Zurzeit gehen viele Gespenster um in Europa. Seit das „Zentrum für Politische Schönheit“ mit ihrer Aktion in Berlin für Aufruhr sorgte, tauchen in zahlreichen Städten Gräber für tote Flüchtlinge auf. Auch in Heidelberg inspirierte die Idee zur Aktion.
Unter dem Motto „Die Toten kommen“ hatte das Künstlerkollektiv vergangene Woche die Leichen toter Flüchtlinge nach Deutschland überführt um diese gemäß den Wünschen der identifizierten Angehörigen zu bestatten. Zuerst geschah genau das auf einigen Berliner Friedhöfen, bei einem finalen Marsch in Richtung Bundestag wurden wegen polizeilicher Auflagen keine Verstorbenen mitgeführt – und trotzdem war am Ende des Tages die Rasenfläche vor dem Reichstagsgebäude voller Erdhügel und Holzkreuze. Leere Gräber: ein starkes Symbol.
Seitdem tauchten in zahlreichen deutschen Städten symbolische Gräber auf. Auch in Heidelberg wurde an einigen öffentlichen Orten ‚beerdigt‘, zuletzt am Freitag, den 26. Juni 2015 auf einer Grünfläche neben der Stadtbücherei.
Die Initiative ging von einigen befreundeten Studierenden aus, die meisten von ihnen aus der Theologie. Nachdem sie am Mittag auf der Wiese das Grab errichtet hatten, hielten die Initiatoren im Kreis von etwa 25 Versammelten eine christliche Andacht. „Den unbekannten Geflüchteten“ steht auf dem selbstgebauten Holzkreuz. Viele der Teilnehmenden waren in Trauerkleidung gekommen. Eine der Veranstalterinnen hielt eine kurze Ansprache: „Mit der heutigen Trauerfeier wollen wir der Menschen denken, die an und durch Grenzen starben.“ Während nach der Liturgie ein Lied gesungen wurde, legten die Versammelten nacheinander Blumen und Hände voll Erde auf die Grabstelle. Die Gesichter der Runde schauten nachdenklich und vor allem ehrlich traurig drein.
Die meisten derer, die zur ‚Beerdigung‘ gekommen waren, sind Studierende. Aber auch viele der vorbeigehenden Passanten hielten inne und schauten zu oder nahmen einen Flyer entgegen. Einige wenige blieben stehen und nahmen an der Andacht teil.
[slideshow_deploy id=’8826′]
FOTOSTRECKE Symbolische Beerdigung neben der Stadtbücherei
Dass ein christlicher Rahmen eine solche Gedenk-Aktion, ohnehin kontrovers, in den Augen einiger noch einmal auf eine andere Art streitbar macht, war den Veranstaltenden bewusst. „Wir trauern um Menschen, denen kein würdiges Begräbnis zuteil wurde“, sagt die Gruppe und natürlich gehören die meisten derjenigen, denen sie gedenken, selbst nicht dem christlichen Glauben an. Dennoch wollten sie diesen als „eine Sprachform, die uns zur Verfügung steht“ nutzen. Die Veranstaltung sei explizit offen gewesen für Menschen jeder Glaubensrichtung und unter den Anwesenden tatsächlich nicht nur bekennende Christen. Eine Teilnehmerin hofft, dass die Geste dank der Andacht „wenigstens nicht als linke Spinnerei abgetan wird, wie es sonst oft der Fall ist.“
Nicht alle Passanten jedoch überzeugte die Aktion: nachdem die meisten Teilnehmenden bereits gegangen waren, fragte eine ältere Dame mit skeptischem Blick, ob die Veranstalter eine Erlaubnis dafür eingeholt hätten, auf der Wiese ein Grab zu errichten. Die Verneinung schien sie wenig zu überraschen, aufgebracht war sie dennoch. „Verunstaltet“ sei die Anlage und irgendjemand müsse die Beseitigung des Grabes nun schließlich bezahlen.
Während ein von Unbekannten auf dem Karlsplatz ausgehobenes Grab bereits von der Stadt beseitigt worden ist, ist die Erde auf den beiden anderen Gräbern am unteren Ende der Neckarwiese und neben der Stadtbücherei noch unzertreten. Die dort Versammelten fragen sich, wie lange das noch so bleiben wird – und ob die eingepflanzte Blume vielleicht stehen bleibt.
von Hannah Bley