Theater von Bürgern für Bürger: Die Amateurgruppe „Schauspiel Intensiv!“ startet in die Probenarbeit.
Die Frau mit den langen dunklen Haaren trägt einen noch längeren, ebenso dunklen Umhang. Sie streckt Arm und Zeigefinger aus und steuert zielstrebig auf einen Stuhl zu. „Kochtopf“, benennt sie ihn bestimmt, kehrt um und
visiert einen neuen Gegenstand an.
Rund 30 Menschen – jung, alt, männlich, weiblich – durchschreiten den spartanisch eingerichteten Raum und versehen gewöhnliche Gegenstände mit verqueren Bezeichnungen. Wir befinden uns nicht etwa im Irrenhaus, sondern im Schauspielstudio der Theaterwerkstatt Heidelberg. Hier trifft sich seit wenigen Wochen jeden Montagabend die Amateurtheatergruppe „Schauspiel Intensiv!“
Der Übergang vom Kurs zum spielenden Ensemble wird fließend sein. Zunächst findet im Rahmen des Kurses, der sich über eine monatliche Teilnahme-Gebühr von 40 Euro finanziert, professionell angeleitet szenisches Training statt. Dabei vermittelt Regisseur Martin Rheinschmidt den Teilnehmern Methodik und Technik von Schauspiel und Regie. Im Laufe der Zeit soll sich ein Ensemble fügen, das ein Stück entwickeln und im November auf die Bühne bringen soll. „An der Entscheidung, welches Stück wir wählen – ob klassisch, selbst erarbeitet oder gar eine Mischung aus beidem – werden wir die Gruppe auf jeden Fall beteiligen“, erklärt Wolfgang Schmidt, Produzent und Leiter der Theaterwerkstatt.
Ein Interessenschwerpunkt fällt beim Probenbesuch bereits auf: Kriegs- und Katastrophenmeldungen sowie tagesaktuelle Nachrichten gehören auffällig häufig zu den Ideen, die die Teilnehmer selbst in ihre Aufgaben verstricken. Bereiche, mit denen die Bürger in ihrem Alltag konfrontiert sind, die sie beschäftigen, zu denen sie sich verhalten müssen. Der Begriff Bürgertheater bezeichnet ein Theater „von und für Bürger jeden Alters und jeden Hintergrunds: Erwachsene, Studenten oder Rentner“, sagt Wolfgang Schmidt.
Auch wenn die Konstellation heterogen erscheint, findet sich eine Gemeinsamkeit: Theaterliebe und Leidenschaft. So auch die augenzwinkernden Antworten auf unsere Frage, warum sie sich ausgerechnet in dieser Gruppe zusammenfinden: „Es ist wie eine Sucht.“ „Wir sind eine Selbsthilfegruppe auf warmem Entzug mit dosiertem Nachgeben.“ „Wahrscheinlich sind wir alle abhängig.“
Wenn die Amateurschauspieler im Kreis stehen und sich von Regisseur Rheinschmidt die nächste Aufgabe erklären lassen, erinnert die Veranstaltung tatsächlich an eine Selbsthilfegruppe. Zum Aufwärmen gehen alle durch den Raum, während Rheinschmidt die Übungen anleitet: Da gefrieren Menschen zu Eisblöcken, werden magisch vom schönsten Ton angezogen, entwickeln Ticks und verstecken sich vor prasselndem Hagel. Schließlich verwandeln sie sich alle: Egal ob Rentnerin in Jogginghose, Blondine mit den Totenköpfen auf dem Minirock oder VWL-Studentin, die Schauspielerin werden will. Plötzlich sind sie alle Braunbären und schrubben sich genüsslich an imaginären Bäumen.
Die Stärke einer solchen Zusammenkunft im Laientheater, liegt für Schmidt darin, dass jedes Mitglied durch eigene Erfahrungen die Zusammenarbeit bereichere. „Außerdem wohnt dem Laientheater eine erfrischende Leidenschaft inne, die in der professionellen Schauspielroutine unterzugehen droht“, beschreibt Rheinschmidt, der bisher als Intendant und Regisseur mehr als 20 Inszenierungen mit Laien und Profis auf die Bühne gebracht hat. Und auch die neue Gruppe taucht nach dem Aufwärmen in Regieaufgaben, Rollenentwicklung und Übungen zu Textinterpretation und Interaktion ein.
Das Konzept Bürgertheater scheint so weit aufzugehen, dass Schmidt ankündigt, im Juni eine zweite Gruppe gründen zu wollen. Wer einmal Feuer gefangen hat, schafft scheinbar selten den Entzug.
von Christina Deinsberger und Janina Schuhmacher