Das Kurpfälzische Museum zeigt im Rahmen der Ausstellung „Der andere Blick“ Aufnahmen des Heidelberger Fotografen Stefan Kresin.
Für Besucher beginnt die Ausstellung dort, wo die professionelle Fotografie für Stefan Kresin, geboren 1947 in Braunschweig, ebenfalls begonnen hatte: beim Sport. Denn schon während seines Chemiestudiums in Heidelberg, das er später abbrach, fotografierte er für diverse Zeitungen. Eine Reihe von Fotos zeigt eingangs die steile Karriere des Boris Becker, vom 12-jährigen Jungen zum 17-jährigen Wimbledon-Sieger. Kresin hielt dabei weniger die für den Sport typischen Momente wie Siegerehrungen fest, sondern vielmehr wichtige Augenblicke des Spiels. So zeigen mehrere Aufnahmen den jungen Becker mitten im Turnier, konzentriert den Ball fokussierend. Kresin, selbst begeisterter Tennisspieler, hatte 1979 bei einem Turnier in Leimen sogar gegen den damals 12-jährigen Jungen gespielt – und gewonnen. Bei der Revanche ein Jahr später verlor er dann aber doch.
Milan Chlumsky, Kurator der Ausstellung, hat aus mehreren Zehntausend Schwarz-Weiß-Negativen und 180 000 digitalen Aufnahmen 140 für die Ausstellung ausgewählt. Auf die Frage, was denn nun der andere Blick sei, antwortet er: „Kresins Bilder erfassen neben der offiziellen die wahre Realität.“ Was er damit meint, wird von Bild zu Bild klarer. So zeigen Portraits nicht bloß Personen, sondern Persönlichkeiten. Die Dichterin Hilde Domin beispielsweise, aufgenommen 1995 in ihrem Haus in Heidelberg, scheint im Begriff zu sein, etwas zu sagen. Als Betrachter fühlt man sich für einen flüchtigen Moment selbst angesprochen und im Weitergehen hat man das Gefühl, die Dichterin ein wenig kennengelernt zu haben – wie nach einer kurzen Begegnung.
Ähnlich verhält es sich mit zahlreichen Fotografien namhafter Politiker, festgehalten zumeist bei offiziellen Besuchen in Heidelberg. Zwei Aufnahmen von Oberbürgermeisterin Beate Weber in herzlicher Umarmung mit Willy Brandt aus dem Jahr 1990 sprechen da Bände. Chlumsky verweist in diesem Zusammenhang auf eine weitere Besonderheit der Bilder: die Sprache der Hände. Kresin verstand es, Politiker und deren Gestik in für sie typischen Haltungen einzufangen.
Die Verbundenheit mit seiner Wahlheimat Heidelberg, wo er ab 1982 eine Festanstellung bei der Rhein-Neckar-Zeitung hatte, zeigt sich nicht nur darin, dass alle Fotos der Ausstellung in der Stadt und ihrer Umgebung entstanden sind. Vielmehr offenbart sich diese auf zahlreichen Aufnahmen, die die Stadt selbst in den Fokus rücken. Dabei machte sich Kresin, der seinen Militärdienst als Fallschirmspringer absolviert hatte, zu Nutzen, dass er schwindelfrei war, um die Stadt aus der Vogelperspektive abzulichten. Häufig war er auf der Suche nach geometrischen Figuren, die sich oft erst durch den Blick von oben offenbarten. Auf diese Weise wird aus vermeintlich Banalem etwas Besonderes; das ganz normale Heidelberg wird zur poetischen Variante seiner selbst. Eine aus der Vogelperspektive abgelichtete Schwarz-Weiß-Aufnahme aus dem Jahre 1979 zum Beispiel fängt die tiefstehende Sonne in der Hauptstraße stimmungsvoll ein, indem die übergroßen Schatten der vorbeilaufenden Passanten in Szene gesetzt werden.
In seinem oft stressigen Alltag vergaß der Fotograf jedoch nicht, den Blick auch über die Kamera hinweg zu heben. Auf diese Weise sind neben den offiziellen Bildern, die er im Auftrag fotografierte, auch zahlreiche spontane Aufnahmen entstanden. Stefan Kresin, der bis zu seinem plötzlichen Tod im März 2013 für die RNZ arbeitete, hat somit unbewusst seiner Nachwelt eine sehenswerte Chronik der letzten 50 Jahre Heidelberger Stadtgeschichte hinterlassen. Eine Auswahl dieser Bilder ist noch bis zum 12. Juli im Kurpfälzischen Museum ausgestellt.
von Anna Maria Stock