Karen Köhler mischt die deutsche Literaturszene auf. Im DAI las sie aus ihrem ersten Erzählband.
Man sieht Karen Köhler die Härte und Brutalität ihrer Texte – die trotzdem bis ins letzte Wort liebevoll erzählt sind – nicht an. „Über manche Dinge kann man nicht reden, weil sie dadurch kleiner werden“, sagt sie im Anschluss an ihre Lesung. Sie tut es aber trotzdem. Zumindest schreibt sie über diese Dinge, nähert sich ihnen auf eine so noch nicht gelesene, radikale, die Abgründe ihrer Texte genau auslotende Weise an. Ihr Erzählband „Wir haben Raketen geangelt“, der erst vergangenen Herbst im Hanser Verlag erschien, umfasst neun Kurzgeschichten. Sie spielen in beengten Dörfern, der Wüste von Texas, Krankenhäusern, Wäldern oder auf Kreuzfahrtschiffen. Ihre Figuren haben fast alle etwas verloren – Dinge, Menschen, sich selbst. Teilweise bestehen die Erzählungen nur aus Postkarten, aus Tagebucheinträgen oder Mini-Rückblenden. Und doch eröffnet jede einzelne von ihnen den Blick in eine eigene, in sich homogene Welt, mit plastischen, komplexen Charakteren und greifbaren, bildhaften Räumen, zusammengehalten von Köhlers besonderer Sprache.
In den Feuilletons der deutschsprachigen Medienlandschaft wird sie dafür hochgepriesen: „Reden wir nicht darum herum: Da ist Meisterschaft am Werk“, schreibt Ursula März beispielsweise in der ZEIT. Vielleicht sind Karen Köhlers Erzählungen so besonders, weil ihr der Balanceakt zwischen Deskription und Reduktion gelingt. Sie findet die richtigen Worte und lässt die falschen weg, was ja schon Oscar Wildes Definition von gutem Schreiben war. Dass sie in der Literatur „nach dem Weglassen“ sucht, sagt die 41-jährige, die eigentlich Illustratorin und ausgebildete Schauspielerin ist, auch von sich selbst.
Ich will Geschichten erzählen. Egal wie
Aber das allein ist es noch nicht. Es ist auch das Format der hochverdichteten Kurzgeschichte. Diese kurze, aber intensive Auseinandersetzung mit dramatischen Drehmomenten des menschlichen Daseins entspricht dem Lebensgefühl unserer beschleunigten Gesellschaft. Auch wenn diese Form des Erzählens altbekannt ist und vor allem in der Nachkriegszeit hochbeliebt war, ist sie doch bislang in den Augen vieler Literaturschaffender weniger angesehen als längere Formate. Aber jetzt feiert die Kurzgeschichte eine Art Comeback. Am Literaturnobelpreis von 2013 für die Kanadierin Alice Munro, die ausschließlich Kurzgeschichten schreibt, und dem Erfolg von Autoren wie Nathan Englander („What We Talk About When We Talk About Anne Frank“) oder George Saunders („Tenth of December“) lässt sich ein erhöhtes Interesse an dieser Art von Literatur ablesen. Trotz allem zählt letztlich der Inhalt.
„Ich will Geschichten erzählen. Egal wie“, sagt Karen Köhler auf die Frage, wieso sie schreibt und wieso sie es jetzt tut. Ein Einstieg in den
Literaturbetrieb in dieser Größenordnung ist in ihrem Alter doch eher ungewöhnlich. „Dass ich Anfang vierzig und nicht Anfang zwanzig bin, ist ein Vorteil. Ich habe mehr
Lebenserfahrung und die fließt in meine Texte ein“, kontert sie. Vor ihrem Kurzgeschichtendebüt hat sie Theaterstücke geschrieben. Vielleicht rührt auch daher diese gewisse bewegte Dramatik ihrer Geschichten, in denen sie „dem Schmerz Raum geben“ will, „ihm aber auch Leichtigkeit entgegenzusetzen“ versucht.
Dass sie sich klischeefrei an die großen Themen des Lebens heranwagt, wurde auch mit einer Einladung zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2014 honoriert. Aber Karen Köhler erkrankte kurzfristig an Windpocken und durfte wegen der Ansteckungsgefahr nicht am Wettlesen teilnehmen. Fast so dramatisch wie eine ihrer Geschichten. Aber es wird mit Sicherheit nicht die letzte Einladung gewesen sein.
von Dorina Marlen Heller