Noch bis November stellt das Völkerkundemuseum aus, wie Menschen knien, tanzen und meditieren: die Welt des Gebets.
Das Gebet: für die einen die höchste Form spiritueller Kommunikation, für andere das Indiz, das religiöse Menschen endgültig als das entlarvt, was sie wirklich sind: geisteskranke Spinner. Das Völkerkundemuseum exponiert nun den spirituellen Wahnsinn als globales Phänomen, als anthropologische Konstante, und schaut dabei besonders gründlich in eine geographische Ferne, die zuweilen aufregend fremdartig anmutet, sich exotischer Formsprache bedient und ein wenig daran zweifeln lässt, dass der Fluss, den man hinter den meterhohen Fenstern erspäht, tatsächlich der Neckar ist. Das alles könnte ganz hübsch sein, wenn da nicht ein gewisses Unbehagen wäre, das ganz provakant die Frage anbringt: Wer oder was wird hier eigentlich ausgestellt, oder gar inszeniert? Begafft der kulturdurstige Altstadttourist womöglich nur das, was er als das große Fremde in einem sehnenden Konzept von Ferne und Exotik zu finden erhofft? Ist aus Völkerkunde Völkerschau geworden?
Um 1710 erbaut, mutet jede knarzende und doch hochglanzpolierte Bodendiele des Palais Weimar wie barocke Herrschaftlichkeit an: Es wirkt fast deplatziert, wenn mitten in dieses deutsche 18. Jahrhundert eine Gebetsmühle aus dem Nepal des 19. Jahrhunderts platziert wird, eine kunstvoll gefertigte Tanpura, ein indisches Zupfinstrument, neben dem Flügel mit Neckarblick aufgestellt ist. Und doch haben hier, im Weimar von elaborierten antiphonalen Gebeten Augustins über Löwenäxte aus Aprikosen- und Maulbeerholz von sufistischen Derwischen bis hin zu thailändischen Geisterhäuschen.
Dabei lernt der Besucher: Religion ist selten genau kongruent mit nationalen Grenzen, muslimische Gebetsperlenketten bestehen aus 33 oder 99 Elementen, christliche aus 69 und buddhistische aus 108. Die Völker verschrieben hat, muss sensibel mit all den Exotismen umgehen, die es sich in die gläsernen Vitrinen stellt. Schmal ist der Grad zwischen interkultureller Bildung und einer pervertiert verzerrten Darstellung eben dieses Fremden als rein exotisches Exponat.
Die klassische Völkerschau gibt es eigentlich seit den frühen 1930er Jahren nicht mehr. Der Zoodirektor Carl Hagenbeck inszenierte die „authentischen“ Rekonstruktionen afrikanischer Dörfer aus Lehmhütten zeit seines Lebens. Ein respektvoller, ebenbürtiger Dialog hat zweifelsohne und mit Nachdruck andere Voraussetzungen. Die sollten sich davon fernhalten, einen Dialogpartner auf handwerklich produzierte Flechtkörbe und Wüstenphantastereien zu reduzieren.
Das Völkerkundemuseum stellt Dinge aus, die von anderen Ländern und Praktiken berichten. Sie tun das ohne Lehm, aber unterstützt durch informative und gut recherchierte Begleittafeln, die zu lesen es sich sehr lohnt. Fremd ist dabei nicht nur die ästhetische Sprache ferner Länder, sondern vor allem fremd geworden ist die Praxis des Gebets als solche. So ist der kitschige Herrgottswinkel aus Oberösterreich ebenso entrückt wie der tanzende Derwisch, der meditierende Mönch oderder betende Samurai. Es geht hier nicht um die Schau der Völker, erst recht nicht um den Teil davon, der als barbusig, archaisch und primitiv ausgedacht wird, sondern um die Praxis des Gebets. Wieso sie alle beten, das muss nicht jedem einleuchten, dass sie es aber zu allen Zeiten und in den unterschiedlichsten Weltwinkeln tun, ihre Stimme von Zeit zu Zeit an etwas, an jemanden richten, der für Unbeteiligte nicht auszumachen ist, sagt doch Einiges über den Menschen.
Text: Hanna Miethner