Berliner Studenten kritisieren ihren Professor anonym im Internet – sieht so die moderne Form des Studentenprotests aus?
Ist 2015 das neue 1968? Dies legt zumindest das Ausmaß des medialen Hypes um den Blog Münkler-Watch nahe. Auf Münkler-Watch kritisieren Studenten der Humboldt Universität in Berlin den Professor für Politische Theorie Herfried Münkler. Sie werfen ihm vor, sich in seiner wöchentlichen Vorlesung „Politische Theorie und Ideengeschichte“ rassistisch, frauenfeindlich, chauvinistisch und militaristisch zu äußern.
Mit diesen Kritikpunkten wollen die anonymen Studenten auf den „Extremismus der Mitte“ hinweisen. Dieser bestehe in der „fehlenden Einsicht des deutschen Bürgertums zur Solidarität gegenüber dem Anderen“. Man könnte vermuten, dass der Blog die neue Form des Studentenprotests wird. Denn das Internet bietet mit Anonymität und großem Öffentlichkeitszugang, ebenso wie die Demos und Blockaden der 1960er Jahre, die Möglichkeit, sich in einer großen Masse versteckt, Vorschriften zu widersetzen.
Doch weiter trägt der Vergleich mit Münkler-Watch nicht. „Hinter dem Blog steht bloß eine Handvoll Studenten“, erklärt Jasper Riemann, Chefredakteur der Berliner Studentenzeitung UnAuf. Und einen Tabubruch, der in den 1960ern zum Beispiel der Zeitschrift FU Spiegel vom AStA der Freien Universität Berlin gelang, indem sie eine Debatte um den Professor Ernst Fraenkel eröffnete, schafft Münkler-Watch nicht. Denn damals hat der FU Spiegel eine neue Form universitäter Transparenz ermöglicht und so die Studentenschaft emanzipiert. Der Skandal um Fraenkel hat darin bestanden, dass er keine Debatten zu seinen Seminaren erlaubte. Dies wurde durch die sachliche, öffentlich durchgeführte Rezension seines Seminars im FU Spiegel hinterfragt.
Doch Münkler-Watch bewegt sich abseits jeglicher formeller Regeln einer Auseinandersetzung. Münklers Angebot, in einen öffentlichen Dialog zu treten, haben die Blogger abgelehnt. Ihre Kritik widmet sich nicht den Vorlesungen in ihrer Gesamtheit. Absehend vom Sprachduktus werden Zitate aus Vorlesungen willkürlich herausgestellt, um daran den Rassismus, die Frauenfeindlichkeit oder den Militarismus Münklers nachzuweisen.
Dieser lasse sich etwa an dessen Sprache festmachen: „Wie Soldaten im Frontsommer 1914 sähen wir Studierenden oft aus, mit unseren ‚gefüllten Feldflaschen‘. Auch sprach er [Münkler] von der ‚Munitionskiste unserer Wissenschaft‘, von ‚Patronengürteln‘ oder ‚kein Antritt und Appell vor der Vorlesung‘.“ Als Beweis für Münklers Frauenfeindlichkeit wird aus der Vorlesung zitiert: „‚Der Gedanke der Gleichheit ist kontrafaktisch. Wir sind ungleich. Der eine ist schön.‘ (Kunstpause) ‚Er hat eine schöne Stimme.‘ (Kunstpause) ‚Alle lieben ihn.‘ (Hinter Münkler kann man die Sonne förmlich aufgehen sehen) ‚DIE andere‘ (Kunstpause) ‚Sie sehen, ich gendere‘ (Kunstpause), ‚ist hässlich!‘“
Die Blogger wollen sich selbst nicht von eigenen Wertvorstellungen distanzieren, was für eine objektive Auseinandersetzung notwendig wäre. Selbst formulierte Tugenden bleiben die einzige Messlatte ihrer Kritik, weil die Blogger nicht in den öffentlichen Diskurs treten.
Deshalb sagt die Studentin Alice „die Vorwürfe des Extremismus [von Münkler-Watch] sind bloß eine Ausrede, um den eigenen Extremismus für moralisch und normal zu erklären“. Die Autoren von Münkler-Watch entgegnen, dass eine öffentliche Auseinandersetzung mit Münkler nachteilig für ihre Karriere sei, weil sich die Studenten auf der untersten Hierarchieebene der Universität befänden und daher gegenüber den Professoren angreifbar seien. Aber gerade mit dieser Argumentation zeigen sie, dass sie die eigenen Argumente für nicht schlagkräftig genug halten, um einen alternativen Standpunkt gegenüber Münklers wissenschaftlichen Thesen zu entwickeln.
Das Anführen hierarchischer Kräfte und rhetorischer Überlegenheit zeigt auch, dass die Blogger selbst schon nicht mehr an ihrem Ideal festhalten, sich von autoritären Kräften frei zu machen, um ohne „Rechthaberei“ nur auf das Argument zu bauen. Vielmehr schließt sich Münkler-Watch demjenigen „Extremismus der Mitte“ an, den die Blogger eigentlich bekämpfen wollen. Denn ihre Sturheit gleicht der „fehlenden Einsicht des deutschen Bürgertums“ zur „Solidarität gegenüber dem Anderen“, den die Blogger selbst anprangern.
Die Attacke von Münkler-Watch stellt deshalb bloß ein polemisches Konglomerat von Zitaten dar, herausgerissen aus Münklers Sprachduktus und seiner wissenschaftlichen Erfahrung. Darin liegt ein Vergehen an Wissenschaftlichkeit, die in der Freiheit der Wissenschaft und Lehre nach Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt ist.
Und der Zweck der Lehre besteht nicht darin, als „gut“ befunden zu werden – sondern dass sie gehört werden kann (aber auch nicht muss). Die Macht der Blogger von Münkler-Watch ist deshalb allein in der Reichweite des Internets begründet. Der Blog ist keine moderne Form der Studentenrevolte von 1968, sondern in eine Reihe von „Shitstorms“ einzuordnen, die sich ebenso schnell aufbauen, wie sie abflauen.
von Johanna Mitzschke