Was bringt Iren dazu, in Butter gebratene Schweinenieren, leicht angebrannt, zum Frühstück zu essen? Der jährlich am 16. Juni stattfindende Bloomsday. Diesen Feiertag, der auf James Joyces Roman Ulysses zurückgeht, nahm das Anglistische Seminar zum Anlass, um nach irischem Vorbild eine Marathon-Lesung des Romans zu veranstalten: 16 Stunden lang lasen Studenten und Dozenten aus dem Buch vor.
Irland und der Bloomsday
Der Bloomsday ist der weltweit einzige Feiertag, der einem Roman gewidmet ist. Ulysses, 1922 erschienen, gilt als Joyces bedeutendster Roman und beschreibt einen einzigen Tag, nämlich den 16. Juni, im Leben des Protagonisten Leopold Bloom. Jedes Jahr nutzen zahlreiche Iren diesen Tag, um „reale“ Orte des Romans in Dublin aufzusuchen und Handlungen aus dem Werk nachzuahmen – Schweinenieren essen, zum Beispiel. Darüber hinaus wird Ulysses im irischen Rundfunk vorgelesen. Der Roman bietet sich hervorragend für eine solche Marathon-Lesung an, ist er doch im sogenannten Minutenstil geschrieben. Dabei gleicht die Erzählzeit der erzählten Zeit, was heißen mag, dass das Vorlesen genauso viel Zeit in Anspruch nimmt, wie das im Roman beschriebene Geschehen.
Bloomsday in Heidelberg
Professor Schnierer, Dozent am Anglistischen Seminar, hat diese Lesung also nach irischem Vorbild initiiert. Betrat man am Dienstag das Foyer des Seminars in der Kettengasse, konnte man den Stuhlkreis gar nicht übersehen, der von Plakaten von James Joyce gerahmt war. Dass es dort immer wieder durch Vorbeilaufende unruhig wurde, empfand Schnierer nicht als störend. Er hat sogar, so sagte er, diesen Platz bewusst gewählt, da er möchte, dass die Studenten im Vorbeigehen stutzten, im besten Falle innehielten und für einen Moment lauschten.
Die Marathon-Lesung
Gegen Mittag stattete ich dem Anglistischen Seminar einen Besuch ab, nahm im Stuhlkreis Platz und hörte zu. Im Vorfeld hatten Studenten und Dozenten sich in die Leseliste eingetragen, die jeweils zehnminütige Einsätze vorsah. Da sich gerade eine unbesetzte Lücke im Zeitplan auftat, wurde ich sogleich zum Vorlesen eingespannt – zu meinem Glück! Man vergisst doch immer wieder, wie viel Freude das Vorlesen eigentlich macht und so versank ich zunehmend in den Text, bevor ich das Wort wieder an den Nächsten übergab. Insgesamt hatten sich 50 verschiedene Leser in die Liste eingetragen, die bis um zwei Uhr morgens den Roman zu Ende lasen.
„Ich möchte den Teilnehmern und Vorbeilaufenden Lust machen, sich mit dem Text auseinanderzusetzen“, so Professor Schnierer. Mit Sicherheit hat er dies bei einigen – inklusive mir – erreicht. Wir werden die kommenden Semesterferien nutzen und uns der Lektüre widmen. Dabei werden es die Meisten aber sicher langsamer angehen lassen und den Roman in mehreren Tagen lesen…
von Anna Maria Stock