Hera Sandhu und Glenn Bauer führen die Verfasste Studierendenschaft in ihre zweite Legislaturperiode. Ein Gespräch über das Selbstverständnis des StuRa, die Beziehung zum Rektor und den Alkoholkonsum im Sitzungssaal.
In der ersten Legislaturperiode musste sich der StuRa viel mit administrativen Dingen befassen. In den ersten Sitzungen konnte man wieder den Eindruck gewinnen, dass es fast nur um interne Angelegenheiten und die genauen Formulierungen der Antragstexte geht. Beschäftigt sich der StuRa zu sehr mit sich selbst?
Glenn Bauer: Nein, dass es ein Zuviel der Selbstbeschäftigung wäre, muss ich verneinen. Es ist nötig, vieles erst aufzubauen, es war ja bisher nichts da. Etwa der Umbau des StuRa-Büros ist uns auch nicht einfach eingefallen. Das passiert aufgrund eines Brandschutzgutachtens, das die Universität umsetzen muss. Auch etwa zum Einstellen von Personal sind wir gesetzlich verpflichtet.
Hera Sandhu: Es stimmt zumindest, dass die Debatten noch nicht ganz strukturiert sind. Manche Abgeordneten scheinen noch unsicher über den Ablauf einer Diskussion und es besteht bei den Beiträgen ein großer Mischmasch von Inhalt und Formalia. Manchmal werden Kommentare abgegeben, die nicht an diese Stelle passen. Es gibt eben noch keine Diskussionskultur wie in einem länger bestehenden Gremium. Die etabliert sich eben nicht von heute auf morgen.
Wie kann sich aber eine solche Kultur in Anbetracht der Diskontinuität des Gremiums überhaupt entwickeln?
Hera: Am Ende der letzten Legislaturperiode gab es ein Treffen, bei dem die Abgeordneten gemeinsam reflektiert haben, was gut oder schlecht lief. Wir haben etwa beschlossen, dass der StuRa nicht mehr bis 3 Uhr morgens tagt, weil man um diese Zeit zu nichts mehr fähig ist. Deswegen sind die Sitzungen jetzt auf 11, 12 Uhr begrenzt. Das sind eben Entwicklungen, die Schritt für Schritt stattfinden.
Glenn: Die Diskontinuität des Gremiums ist sowieso keine vollständige. Viele Fachschaften entsenden ja Vertreter, deren Legislaturperioden sich nicht mit der des StuRas decken, sodass einige ihrer Vertreter auch im nächsten StuRa sitzen werden.
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Hera Sandhu: Hera ist 28 Jahre und studiert Medizin im 5. Semester. Sie wurde am 2. Dezember zur weiblichen Vorsitzenden der VS gewählt. Dazu kam es recht spontan: „Ich hatte ursprünglich nicht geplant, für den Vorsitz zu kandidieren. Nachdem sich aber keine Kandidatin fand und ich in meinem persönlichen Umfeld die Meinung vertrete, dass mehr Frauen verantwortungsvolle Posten übernehmen sollten, habe ich mich dafür entschlossen.“[/box]
Laut § 65a des Landeshochschulgesetzes ist es Aufgabe des StuRas, die „Förderung der politischen Bildung und des staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins der Studierenden“ zu unterstützen. Woher nehmt ihr die Legitimation, euch zu allgemeinpolitischen Themen zu äußern, etwa einen Brief an einen amerikanischen Whistleblower zu verfassen?
Glenn: Das musst du die Antragsteller fragen. Aber generell: Es ist unser Auftrag, den Leuten ihre Rechte aus dem Grundgesetz und deren Stellenwert in einer Demokratie zu vermitteln. Die Studierendenschaft ist ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Wenn es um Angelegenheiten der Uni oder der Stadt Heidelberg geht, wird klar, dass die Studierenden hier eine Stimme haben sollten. Warum sollte das auf bundesweiter Ebene nicht der Fall sein, zumindest im Hinblick auf Themen, die die Studierenden wenigstens mittelbar auch betreffen können? Deswegen wurde uns dieses Mandat gegeben.
Wäre es nicht zielführender, wenn sich der StuRa nur mit hochschulpolitischen und Heidelberg betreffenden Angelegenheiten befassen würde, wo er konstruktiv agieren kann?
Glenn: Es heißt ja nicht, dass wir die Vorkommnisse in Heidelberg ignorieren. Wir haben auch Stellungnahmen zu der geplanten neuen Straßenbahnlinie abgegeben oder zu der Nogida-Demonstration. Das schließt sich nicht aus. Wir machen beides.
Schadet es aber nicht dem Ansehen des StuRas, wenn er sich zu sehr mit außeruniversitären Dingen beschäftigt?
Hera: Ja, durchaus. Wir können im Moment noch nicht kontrollieren, was von der Arbeit des StuRas nach außen dringt. In der nächsten Legislaturperiode wollen wir bewusst darauf Einfluss nehmen, was die Studierenden über uns erfahren. Dabei soll die inhaltliche Arbeit im Zentrum stehen, damit die Studierenden verstehen, was wir hier machen, wie sie sich einbringen und von der VS profitieren können. Das soll durch eine bessere Internetpräsenz, Pressemitteilungen, Rundbriefe oder mithilfe unserer Facebook-Seite geschehen.
Laut des Studierenden-Surveys 2014 sind aber nur etwa 30 Prozent der Studenten überhaupt an Hochschulpolitik interessiert. Bei der letzten StuRa-Wahl wählten nur niederschmetternde 12,5 Prozent. Stellt das eure Arbeit nicht infrage?
Hera: Es zeigt einfach nur, dass die Studis nicht wissen, dass sie sich beteiligen können. Jeder Student kann einen Antrag einreichen und uns wissen lassen: „An unserer Universität fehlt mir ein Schokoladenbrunnen.“ Und dann diskutiert der StuRa eben über einen Schokoladenbrunnen.
Glenn: Ich würde es auch nicht als niederschmetternd ansehen, sondern als Herausforderung. Unsere demokratische Legitimation ist davon abhängig, klar. Aber ich mache auch für eine Person Politik. Solange es Menschen gibt, die Interessen oder Probleme haben, muss für diese Menschen Politik gemacht werden. Wir dürfen nicht inaktiv bleiben, nur weil wenige Studenten ihre Anliegen aussprechen. Das wäre eine Kapitulation vor der uns vom Gesetzgeber überantworteten Aufgabe.
Es ist unser Auftrag, den Leuten ihre Rechte aus dem Grundgesetz zu vermitteln
Wie wird die VS auf eine höhere Wahlbeteiligung hinwirken?
Glenn: Die Wahl für den nächsten StuRa wird am Ende des kommenden Sommersemesters mit den Senats- und Fakultätsratswahlen zusammengelegt. Dadurch werden für alle diese Wahlen die Beteiligungszahlen hoffentlich steigen.
Wie viel Zeit und Energie steckt ihr in euer hochschulpolitisches Amt?
Hera: Wir brauchen jeden Tag mindestens zwei Stunden, allein um Emails zu beantworten und uns über aktuelle Geschehnisse zu informieren. Daneben ist Zeit nötig, um sich auf die Sitzungen und die Referatekonferenz vorzubereiten. Wir müssen Briefe an andere Gremien, etwa an das Rektorat schreiben oder Pressemitteilungen verfassen. Es ist also auch sehr viel Hintergrundarbeit zu leisten, die so vielleicht gar nicht gesehen wird. Über die Weihnachtsferien waren wir, bis auf den 24. und 25. Dezember, die ganze Zeit hier und haben Finanzanträge abgearbeitet. Das schlaucht schon sehr.
Glenn: Ich habe eine 50-Stunden-Woche, hart gesagt, in der ich mich allein mit dem StuRa beschäftige.
Auch viele andere Abgeordnete sind sehr engagiert. Aber in den StuRa-Sitzungen gibt es auch einige Vertreter, die sich vorwiegend mit anderen Dingen beschäftigen, Bier trinken und Pizza essen. Ist das nicht auch frustrierend, zu sehen, dass einige StuRa-Mitglieder ein anderes Verständnis von diesem Amt haben?
Hera: Ein bestimmtes Verständnis kann man niemandem einbläuen. Auch das sind gewählte Mitglieder, die ihre Legitimation im StuRa haben. Wir können nur an sie appellieren. Wir wollen auch bald darauf hinwirken, dass der Alkoholkonsum eingeschränkt wird. Aber Verbote werden wir nicht aussprechen, jeder muss selbst wissen, was er leisten möchte.
Glenn: Ich sehe auch das als Herausforderung. Natürlich ist es nervig, wenn man über einen Antrag diskutiert, an dem man drei Wochen gesessen hat und einige Mitglieder schauen nur auf ihr Handy. But that’s life, that’s politics. Wenn du den Leuten klarmachst, warum die Debatte wichtig ist, hören sie dir auch zu. Man erreicht Leute nicht, indem man sie kritisiert, sondern man muss die Bedeutung der Inhalte vermitteln.
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Glenn Bauer: Glenn ist 24 Jahre alt und studiert Ostasienwissenschaften mit Schwerpunkt Japanologie im 9. Semester. Das politische Engagement wurde ihm in die Wiege gelegt: „Mein Vater als US-Amerikaner hat in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre mitgemacht.“ Er war lange für seine Fachschaft aktiv und letztes Semester Referent für hochschulpolitische Vernetzung und verwaltete die Finanzen.
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Rektor Eitel hat kürzlich der RNZ gesagt, er sehe im StuRa durchaus „konstruktive Strömungen“. Etwas mehr Realismus sei aber angebracht.
Glenn: Ist Realismus das, was Herr Eitel als sogenannte Notwendigkeit darstellt? Er meint wohl Dinge, die ihm politisch unliebsam sind. Demokratie lebt davon, dass man Ideale hat und dass man sagt „Das ist uns wichtig.“ Wenn Herr Eitel meint, etwas sei für die Uni nicht wichtig, dann ist das seine persönliche Ansicht. Den Begriff „konstruktive Strömungen“ verstehe ich auch nicht – für mich ist der StuRa als solcher konstruktiv.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Rektorat? Wie sehr seid ihr schon im universitären Alltag angekommen?
Glenn: Herr Eitel hat schon mit dem Vorsitz des StuRas geredet, aber nur zu bestimmten Themen und nie mit dem Plenum. Ich weiß von anderen Hochschulen, an denen sich der Vorsitz der VS jede Woche mit dem Rektor auf einen Kaffee trifft. Das ist nicht nötig, aber man muss schon ins Gespräch kommen.
Hera: Die Uni hatte 35 Jahre keine VS. Herr Eitel hat seine erste Amtszeit ohne uns verbracht und war damit wohl auch glücklich. Jetzt muss in den Köpfen der oberen Ebenen ein Wandel stattfinden. Das ist eine Zeitfrage. Aber in den Gremien der unteren Ebenen sind wir angekommen. Wir sind Teil des Uni-Alltags.
Der Hochschulfinanzierungsvertrag wurde gerade abgeschlossen. Letzten Sommer gab es große Proteste in Heidelberg, aber jetzt scheinen sich alle friedlich geeinigt haben. Seid ihr mit dem Vertrag auch so glücklich?
Glenn: Da musst du die Referate-Konferenz fragen. Ich könnte dir bloß meine persönliche Meinung sagen.
Im Vertrag steht, dass die Qualitätssicherungsmittel (QSM) in die Grundfinanzierung überführt werden sollen.Wissenschaftsministerin Bauer argumentiert , dass 75 Millionen der QSM für 2013 nicht verwendet wurden. Ist daher die beschlossene Regelung nicht eine bessere?
Glenn: Nein, dadurch gehen Mitbestimmungsrechte der Studierenden verloren. Nur der Rektor entscheidet darüber, wie die Gelder verteilt werden, womit die Zuweisung der QSM nicht mehr wie bisher anhand der Studierendenzahl pro Fakultät stattfindet. Die Gefahr ist, dass als nicht bedeutsam angesehene Institute zu kurz ausgehen. Wir als VS sind klar dagegen, denn wir wollen etwas erreichen für alle Studierenden, nicht für die Wirtschaft.
Was sind die wichtigen Inhalte, die für die zweite Legislaturperiode anstehen?
Glenn: Wir brauchen eine Positionierung des StuRas zum Hochschulpakt. Und wir müssen weiter auf die Demokratisierung der Hochschule hinwirken und verdeutlichen, dass wir mitreden wollen.
Rektor Eitel hat der RNZ auch gesagt: „Die Universität ist enorm dynamisch. Wir haben einen großartigen Spirit, alle packen an, alle wuseln. Hier gibt es keine resignative Stimmung wie an anderen Hochschulen.“ Ist die Stimmung so gut?
Hera: Was soll man dazu sagen? Dass so eine Stimmung vom Rektorat ausginge, habe ich noch nicht mitbekommen. Vielleicht kann Herr Eitel in den StuRa kommen und uns diesen „Spirit“ vermitteln.
Glenn: It’s work in progress.
Das Gespräch führten Michael Graupner und Vicky Otto