Rugby fristet in Deutschland ein Nischendasein, trotzdem gibt es in Heidelberg fünf erstklassige Teams. Beim Heidelberger Turnverein spielen viele Studenten.
[dropcap]E[/dropcap]s sind gerade drei Minuten gespielt, da krümmt sich ein Spieler auf dem kalten Boden. Bei einem Tackling ist er schmerzhaft auf die Schulter gefallen. Außer dem Sanitäter, der auf den Platz eilt, sorgt sich darum niemand. Beide Mannschaften spielen um ihn herum weiter.
Rugby verkörpert Kampf und Kraft, ein Spiel für raue Kerle, die sich gerne mit Geschrei in Matsch und Gegner werfen und dabei keinen Schmerz kennen. Soweit zumindest die gängigen Vorurteile. Doch es gibt auch die andere Seite dieses äußerst fairen Spiels: Es ist ein taktischer Sport, der über Teamwork entschieden wird. Der britische Schauspieler Richard Burton fasste diese Diskrepanz einmal treffend zusammen: „Rugby ist ein wunderbares Gemisch aus Ballett, Oper und grausamem Selbstmord.“ Einer umstrittenen Legende nach soll Rugby 1823 in der gleichnamigen britischen Stadt entstanden sein. Als bei einem Fußballspiel das Team von William Webb Ellis kurz vor der Niederlage stand, soll er sich den Ball geschnappt und ins gegnerische Tor getragen haben. Zwar ist diese Legende anzuzweifeln, der Weltmeisterpokal ist aber noch heute nach Webb Ellis benannt.
In Deutschland dagegen wurde der Sport erst um 1900 populär, aber bis heute fristet Rugby das Schatten-Schicksal einer Randsportart. Dennoch gibt es im beschaulichen Heidelberg gleich fünf hochklassige Vereine. Einer davon ist der HTV. Das Kürzel steht eigentlich für Heidelberger Turnverein, aber außer bei Einwürfen, wo sogenannte Gassen und Türme positioniert werden, hat Rugby wenig mit dem eleganten Turnen gemeinsam. Die Gründe für den Rugby-Boom in Heidelberg sind vielfältig, wie HTV-Kapitän Benedikt zu berichten weiß. Die historische Verbindung von Rudern und Rugby sei ebenso fördernd wie die internationale Studentenszene insgesamt.
Für Benedikt machen vor allem Teamgeist und das körperbetonte Spiel den Reiz von Rugby aus. Als er 2003 einen Austausch in Großbritannien machte, kam er das erste Mal in Kontakt mit Rugby. „Als deutscher Junge war das nochmal doppelt hart“, erinnert er sich. Trotzdem ließ ihn das Spiel fortan nicht mehr los und selbst Nasen- und Schlüsselbeinbrüche konnten ihn nicht stoppen. Über Bonn kam er schließlich zum Studieren und Rugby Spielen nach Heidelberg und zum HTV. „Für mich ist das wie eine Berufung. Wenn ich aufstehe, denke ich an Rugby, tagsüber denke ich an Rugby und wenn ich ins Bett gehe denke ich auch manchmal an Rugby“ gibt der PH-Student mit einem Zwinkern zu.
Sein HTV kämpft gerade um die Titelverteidigung des DRV-Pokals, der den Verbleib in der ersten Bundesliga garantieren würde. Zum Spiel gegen StuSta München haben sich nur etwa 60 Schaulustige versammelt. „Zum Derby Neuenheim gegen Handschuhsheim kommen oft sogar knapp 1000 Zuschauer. Wir freuen uns, wenn 100 bis 150 zu den Spielen kommen“, erzählt Ex-HTV-Spieler Olivier. Der 42-Jährige kommentiert das Spielgeschehen und versorgt das Publikum mit Würstchen und Glühwein. Selbst spielen geht bei ihm nicht mehr, die Strapazen für den Körper sind zu enorm.
Wie Olivier ist auch Robat beim HTV hängen geblieben. Er kam vor Jahrzehnten der Liebe wegen von Wales nach Heidelberg und ist die gute Seele des Vereins. Der Waliser bewirtschaftet das gemütlich eingerichtete Vereinsheim, wäscht die Trikots und aktualisiert die HTV-Homepage. Alles unentgeltlich, oftmals mehrere Stunden täglich – für ihn Ehrensache.
Auch für Kapitän Ben gibt es keinen anderen Verein. Inzwischen spielt der bärtige Zweimeter-Mann für die deutsche Nationalmannschaft, was ihn bis nach Namibia gebracht hat. Er ist sich sicher, „wenn ich beim HTV gut genug für die Nationalmannschaft bin, muss ich nicht wechseln“. Die Mannschaft sei eine untrennbare Bruderschaft, auf die man sich in jeder Lebenslage verlassen könne. Das ist ihm wichtig.
Obwohl es ein so verschworener Haufen ist, freuen sich alle im Verein über Interessierte – gerade Studenten landen oft beim HTV. Wolfgang Seibert, der 2. Vorsitzende des Vereins und seit Jahrzehnten beim HTV, betont ausdrücklich: „Jeder, der Spaß am Sport hat, kann dienstags oder donnerstags um 19 Uhr zum Probetraining vorbeikommen.“ Wie alle Rugby-Vereine ist auch der HTV darum bemüht, auf die Sportart aufmerksam zu machen. Vor allem an Nachwuchs und Fördergeldern fehlt es. Deshalb erhoffen sich hier viele einen neuen Popularitätsschub durch die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, wo Rugby erstmals seit 1924 wieder im Programm stehen wird.
Das Spiel gegen München gewinnt der HTV am Ende mit 57 zu 7. Doch das ist eher nebensächlich. Nach Spielende gibt es Respektsbekundungen für die Gegner und faire Shakehands. Jede Gastmannschaft wird beim HTV nach dem Spiel auf einen Kasten Bier eingeladen – das ist Usus. Die sogenannte dritte Halbzeit ist allen wichtig und wird auch entsprechend zelebriert. Die bärtigen Kerle sind wohl doch mehr Gentlemen als Raufbolde.
von Felix Hackenbruch
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