Italien, 1850er Jahre. In den Straßen der Städte erschallt immer wieder „Viva Verdi!“
Doch wurde mit diesem Ausruf nicht nur dem damals bereits sehr erfolgreichen Komponisten Giuseppe Verdi gehuldigt.
Risorgimento, zu deutsch Wiedererstehung, hieß die politische und soziale Bewegung, deren Anhänger Anfang des 19. Jahrhunderts nach Nationalstaatlichkeit strebten. Die Fürsprecher verlangten die unabhängige Einigung der freien Fürstentümer und Regionen Italiens. Vittorio Emanuel II, seinerzeit König von Sardinien-Piemont, wurde Leitfigur der Einigungsbewegung. Als er sich an die Spitze der Risorgimento entwickelte, nutzten die Anhänger der Bewegung die Parole „Viva Verdi!“, um dem König heimlich die Treue zu halten. Aufgeschlüsselt bedeutet sie nämlich „Viva Vittorio Emanuele Re d’Italia!“ („Es lebe Viktor Emanuel König von Italien!“). 1861 schließlich setzte sich nach revolutionären Erhebungen und Unabhängigkeitskriegen die konstitutionelle Monarchie durch und Vittorio Emanuel II wurde zum König von Italien ernannt.
Lange Zeit nahm man an, dass auch Giuseppe Verdi im Kontext der Risorgimento-Bewegung eine zentrale Rolle gespielt habe. Damals als Komponist bereits umjubelt, soll seine episch-romantische Musik das italienische Nationalbewusstsein geschürt haben. Das revolutionäre Thema der Oper Nabucco, also das Freiheitsstreben der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft, habe ihn zur musikalischen Galionsfigur der Bewegung erhoben.
Die neuere Forschung weist die Verbindung zwischen Verdi und der Risorgimento-Bewegung als nicht bewiesen ab. Dennoch zeugen seine Musik wie auch seine Position als italienischer Senator von politischem Bewusstsein.
Im Sinne dieser Doppeldeutung des Begriffs „Verdi“ trennte das Heidelberger Theater sein Galen-Programm in zwei Teile: Die erste Hälfte widmete es Opern, die inhaltlich und musikalisch als revolutionär gelten, die die Wechselwirkung von Oper und Gesellschaft zum Thema machen. Hier sollte sich also die Anlehnung an den revolutionären Code „Viva Verdi!“ spiegeln. Es erklangen Arien aus Opern von Rossini, Mozart und Auber. Nicht nur in italienischer Sprache, nicht nur von italienischen Komponisten, nicht nur in Italien angesiedelt, nicht nur aus der Zeit des 19. Jahrhunderts – der Zuhörer musste den unmittelbaren Bezug zu Risorgimento, zur Nationalstaatlichkeit Italiens, in der Umsetzung leider missen. Die Beziehung war weiter gefasst: Gesellschaftlich brisant und musikalisch außergewöhnlich fand sich die Gemeinsamkeit also im politischen Musiktheater. Um diese komplexe Programmlogik herauszustellen, führte der Operndirektor Heribert Germeshausen durch das Konzert.
Der zweite Teil des Programms widmete sich nahezu gänzlich Giuseppe Verdi. Insbesondere sollte seine Oper zu Schillers gleichnamigem Drama „Don Carlo“ im Vordergrund stehen. Wegen der Krankheit einer Sängerin konnte diesem Vorhaben nicht genügt werden und es erklangen zwei Arien aus „La Traviata“ – der Oper Verdis’ über eine todkranke Kurtisane, die bereits in der vergangenen Spielzeit am Theater Heidelberg zur Aufführung kam.
Jedenfalls war es ein Abend der Revolution, ein Abend im Wechselspiel von Musik und Gesellschaft.
Von Christina Deinsberger und Margarete Over