Die Unterführung am Bismarckplatz ist aus dem Heidelberger Stadtbild fast vollständig verschwunden. Warum eigentlich? Teil zwei unserer Serie „Heidelberg unter der Erde“.
Es ist schon eine merkwürdige Szenerie, die sich wenige Meter unterhalb des Bismarckplatzes abspielt: Aus Lautsprechern erklingen die furchtbarsten Weihnachtshits unserer Zeit, Mitten im Gang steht ein pappmarschierter Osterhase, daneben eine Schaufensterpuppe in Bikini-Outfit. Das Rattern der Straßenbahnen ist unüberhörbar.
Von der Heidelberger Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, liegt seit fast einem halben Jahrzehnt ein Tunnel unter dem zentralen Platz der Stadt. Heute erinnert nur noch ein zugemauerter Treppenabgang als verkommenes Denkmal an die besseren Jahre dieser Unterführung.
Es war November im Jahre 1968 als sie ihre Tore öffnete. Sie sollte als Verbindungsweg zwischen den Kaufhäusern Horten und Woolworth dienen. Beide waren erst wenige Jahre zuvor eröffnet worden und der Bismarckplatz als zentraler Einkaufsort Heidelbergs gedacht. Die Rhein-Neckar-Zeitung titelte anlässlich der Eröffnung: „Schaufensterbummel in attraktiver Unterwelt“. So säumten auch 13 Glasvitrinen die Passage. Zudem führten vom Bismarckplatz Treppen in den Tunnel hinab, erklärt Wilhelm Schuster von Galeria Kaufhof, der die Unterführung heute als Lagerfläche nutzt. „Dadurch war der Tunnel Tag und Nacht zugänglich“, und die Fußgänger konnten den überirdischen Verkehr meiden. Laut RNZ war ebenfalls ein „späterer Durchbruch in Richtung Hauptstraße“ geplant, jedoch sollte es dazu schon nicht mehr kommen. Heute weist im Tunnel einzig eine zugemauerte Betonplatte auf diesen Plan hin. Und auch die Reste der Schaufenster halten sich tapfer; allerdings sind sie mit ausrangierten Holzregalen, Kleiderständern und sonstigem Ramsch zugestellt.
Schon wenige Jahre nach der Eröffnung wurde der Tunnel dann Zeuge der eher bewegteren Phase Heidelberger Zeitgeschichte: Proteste gegen die Altstadtsanierung, Fahrpreiserhöhungen und den umstrittenen Oberbürgermeister Reinhold Zundel prägten die „wilden“ 70er Jahre Heidelbergs. Kein anderes Jahrzehnt hat die Stadt so sehr verändert – jedenfalls aus der Perspektive mancher Beteiligter. Zumindest finden sich einige Wandschmierereien an den ockerfarbenen Fliesen als Spuren dieser Zeit: „Zundel und RNZ – Volksverhetzung macht sie fett“, „Erhängt alle Nazis!“, aber auch „Solidarität für Reinhold Zundel“. So wurde es nichts mit einem gemütlichen „Schaufensterbummel“ und die Unterführung von den Heidelbergern nie richtig angenommen, wie sich Bernd Fuchs, langjähriger Polizeichef der Stadt, erinnert. Er kennt den Tunnel noch aus seinen Anfangsjahren bei der Polizei. „Heute würde man die Passage als Angstraum bezeichnen – sie war geprägt von allgemeiner Verwahrlosung und Unordnung.“ Uringestank, Dreck und Müll prägten ihr Bild, zunehmend wurde sie auch von Wohnungslosen als Domizil genutzt. In der Altstadt waren diese für Zundel ein lästiges Übel. Daher ließ er sie aufsammeln und im Odenwald aussetzen. Ob dies auch unter dem Bismarckplatz geschah?
Da fügte es sich, dass Ende der 70er Jahre eine Umgestaltung des Platzes angedacht war. Im Zuge dessen erfolgte bereits 1978 der Beschluss die Passage zu schließen, der aber erst 1986 umgesetzt wurde. Die Treppenabgänge am Bismarckplatz wurden entfernt, stattdessen thront nun die „Spaghetti-Säule“ über dem Tunnel.
„Erleben Sie unseren Weihnachtszauber im Erdgeschoss“ – wenigstens die Durchsage funktioniert gegenwärtig, ebenso wie die Notbeleuchtung und die Sprinkleranlage. Galeria muss die strengen Brandschutzauflagen der Stadt einhalten und „das kostet einen Haufen Geld“, bemerkt Wilhelm Schuster. Aber auch die Stadt hätte die Unterführung „am liebsten zugeschüttet“, wie Norbert Penninger vom Tiefbauamt sagt. Sie sei undicht und eigentlich dringend renovierungsbedürftig. Doch könne man sich mit Galeria nicht über die Finanzierung einigen.
So wird sich wohl an ihrem tristen Dasein in naher Zukunft nichts ändern – zugänglich nur für ein paar Osterhasen und Weihnachtsmänner.
von Michael Graupner
[divider]Nächste Folge: Die Stadt über dem Fluss – Braucht Heidelberg einen Neckartunnel?
Aha, ok, Tunnel.
Der Tunnel diente vor allem dazu, die Fussgänger unter die damals noch über und neben dem Bismarckplatz verlaufenen Strassen und die vier Bahnschienen sicher zu bringen, mit Aufgängen direkt zu den verschieden Bahnsteigen und Bushaltestellen – auf und rund um den Platz.
Nach der Umgestaltung des Bismarckplatzes wurden diese Aufgänge verschlossen und man gelangte durch den Tunnel nur noch vom Untergeschosse des Hortens (heute Kaufhof) – links neben dem Auftzug – in das Untergeschoss des „Woolworth“, der zwar keine Verkaufsfläche im UG hatte aber von wo man direkt mit über einer Treppe ins EG gelangte, an deren Ende es die besten Wiener Würste gab.