Sie sind anonym, politisch und temperaturunempfindlich: Heidelberger setzen sich für Flüchtlinge hin.
Seit Anfang des Jahres blockiert regelmäßig eine Gruppe von Studierenden das Flüchtlingsheim an der Kirchheimer Hardtstraße. Immer nachts, immer, wenn sie von einer möglichen Abschiebung erfahren haben. Und das, obwohl sie „gar keine Gruppe sind“, so gibt ein Mitglied der Nicht-Gruppe zu verstehen. Dafür, dass sie gar nicht existiert, hat das – so kann man vorerst verbleiben – nicht-konstituierte lose Kollektiv recht viel Aufhebens gemacht: Schon mit vier Blockade-Aktionen hat es sich ins Heidelberger Gespräch gebracht. Man ist über einen intransparenten Verteiler vernetzt, trifft sich sogar zu Orga-Treffen nach Bedarf.
Die Positionen der einzelnen Mitglieder gehen durchaus auseinander, die eine postuliert ihre „generelle Ablehnung“ von Abschiebungen, dem anderen ist klar, dass man an dem System wahrscheinlich ohnehin wenig ändern könne; aber zugrunde liegt allen die Ansicht, dass das Asylverfahren in Deutschland nicht gerecht verläuft und Abschiebungen als Unrechtstaten des Staates idealerweise verhindert, zumindest aber überhaupt publik gemacht werden müssen. Man wolle eine breite Diskussion anregen und sich solidarisch zeigen. Ganz konkret mit circa 300 Flüchtlingen, die allein in der Hardtstraße untergebracht sind.
In Heidelberg gibt es sonst noch im Pfaffengrund eine Unterbringung, die nach Angaben der Stadt circa 160 Menschen fasst und eine weitere Unterkunft in den Patton Baracks in Kirchheim. Jüngst wurde zudem beschlossen, dass im Henry-James-Village noch bis zum 30. April 2016 maximal 1000 Flüchtlinge übergangsweise Obdach finden sollen. Möchte man deren geographischer Herkunft nachgehen, findet man schnell ein Problem, das derzeit in der Politik seinen Austragungsort findet und der Blockade-Gruppe Anlass gibt, aktiv zu bleiben: Viele von denen, die aktuell in Heidelberg auf den Verbleib ihrer Asylbeschlüsse warten, kommen aus dem Kosovo, aus Mazedonien oder Serbien. Laut politischem Beschluss handelt es sich dabei um „sichere Herkunftsstaaten“, was die Dringlichkeit eines Antrags auf Asyl juristisch aufweicht.
Gegen die Haltung, die sich hinter diesem Beschluss zu verstehen gibt, will die Blockade-Gruppe angehen: „Kein Mensch kommt grundlos hierher“, resümiert eine Stimme der Aktivisten. Es gebe nicht den guten und den schlechten Flüchtling und eben deshalb stehe man nachts vor dem Flüchtlingsheim, in dem besonders viele Menschen untergebracht sind, die aus genau diesem Teil Europas kommen.
Eine Abschiebung im Frühjahr hat man so verhindern können; und selbst wenn nicht jede Aktion zum Erfolg gebracht werden könne, so könne man Abschiebungen doch wenigstens teurer machen, bemerkt ein Gruppenmitglied nicht ohne Ironie. Die erklärt sich vor dem Hintergrund der jüngsten Aktion, die unter den Augen zahlreicher Polizisten ihren Lauf nahm: Rund 40 Demonstranten hatten die Nacht vor dem Eingang der Einrichtung verbracht, am frühen Vormittag musste sich die Versammlung dann nach zweimaligem Platzverweis, der „Vermittlung“ zweier Krisen-Mediatoren und einer Ansage durch die Polizeidirektion auflösen. Später erklärte die Polizei, man habe zunächst die als spontane Versammlung klassifizierte Demonstration schützen wollen. „Das ist ja auch im Grundgesetz so verbürgt“, so Polizeipressesprecher Kranz.
Nachdem aber der Hausmeister von der Gruppe an der Benutzung des Parkplatzes im Innenhof gehindert worden sei, habe man des Verdachts der Nötigung wegen dagegen vorgehen müssen. Unverständnis bei der Gruppe selbst: „Vielmehr fühle ich mich immer wieder genötigt, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen“, wird der Vorwurf schlagfertig quittiert. Ruhestörer seien hier keine zu finden. Nachts rede man nur im Flüsterton miteinander, um die Bewohner der Heime nicht zu wecken. Das Einzige, was gestört werde, sei „die Ruhe und der Frieden des Abschiebesystems.“ Ein System, das vor allem nachts operiert und es „eingerichtet hat, dass es möglich ist, Leute ohne vorherigen Bescheid abzuschieben.“
Es wird auch in Zukunft Abschiebungen geben. Sie werden gesetzlich fundiert und juristisch einwandfrei sein. In Kirchheim stellen sich Menschen symbolisch und ganz physisch dagegen. Radikal finden sie das nicht. „Nachts in Kirchheim und anderswo mit Freund*innen rumzusitzen, die eigene Meinung zu vertreten und dabei Tee zu trinken, hat ja nichts mit radikal zu tun, sondern kratzt an der Oberfläche.“ Das sieht ein Bewohner der Unterbringung anders. Um fünf Uhr früh passiert er die Gruppe vor seiner ‚Wohnung‘: „Guten Morgen Revoluzzer-Junge!“, ruft er fröhlich und geht in seinen Heidelberger Morgen.
von Hannah Bley und Hanna Miethner