Der leckerste Schinken kommt von glücklichen Tieren. Unser Redakteur lebte und arbeitete zwei Wochen lang auf einem skandinavischen Bio-Schweinehof.
Von Jasper Bischofberger
[dropcap]E[/dropcap]s ist kalt. Ich rieche fast gar nichts, aber das, was ich rieche, ist unangenehm. Blut. Und noch etwas anderes: Verbrannte Haare, sagt Kristofer. Nachdem es tot ist, wird das Tier in ein heißes Bad getaucht, um die Haare zu entfernen. Alle verbleibenden Haare werden wegflambiert. Wir befinden uns im Schlachthaus. Kristofer holt das Schwein ab, das er dort vor ein paar Tagen zum Schlachten vorbeigebracht hat. Zusammen wuchten wir die in Plastikfolie verpackten Schweineviertel in Kristofers Van und fahren zurück zum Hof.
Ich arbeite als Wwoofer. Wwoof steht für „World Wide Opportunities On Organic Farms“. Zwei Wochen lebe und arbeite ich auf einem Bio-Schweinehof. Dabei verdient man kein Geld, aber Unterkunft und Verpflegung sind kostenlos. Das Grundstück des Schweinehofs liegt zwar nur eine Stunde von Stockholm entfernt, allerdings ist vom urbanen Hauptstadtflair nicht mehr viel zu spüren. Der Hof liegt in den Weiten der schönen schwedischen Natur, die nur spärlich mit roten Holzhäusern besiedelt ist.
Als Wwoofer auf dem Hof Franzéns Charkuterier ist die Hauptaufgabe das Füttern, das zweimal am Tag stattfindet. Als Erster verlässt man morgens um 7 Uhr das Haus, um die Runde zu den verschiedenen Gehegen zu drehen. Drei davon sind in direkter Hofnähe, drei weitere sind nur mit dem Auto erreichbar. In jedem Gehege muss das Wasser nachgefüllt werden und trockenes, staubiges Futter auf den Boden und in die Futtertröge verteilt werden. Wichtig dabei ist, schnell zu sein, weil die hungrigen Tiere einem dabei immer laut kreischend auf den Fersen sind. So entwickelt sich eine Verfolgungsjagd, bei der immer neue Futterhaufen als Ablenkung platziert werden müssen. Die Schweine stürzen sich erstmal darauf, sind aber schnell wieder hinter den Futtereimern mit dem noch frischeren Futter her. Die Schweine beißen zwar in der Regel nicht, sind aber nicht zimperlich was direkten Körperkontakt angeht. Wie ein Football-Spieler auf dem Weg zum Touchdown rennt man über die Koppel.
Die Schweine sind robuste Tiere: Sie sind das ganze Jahr über draußen – selbst während des empfindlich kalten schwedischen Winters. Einzig kleine metallene Hütten mit Stroh dienen den Tieren als Unterschlupf. Kristofer und seine Frau Li achten darauf, dass dieser Rückzugsort immer frisch und komfortabel bleibt. So ist es unsere Aufgabe ständig zu überprüfen, wie frisch das Stroh noch ist. Falls nicht, krabbeln wir mit Atemmaske ausgerüstet in die kleinen Häuschen, um das alte Stroh hinauszuschaffen und das frische zu einem sanften Bett zu verteilen. Je nach Wetterlage ist diese mühsame Aufgabe entweder staubig oder matschig.
Solche Mühen machen sich industrielle landwirtschaftliche Betriebe nicht. So ist es erfreulich, dass wie in vielen europäischen Ländern besonders in Schweden die ökologische Landwirtschaft boomt. Bereits um das Jahr 2000 herum lag der Anteil der ökologischen genutzten landwirtschaftlichen Fläche bei 6,3 Prozent. In Deutschland wurde dieser Wert zum Vergleich erst 2013 erreicht. Auch beim Umsatz liegt Schweden vorne. Dieser stieg in Deutschland 2013 um 7,2 Prozent auf 7,55 Milliarden Euro. Im selben Zeitraum stieg er in Schweden um 13 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro; im ersten Halbjahr 2014 sogar um 30 Prozent.
Treibende Kraft für dieses rasante Wachstum dürften dabei vor allem die Supermärkte sein: Die schwedische Kette ICA hat es sich nach eigenen Angaben zum Ziel gemacht, den Anteil von Bio-Produkten deutlich zu erhöhen. Ein weiterer Grund für den Erfolg Schwedens ist wohl der dortige Bauernverband, der verschiedene Projekte betreibt, um über ökologische Landwirtschaft zu informieren und konventionelle Bauern beim Umstieg zu unterstützen. So üben sich konventionelle und ökologische Landwirte in Zusammenarbeit. Der Bauernverband ist schon lange Mitglied bei KRAV – eine wichtige schwedische Organisation für ökologische Landwirtschaft. Die Agrarlobby in Deutschland dagegen widersetzt sich der Umschichtung von Fördermitteln zugunsten der ökologischen Landwirte meist heftig.
Franzéns Charkuterier ist beispielhaft für konsequente ökologische Tierhaltung. Die Schweine verbringen ein unbeschwertes, langes und natürliches Leben, frei von präventiven Antibiotika und Kastration. Die Gehege haben jeweils die Größe eines Fußballfeldes. So haben die Schweine genug Platz im Schlamm zu wühlen, sich an Baumstämmen zu reiben und für anderen Schweinekram.
Und doch, irgendwann endet das Leben der Tiere. Alle paar Wochen bringt Kristofer ein Schwein zum Schlachter. Denn genauso sehr wie er sich um das Wohl der lebenden Schweine sorgt, ist er daran interessiert, die besten Erzeugnisse aus dem Schweinefleisch zu produzieren.
Das Herzstück des Hofes bildet die Charkuterier (Metzgerei), die er und seine Frau vor wenigen Jahren in einen ehemaligen Stall eingebaut haben. In dem hochmodernen Raum, der mehr wie ein Labor anmutet, verbringt Kristofer die meiste Zeit des Tages, um das frische Fleisch zu verwerten. Akribisch modifiziert und erweitert er dabei sein Rezeptbuch für Würste und Fleisch aller Art. Auch als Wwoofer darf man mit hinein und bei einfachen Arbeiten, wie dem Zerlegen und Klassifizieren von Fleischteilen helfen. Das mag für den ein oder anderen gewöhnungsbedürftig sein. Wenn man sich allerdings darauf einlässt, kann man sich leicht in die akribische Arbeit hinein vertiefen und so völlig vergessen, dass man Teile eines toten Tieres vor sich hat. Nach ein paar Tagen hat man sich spürbar verbessert und bald macht die filigrane Arbeit wirklich Spaß.
Aber als Wwoofer gibt es leider viel mehr zu tun. Wenn die Schweine von Fütterung, über Streicheleinheiten bis Strohwechsel ausreichend umsorgt sind, ist man als Wwoofer bei Li und Kristofer sehr stark in den Haushalt eingebunden. Banale Sachen, wie mit dem Hund Sonia Gassi gehen, Essen vorbereiten oder kochen, stehen mit auf dem Programm. Was Kristofer und Li in der Küche jeden Tag auf die Beine stellen, ist mehr als bemerkenswert. Schon das Frühstück hat es in sich: Es gibt morgens ausschließlich selbstgebackenes Brot. Ganz klassisch schwedisch entweder mit Marmelade oder mit Käse vom Block gehobelt. Mittags und abends gibt es die verschiedensten Gerichte. Viele der Erzeugnisse, die Kristofer in der Metzgerei produziert, finden auch den Weg in die private Küche. So gibt es zwar fast jeden Tag Fleisch, jedoch nie in riesigen Mengen. Die Gerichte sind viel mehr bunte Kompositionen mit Fleisch als Delikatesse. So scheint der Aufenthalt auf Franzéns Charkuterier zeitweise durchaus wie ein Gourmet-Urlaub, Kochkurs inklusive.
Was Kristofer und Li von einer Hilfskraft verlangen, ist eigenverantwortliches Arbeiten. Am Frühstückstisch wird zusammen entschieden, welche Aufgaben unbedingt zu erledigen sind und was in nächster Zeit ansteht. Den Tag über hat man als Wwoofer dann freie Hand. In schwierigerer Aufgaben wird man zwar eingeführt, aber das passende Werkzeug oder Benzin für den Rasenmäher muss man bestenfalls selbst in den verworrenen Untiefen der verschieden Werkzeugschuppen ausfindig machen. Nur ein außergewöhnliches Vertrauen macht das möglich. Das vorurteilsfreie Vertrauen in das Gute im Menschen ist auch Grundlage für das enge Zusammenleben im Wohnhaus, das man als Wwoofer mit den beiden führt.
Für die Freizeit, die jeden Abend und an manchen Nachmittagen bleibt, ist das Programm besser, als man es in der schwedischen Einöde erwarten könnte. Einmal fahren wir zu einem idyllisch gelegenen See. Eine willkommene Erfrischung nach der harten, staubigen Arbeit auf dem Hof. Auch auf ein traditionelles „Midsommarfest“ gehen wir. Wir erleben aber auch ganz gemütliche Abende zu Hause. Eine Sauna steht zur freien Verfügung und das Sofa mit Fernseher wird auch nicht selten in Anspruch genommen. Diese gemütlichen Abende sind eine Wonne nach der ausgiebigen Arbeit an der frischen Luft. Schon nach einer Woche fühle ich mich bei den beiden wie zu Hause.
Meine Eltern kaufen immer normales Fleisch obwohl ich mir wünsche dass sie Bio kaufen.Ich verzichte schon sehr auf Fleisch und meine Eltern meinen das das überhaupt keinen Unterschied macht zwischen normal und Bio. Stimmt das denn? Weil ich will das es den Tieren gut ging von denen ich das Fleisch esse.