Erste Erfolge durch die neue Technik sind bereits sichtbar: So gelang zum Beispiel der Blick in das Gehirn einer Maus und dort die feine Verästelung der Nervenzellen zu betrachten. Durch das STED-Mikroskop entdeckten Wissenschaftler außerdem neue Strukturen im Cytoskelett der Zellen.
Am 8. Oktober 2014 war Stefan Hell am Endpunkt seiner langen Reise angekommen, die 1993 begonnen hatte. Zusammen mit den amerikanischen Wissenschaftlern Eric Betzig und William Moerner erhielt er den Nobelpreis für Chemie für die Entwicklung „superauflösender Fluoreszenzmikroskope“.
Seine Reise ist eine versöhnliche Geschichte über den Mut, unkonventionelle Wege zu gehen, seinen kreativen und originellen Ideen Raum zu bieten und diese auch dann zu verfolgen, wenn sie der derzeit vorherrschenden Meinung in der Wissenschaft nicht entspricht. Trotz allem bleibt er dem Land treu, dass ihn und seine Ideen zunächst nur belächelte: Er schlug das Angebot der amerikanischen Elite-Universität Harvard aus und blieb in Göttingen.
Mit dem Abschluss seiner Reise hat Stefan Hell erfolgreich eine Entwicklung vollzogen vom Rebell hin zur Koryphäe, welche in den Olymp der Wissenschaft aufgestiegen ist. Dies gelingt nur den Wenigsten.
von Philipp Armingeon