Der chinesische Autor und Dissident Bei Ling erzählt bei einer Lesung in Heidelberg von seinem Leben im Exil.
„So musste ich stundenlang bewegungslos sitzen. Wenn ich versuchte, aufzustehen, wurde ich niedergetreten.“ Bei Ling kauert am Boden, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Er erzählt von seiner zweiwöchigen Haft im Qinghe-Gefängnis in Beijing. 2000 wurde der chinesische Dissident und Autor eingesperrt, weil er seine regimekritische Zeitschrift „Tendenzen“ veröffentlicht und verteilt hatte. „Das ist Folter“, ruft ein Mann aus dem Publikum nach vorne. Er ist Mitarbeiter bei Amnesty International.
Der mittlerweile 54-jährige Huang Bei Ling, der zu den maßgeblichen chinesischen Dissidenten gezählt wird, wirkt bei seiner Lesung im Heidelberger Tea & Zen Salon nicht besonders glücklich. Er wird vermutlich nie mehr als freier Bürger nach China zurückkehren können. Wenn man ihn danach fragt, kostet ihn das nur ein Kopfschütteln. Seine Staatsbürgerschaft musste er ablegen. Er ist jetzt Amerikaner – zumindest auf dem Papier. Dass Bei Ling damals nach nur wenigen Wochen wieder freigekommen ist, verdankt er dem Einsatz des amerikanischen Außenministeriums und der von der amerikanischen Schriftstellerin Susan Sontag aufgestellten Koalition namhafter internationaler Autoren. In Deutschland ist er vor allem seit dem Vorfall auf der Frankfurter Buchmesse 2009 bekannt. In jenem Jahr war China das Gastland der Buchmesse, Bei Ling war ursprünglich als Referent vorgesehen. Zwei Tage vor Beginn wird er ausgeladen. Wenn er kommt, kommen wir nicht, droht China. Bei Ling kommt dann trotzdem. Als er auf die Bühne geht, verlässt die gesamte chinesische Delegation samt ehemaligem Botschafter den Saal. Der Eklat ist perfekt.
Mit der Schilderung dieser Ereignisse beginnt Bei Ling auch seinen autobiografischen Erzählband „Ausgewiesen. Über China“, der 2012 bei Suhrkamp erschienen ist. Auch wenn der Übersetzung Eleganz und Feinschliff fehlen, wird doch deutlich, dass sich dieser Mann in keine Schublade stecken lässt. Freund von Ai Weiwei, ehemaliger Mitbewohner, Vertrauter und Biograf des (noch immer) inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, Verleger, Dichter, geschickter Strippenzieher, Dissident, Selbstdarsteller – Bei Ling lässt sich kein simples Label verpassen. Politischer Aktivist ist er allerdings nicht. Er schreibt deren Biografien. Denn als 1989 in China die Studentenproteste ihren Höhepunkt erreichen, bleibt er in New York. Er könne dort ohnehin nichts ausrichten, lässt er sich von einem Freund überzeugen.
Wenn er über die literarische Szene in China spricht, klingt das verbittert. „Mo Yan, der erste chinesische Nobelpreisträger, wird von der Partei wegen seines internationalen Ansehens instrumentalisiert. Als offizieller Repräsentant Chinas kann er sich nicht dagegen wehren“, meint Bei Ling. Diese Generation von Schriftstellern, seine Generation, wird sehr von ausländischen Autoren beeinflusst. Von Paul Celan zum Beispiel. Dessen Texte hat Bei Ling auch in seinem Verlag herausgebracht. „Seine Literatur ist Alkohol, so stark und tief. Die macht dich betrunken. Nicht so wie manche anderen deutschen Schriftsteller – deren Werke sind da vergleichsweise wie Wasser.“
Heute versucht er, seine Stimme aus dem Ausland laut werden zu lassen. Bis ganz nach China tönt sie selten und auch dann nur indirekt, über das Internet. In E-Mails an Freunde und Bekannte. „Mit meinen Schriftzeichen wasche ich den Himmel der Fremde rein“, schreibt er. Das Exil ist ihm zur Lebensform geworden. Als Heimat dient ihm seine Sprache. „Ich zeige euch Chinas dunkle Seiten“, sagt Bei Ling im Laufe des Abends. Und das tut er. Seine Geschichte zeugt von mangelnder Meinungs- und Pressefreiheit in China. Bei Ling wird auch instrumentalisiert. Als abschreckendes Beispiel. So sagt der Polizeibeamte, der Bei Ling 2000 verhört, bezeichnenderweise: „Du willst mich verarschen, stimmt’s? Du hast doch lange genug in China gelebt und willst mir vormachen, du wüsstest nicht, dass die Verfassung hier rein gar nichts bedeutet?“ Erst wenn Bei Lings Buch auch in China erscheint, werden wir wissen, dass sich etwas geändert hat.