Im Dialog: Zeitgenössische Kunst trifft auf Zellforschung. Eine Ausstellung im Universitätsmuseum.
Mitose ist der Prozess der Zellteilung: Sie ist die Grundlage allen Lebens. Soviel dürfte den Meisten aus dem Biologieunterricht bekannt sein. Zunächst verdoppelt sich die DNA in einer Zelle, danach müssen zwei Zellen entstehen mit jeweils einem identischen DNA-Molekül. Das Kopieren und anschließende Trennen der Erbinformation sind die grundlegenden Mechanismen der Mitose. Komplett entschlüsselt sind sie jedoch nicht.
Dementsprechend hat das von der EU geförderte Forschungsprojekt „MitoSys“ ein umfassenderes Verständnis der Zellteilung zum Ziel. Untersucht wird die Funktion von Genen und Proteinen, die Mitose erst möglich machen. Mit dabei ist auch eine Gruppe am Heidelberger European Molecular Biology Laboratory unter Leitung von Jan Ellenberg. Im Rahmen des Projekts ist die Ausstellung „Lens on Life“ entstanden. Sie wirft einen künstlerischen Blick auf die molekulare Welt. Vier Molekularbiologen, die jeweils auf einem Spezialgebiet der Mitose (und Meiose) forschen, haben dafür mit einem Künstler bzw. Künstlerduo zusammengearbeitet. Dabei sind schnell Ähnlichkeiten zwischen naturwisschaftlichen und künstlerischen Arbeitsprozessen aufgefallen: „Der Künstler erschafft ein Kunstwerk. Als Forscher erschafft man nichts im engeren Sinne, man entdeckt aber etwas. In beiden Fällen ist der Prozess an sich ein äußerst schöpferischer“, sagt Jan-Michael Peters, Direktor des Wiener Forschungsinstituts für Molekulare Pathologie.
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FOTOSTRECKE Bilder aus der Ausstellung „Lens on Life“
Basierend auf Gesprächen mit den Wissenschaftlern, haben die Künstler unterschiedliche Wege gefunden, Aspekte der Zellteilung darzustellen. Die Choreographin Shobana Jeyasingh hat zusammen mit Kim Nasmyth, der an der Universität in Oxford die Chromosom-Segeration in Mitose und Meiose untersucht, eine gemeinsame Methapher aufgespürt und die Dynamik und Instabilität der Mitose in einen Tanz übersetzt: In Flagrante zeigt die Verbindungen zwischen Mitose und fotografisch inszeniertem Tanz. Ihre Bleistiftzeichnungen haben Heather Ackroyd und Dan Harvey invertiert und zu einem Film mitotischer Formen animiert. Inspiriert dazu hat sie der Austausch mit Peters. Er möchte verstehen, wie genau Zellteilung funktioniert und wie die genetische Information von einer Generation zur nächsten übertragen wird. So ist es kein Zufall, dass die Künstler in ihrem Werk Wachstums- und Transformationsprozesse darstellen, die an die ruhelose Bewegung und Weiterentwicklung von Zellen erinnern.
Die Biochemikerin Melina Schuh erforscht am MRC Labor für Molekularbiologie in Cambridge die Meiose in Säugetier-Eizellen. Bei der sexuellen Fortpflanzung ermöglicht die Meiose, ebenfalls durch Teilungs- und Verdopplungsprozesse, eine Rekombination des Erbguts der Eltern. Rob Kesseler war dabei besonders von der Zona pellucida fasziniert: Sie ist die Membran, die eine reife Eizelle umgibt und die das Spermium für eine erfolgreiche Befruchtung durchdringen muss. Seine Kunstwerke aus Glas ahmen Bilder und Aufnahmen der Meiose nach – ohne wissenschaftliche Modelle zu sein. Dies gilt ebenso für die Werksammlung „Cells“ von Lucy und Jorge Orta. Impulse erhielten die Künstler durch den Dialog mit Anthony Hyman, der am Dresdner Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik die Rolle der Mikrotubuli bei der Zellteilung untersucht. Die Glasobjekte der Ortas stellen die Prozesse der Chromosomen-Replikation dar: „Sie sind Objekte, die zum Nachdenken und Fragenstellen anregen“, fasst Lucy Orta zusammen. Alle Kunstwerke der Ausstellung ermöglichen ungewöhnliche Blickwinkel auf den Zellteilungsprozess.
„Lens on Life“ war bis 28. April im Universitätsmuseum zu sehen, vorher gastierte die Schau in Rom und London. Wer sie verpasst hat, dem vermittelt die Dokumentation „Meetings of Minds“ einen lebhaften Eindruck vom Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst und seinen Ergebnissen. In vier Teilen findet ihr die Dokumentation auf dieser Homepage.
von Annett Giebelhausen
Eine vierteilige Dokumentation zu der Ausstellung findet ihr hier:
Bei Redaktionsschluss der Printausgabe des ruprecht war noch nicht bekannt, dass die Ausstellung verlängert wird. Wer „Lens on life“ noch oder noch einmal sehen möchte, hat nun bis Donnerstag, 28. Mai die Möglichkeit dazu. Geöffnet ist die Ausstellung täglich von 10 bis 18 Uhr; der Zugang ist werktags in der Grabengasse 1, über Pfingsten durch den Uni-Shop in der Augustinergasse 2.