An einem ungemütlichen Nachmittag im Januar ziehen dicke Wolken am Himmel vorbei. Der Wind weht stürmisch und raschelt in den hohen Bambussträuchern, die am Eingang zu den Gewächshäusern des botanischen Gartens stehen. Ich freue mich auf die erste Jubiläumsführung in diesem Jahr, denn der Garten feiert 2015 sein hundertjähriges Bestehen auf dem heutigen naturwissenschaftlichen Campus der Universität Heidelberg.
Als einer der ältesten botanischen Gärten überhaupt, blickt der Garten in Heidelberg auf eine bewegte Geschichte zurück. Bereits 1593 gründete der Heidelberger Arzt und Professor Henricus Smetius unterhalb des Schlosses einen Garten, der damals ausschließlich zur Erforschung von Heilpflanzen für medizinische Zwecke genutzt wurde. Als die Botanik Mitte des 19. Jahrhunderts als Wissenschaft selbstständig wurde, musste der Garten innerhalb der Altstadt bereits mehrfach umziehen. Nun ein Teil der Universität, zog er unter der Ägide des ersten Lehrstuhlinhabers Gottlieb Wilhelm Bischoff an den Bismarckplatz. „Vor 110 Jahren schließlich, wurde der botanische Garten ins Neuenheimer Feld, seinen heutigen Standort, verlegt und dort 1915 feierlich eröffnet.“ Damit schließt Friederike Niestroj, Diplom-Biologin, den Exkurs zur Historie des Gartens und führt uns in das erste Gewächshaus. Wir sind im Tempel der Pflanzenjäger angekommen.
Im tropischen Bergwaldhaus umgibt unsere Gruppe das satte, dunkle Grün der Ziergewächse, Baum- und Bodenfarne und zieht sie in seinen Bann. Es ist unerwartet kühl. Wir erfahren, dass die Temperatur hier der Außentemperatur angepasst ist. Die Bedingungen eines gemäßigt tropischen Klimas, das in den mittleren Höhenlagen tropischer Gebirge vorzufinden ist, wurde simuliert. Ins Auge stechen die blühenden Orchideen, die überall im Gewächshaus aufgehängt sind. Von circa 30 000 bekannten Orchideenarten weltweit, beherbergt der Heidelberger botanische Garten etwa 3300. Diese deutschlandweit größte Orchideensammlung geht auf die rege Sammeltätigkeit von Pflanzenjägern wie Werner Rauh zurück, der von 1960 bis 1982 Direktor des botanischen Gartens war. Den Besuchern bleibt der Zutritt zu den Orchideenhäusern indes verwehrt. Andreas Franzke, wissenschaftlicher Leiter des botanischen Gartens, begründet dies mit der Sorge um Schwund durch Diebstahl. Häufig würden Aufgabe und Zweck des Gartens missverstanden, sodass schon mal Pflanzenbestellungen von Privatpersonen im E-Mail-Posteingang des wissenschaftlichen Leiters landeten. „Das ist nicht unser Job. Wir sind kein Blumenladen!“, empört sich Franzke. „Eine unserer Kernaufgaben besteht darin, Pflanzenmaterial für wissenschaftliche Zwecke abzugeben.“ Dies ist mit bürokratischem Aufwand verbunden, denn die Abgabe erfolgt gemäß der Convention on Biological Diversity (CBD). Zentraler Mechanismus der CBD ist das sogenannte Access and Benefit-Sharing. Konkret geht es darum, den Zugang zu den Pflanzen zu regeln und die Vorteile die aus der Nutzung des Pflanzenmaterials entstehen, gerecht auszugleichen. Als biologische Ressource gehört jegliches Pflanzenmaterial in botanischen Gärten den Herkunftsländern. Im Hinblick auf die wenig rühmliche koloniale Vergangenheit der botanischen Gärten, ist ein solches Umdenken zu begrüßen. Kurz gesagt: Neben der öffentlichen Bildungsarbeit bestehen die zentralen Aufgaben des Gartens im Bewahren, Verwalten und Erforschen der Pflanzen.
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FOTOSTRECKE Palmen, Sträucher, Orchideen – Die schönsten Bilder aus dem Botanischen Garten
Vorbei an Bärlappgewächsen und Begonien geht es nun ins Tropenhaus. Die Luft ist feucht-warm, Kondenswasser tropft von den Blättern. Von irgendwoher plätschert es. Wir entdecken bekannte tropische Nutzpflanzen wie den Bananen- und Papayabaum oder die Kakaopflanze. Plötzlich reißt die Wolkendecke auf, Sonnenstrahlen fallen in das hohe Gewächshaus und tauchen den Miniatur-Dschungel in ein geheimnisvolles Licht. Bevor ich mich auf einer der Sitzgelegenheiten ausruhen und die Atmosphäre genießen kann, geht es schon weiter in das Bromelienschauhaus und das Victoriahaus. Hier lernen wir das kuriose Bromeliengewächs Tillandsia usneoides kennen. An Drahtseilen aufgehängt, erinnert die Pflanze mit ihren fadenförmigen Blättern an einen langen Bart. Als letztes führt uns Friederike Niestroj in das Sukkulentenhaus, das Pflanzen aus der alten und neuen Welt beherbergt. Ins Auge fallen als Erstes die verschiedenen Aloë-Arten, die jetzt im Winter ihre Blüten tragen. Daneben bestaunen wir nicht minder imposante Kakteen- und Wolfsmilchgewächse. Mit diesen Eindrücken werden wir aus dem Tempel der Pflanzenjäger verabschiedet.
Interessant für Kaffeeliebhaber und alle Anderen ist die Pflanzenbörse am Eingang zu den Gewächshäusern: Hier gibt der botanische Garten überschüssige Pflanzen gegen eine Spende an Privatpersonen ab, mitunter auch Ableger von Kaffeesträuchern. Wer schon immer mal selbst Kaffeebohnen anbauen und rösten wollte, den ermuntert Andreas Franzke: „Kaffee ist schwer zu kultivieren, aber auch nur schwer totzukriegen.“
von Annett Giebelhausen