In etwa einem Jahr wird der Bundestag ein Gesetz zur „Sterbebegleitung“ verabschieden. Soll der ärztlich assistierte Suizid legitimiert werden? Nein, findet Lukas Radbruch von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und Lehrstuhlinhaber für Palliativmedizin: Die Medizin biete immer auch Möglichkeiten, das Leiden zu begrenzen.
Der Angst insbesondere schwerkranker und/oder älterer Menschen vor einem unwürdigen und leidvollen Sterben in Pflegeheimen, in Krankenhäusern oder auch zuhause muss dringend mit einem flächendeckenden Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung begegnet werden.
Die Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids ist demgegenüber der falsche Weg. In der aktuellen öffentlichen Diskussion fällt immer wieder auf, wie wenig Kenntnisse zu den Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung und der Therapiebegrenzung vorhanden sind und dass diese Optionen in der Begleitung am Lebensende bislang adäquate ambulante und stationäre Palliativversorgung kann den Wunsch nach Beihilfe zum Suizid in den allermeisten Fällen ausräumen.
Viele Menschen, die sich für „Sterbehilfe“ aussprechen, verleihen damit ihrer Furcht Ausdruck, am Ende ihres Lebens nicht mehr freiverantwortlich entscheiden können, ob und wann lebensverlängernde Maßnahmen wie künstliche Ernährung, Flüssigkeitszufuhr, Medikamentengabe, Beatmung, Intubation, Dialyse oder Reanimation beendet oder gar nicht erst angefangen werden sollen.
Deshalb ist es besonders wichtig, Patienten und Angehörige darüber aufzuklären, dass nach aktueller Rechtslage kein medizinischer Eingriff und auch keine lebensverlängernde Maßnahme gegen den Willen eines Patienten erfolgen darf. Für den Fall, dass Patienten am Lebensende nicht mehr selbst entscheiden können, können sie mit Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sicherstellen, dass sie die Kontrolle über die medizinische Behandlung bis an das Lebensende behalten.
In der Palliativversorgung erlebe ich im Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Menschen oft, dass die Frage nach Beihilfe zum Suizid vor allem ein Hilferuf ist, der dringende Wunsch, über Leiden und Qual zu sprechen. Häufig geht es gar nicht um die jetzt erlebten Beschwerden, sondern um die Angst vor dem, was noch auf die Patienten zukommt. Dabei bestehen mitunter falsche oder übertriebene Schreckensbilder zu der befürchteten Zukunft. Hier hilft die Aufklärung über den Krankheitsverlauf und die Möglichkeiten der Palliativversorgung.
Zu betonen ist: Es gibt keine Situation, in der die Palliativmedizin nichts mehr anzubieten hat.
Selbst in Grenzsituationen stehen Handlungsoptionen zur Verfügung. Den sehr wenigen Patienten, bei denen keine ausreichende Symptomlinderung erreicht werden kann, bleibt die Palliative Sedierung als Option, um unerträgliches Leid zu lindern. Der überwachte Einsatz von Medikamenten dient dem Ziel, das Bewusstsein zu reduzieren oder auszuschalten, um so die Belastung durch unerträgliches und durch keine anderen Mittel beherrschbares Leiden zu lindern. Dies sollte erst dann in Erwägung gezogen werden, wenn alle anderen therapeutischen Maßnahmen versagt hätten.
So kann man heute den großen Ängsten der Menschen bezüglich eines vermeintlichen Ausgeliefertseins an eine lebensbedrohliche Erkrankung eine breite Palette ambulanter und stationärer palliativmedizinischer Möglichkeiten entgegensetzen. Allerdings ist auf dem Weg zu einer bundesweit bedarfsdeckenden Palliativversorgung für schwerkranke Menschen jeden Lebensalters noch eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen.
Mit einer Erleichterung der ärztlichen Beihilfe zum Suizid, wie es jetzt von mehreren Seiten gefordert wird, besteht demgegenüber die Gefahr, dass auch bei engen und strengen Regelungen für eine solche Beihilfe im Lauf der Zeit die Kriterien aufgeweicht und ausgeweitet werden, wie dies in anderen Ländern wie den Niederlanden oder Belgien in den vergangenen Jahren immer wieder zu beobachten war.
Vor allem ist zu befürchten, dass die Patienten eine solche Regelung als Druck empfinden, ihren Angehörigen oder der Gesellschaft nicht länger zur Last zu fallen. Und das Verhältnis von Arzt zu Patient würde sich deutlich ändern: Der Arzt wäre dann nicht mehr der bedingungslose Begleiter, sondern würde jetzt bewerten müssen, wie unerträglich das Leid des Patienten ist, und ob es eine Beihilfe zum Suizid rechtfertigt. Für die Palliativversorgung steht deshalb fest, dass die Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe ist. Palliativversorgung leistet Hilfe beim Sterben, nicht Hilfe zum Sterben!
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