Mit Protesten und Besetzungen stellen Studierende und ProfessorInnen in den Niederlanden die Hochschullandschaft auf den Kopf.
Es waren die größten Proteste seit Jahren: Mit Besetzungen und Demos haben Studierende und ProfessorInnen in Amsterdam die niederländische Hochschullandschaft wachgerüttelt. Sie richten sich gegen den autoritären, markt-orientierten Managementstil der Uni Amsterdam, Immobilienspekulationen mit Unigeldern sowie die Ökonomisierung der akademischen Lehre. Das Bündnis zwischen Studierenden und ProfessorInnen hat weltweit Aufmerksamkeit erregt – und es brodelt weiter.
Im November 2014 erscheinen die ersten Anzeichen der Bewegung. Unter dem Namen „Humanities, Rally!“ protestieren Studierende gegen den Zukunftsplan der Uni, den der Vorstand hinter geschlossenen Türen entschieden hat. Knapp 30 humanistische Studiengänge sollen in einem Studium Generale kombiniert werden – hunderte Stellenstreichungen inklusive. Hinzu kommen Erhöhungen der Studiengebühren, während die Regierung ihre finanzielle Studienunterstützung in Kredite umwandelt. Hintergrund der Sparmaßnahmen sind teils finanzielle Verluste durch sinkende Einschreibungszahlen.
Viel problematischer sind aber die Schulden, die die Uni durch Misswirtschaft und risikoreiche Immobilienspekulationen angehäuft hat. Diese sind seit Reformen in den 1990er Jahren Teil des undurchsichtigen Unifinanzplanes, der zuvor demokratische Prozesse ersetzt hat. Im Februar entschließt sich der harte Kern der Bewegung nach einer Demo zur Besetzung des „Bungenhuis“. Ein symbolträchtiger Zug, da das humanistische Gebäude als Teil des Immobilienplans der Uni in einen Luxus Spa umgewandelt werden soll. Sie nennen sich DNU – „die neue Universität“. Auch wenn diese zentrale Themen anspricht, scheint der Rest der Uni zunächst nicht überzeugt. Dies ändert sich jedoch schlagartig, als der Univorstand 100.000 Euro Strafgeld pro Person pro Tag Besetzung einfordert. ProfessorInnen reagieren empört.
Das Maagdenhuis war, wie man sich die Perfekte Uni vorstellt
In einer Petition schreiben sie: „Unibesetzungen sind Teil des altehrwürdigen, studentischen Protestrepertoires. Es mag verständlich sein, die Studierenden juristisch aus dem Gebäude zu drängen, aber diese Kriminalisierung und finanzielle Drohung ist unverhältnismäßig und ungerechtfertigt.“ 7000 unterschreiben den Aufruf, darunter Persönlichkeiten wie Noam Chomsky.
Als das Gebäude nach elf Tagen geräumt wird, kommt es zu einer Solidaritätsdemonstration. ProfessorInnen und Studierende aus dem ganzen Land nehmen teil. Ein klares Signal: Die Besetzung ist keineswegs der Akt einer radikalen Randgruppe.
Spontan dringt ein Teil der Demonstrierenden in das Maagdenhuis, das Verwaltungsgebäude der Uni, ein. Die zweite Besetzung beginnt. „Das Maagdenhuis war, wie man sich die perfekte Uni vorstellt“, erzählt George Blaustein, Assistenzprofessor für Geschichte und Amerikanische Studien in Amsterdam. „Aus der Besetzung des Maagdenhuis wurde schnell eine ‚Offene Universität‘, mit Vorträgen und Seminaren. In Generalversammlungen wurde die Zukunft der Uni geplant, dazwischen gab es Live-Musik und eine Gemeinschaftsküche. Alle waren willkommen. Das Maagdenhuis war ein bewusst inklusiver Raum.“
Zur „Humanities, Rally!“ und der DNU stoßen nun „ReThink UvA“, eine moderatere Gruppe mit vielen ProfessorInnen sowie die „University of Color“, die sich gegen institutionellen Rassismus und für eine inklusive Uni einsetzt. Am 4. März überreichen sie gemeinsam ihre Forderungen an die Uni. In einer politischen Kehrtwende stimmt der Vorstand diesen eine Woche später zu. Zwei Komitees werden gegründet, die unabhängig die Finanzen der Uni prüfen, sowie verbindliche Pläne für die zukünftige Finanzierung und Demokratisierung vorlegen sollen.
Angesichts dieses Sieges stimmen die Gruppen zu, das Maagdenhuis bis zum 13. April zu räumen. Als Abschluss wird für das Wochenende davor ein Wissenschaftsfestival organisiert. Alles scheint geregelt. Samstag, 11. April. Mit Schlagstöcken und Pferden taucht am Morgen des Festivals die Polizei zur Zwangsräumung des Maagdenhuis auf.
Es gibt Verletzte und Festnahmen. „Es war unerklärlich und pervers, und damit meine ich nicht nur die Entscheidung des Vorstandes, die Polizei zu aktivieren, sondern auch die unglaubliche Brutalität, mit der diese schließlich vorgegangen ist“, beschreibt Blaustein die Situation. „Bis heute ist ungeklärt, wie es zum Polizeieinsatz kam. Die Räumung könnte Teil der alten Strategie gewesen sein, den radikalen Teil der Bewegung zu kriminalisieren. Es gab zuvor Spannungen, weil die DNU nicht räumen wollte, aber diese waren eigentlich geklärt. Auch Bedenken um Brandschutz oder Sachbeschädigung erklären den Bruch der Vereinbarung nicht.
Die andere Möglichkeit ist Inkompetenz: Der Vorstand der Uni besteht aus mehreren Personen, die teils individuell mit dem Maagdenhuis im Kontakt standen. Da kann es Kommunikationsprobleme geben.“ Dieser Erklärung stimmt auch Jos Schaeken, Rektor des Leiden University Colleges, zu: „Das war pure Dummheit und ist komplett nach hinten losgegangen.“ Als Reaktion auf die nationale Kritik tritt die Vorsitzende des Univorstandes anschließend zurück.
Auch wenn viele zur Aufklärung drängen, gibt es bisher keine Stellungsnahme des Vorstandes zur Räumung. Dafür werden die restlichen Vereinbarungen umgesetzt, man konzentriert sich auf den Blick nach vorn. Somit hat die Bewegung schon vieles erreicht: Der Univorstand wurde neu besetzt, zwei Komitees kümmern sich um die Umsetzung anderer Forderungen. Niederländische Univorstände sind in Habachtstellung und reagieren einsichtsvoll auf Forderungen nach Transparenz und Demokratie, die sich seit den Protesten rasant verbreiten.
International ist das Maagdenhuis Symbol des akademischen Widerstandes. Dokumentarfilmer Ruben Sibon, der die Proteste begleitet, reflektiert: „Wir werden sehen, wohin die Komitees führen. Es gibt weiterhin Demos, Vorträge und kritische Stimmen, die vor rein symbolischen Lösungen warnen. Aber egal was auch passiert: Die Protestierenden haben gezeigt, dass Widerstand möglich ist und konkrete Veränderungen bringen kann – solange Studierende, ProfessorInnen und Unipersonal sich bewusst sind, wie viel Macht sie eigentlich haben.“
Von Lena Volmer
Aus Amsterdam, Niederlande