Olga Grjasnowa zählt zu den spannendsten Stimmen der jungen deutschen Gegenwartsliteratur. Doch auch zu anderen Themen hat sie etwas zu sagen.
Sie haben in einem Interview mal gesagt, dass Sie Lesen mehr interessiert als Schreiben; dass das Schreiben nur ein „Nebenprodukt“ ist – welchen Stellenwert hat Ihr Schreiben für Sie?
Olga Grjasnowa: Das ist eine Frage, die ich tatsächlich nicht beantworten kann. Eigentlich schreibe ich nicht mal gerne, aber ich kann nicht leben ohne zu schreiben. Ich habe noch nie nicht geschrieben. Im Nachhinein ist es besser etwas geschrieben zu haben, als zu schreiben.
Was ist das Schwierigste am Autorinnendasein?
Wahrscheinlich, dass man sich ökonomisch nicht darauf verlassen kann, wie es weitergeht. Man ist von sehr vielen Faktoren abhängig und natürlich ist der Erfolg eines Romans nicht immer deckungsgleich mit dem finanziellen Erfolg.
Was für eine Rolle spielen Ihre jüdischen Wurzeln?
Das ist nur kulturelle Performance für mich. Ich bin nicht religiös, weswegen ich für viele Leute nicht jüdisch bin. Es ist sowieso wahnsinnig schwierig mit dem Judentum – ist es kulturell oder religiös, wie ist es zu verstehen? Natürlich bearbeite ich jüdische Themen in meinen Büchern, das stimmt. Dahingehend ist es legitim, mich als jüdische Schriftstellerin zu bezeichnen.
Deutschland ist nicht darauf angelegt, Minderheiten willkommen zu heißen, meinten Sie mal. Fühlen Sie sich in Deutschland denn zu Hause?
Ich weiß es nicht. Ich fühle mich in Berlin ganz wohl, aber das gilt nicht für Gesamtdeutschland. Außerdem bin ich den längsten Teil meines Lebens in Deutschland, ich habe mich schon daran gewöhnt. Aber zum Beispiel mein Partner kam erst vor zwei Jahren aus Syrien, das ist auf jeden Fall ein Unterschied. Erst jetzt habe ich wieder die ganzen Späße auf der Ausländerbehörde mitgemacht, was da mit Leuten passiert – unglaublich. Von einer Willkommenskultur kann keine Rede sein. Drei Tage nach ihrer Ankunft kriegen Geflüchtete einen Brief vom Jobcenter, den zum Beispiel ich nicht in der Lage bin, zu verstehen. Wie soll das dann jemand verstehen, der die Sprache noch nicht mal kann? Der rechte Populismus ist noch immer präsent in der Gesellschaft: Man hat Angst, dass die Ausländer einem etwas wegnehmen. Die Einwanderungspolitik wurde 50 Jahre lang falsch betrieben.
Haben Sie, nachdem Sie mit zwölf aus Aserbaidschan nach Deutschland gekommen sind, noch auf Russisch geschrieben?
Nie wieder. Ich lese zwar immer noch auf Russisch und spreche Russisch, aber Schreiben ist für mich zu schwierig. Ich habe ehrlich gesagt mit den einfachsten grammatikalischen Regeln beim Schreiben Probleme.
Nervt Sie das, immer wieder als Paradebeispiel für gelungene Kulturintegration in Deutschland angeführt zu werden?
Nun ja. Es ist seltsam, dass es noch immer solch ein Thema darstellt.
Was sind Ihre Themen?
Auf jeden Fall ist es die Zugehörigkeit zu Gruppen, die mich fasziniert und ethnisch motivierte Gewalt. Und sonst weiß ich das noch nicht, ich hoffe, ich habe noch ein paar Jahrzehnte.
Wie wichtig ist das Lektorat in Ihren Texten?
Das Wichtigste überhaupt. Es ist eine Art Ehe. Meine bisherige Lektorin kennt mich so gut wie fast keine andere.
Haben Sie es als Frau schwieriger im Schreibbusiness? Wurden Sie schon mal aufgrund Ihres Geschlechts diskriminiert?
Es ist bei weitem nicht so schlimm wie im Theater, in der Literatur ist es harmloser, keine wirkliche Diskriminierung, sondern viel subtiler. Es beginnt schon bei dem Cover – was kriegen Frauen aufs Cover, was die Männer. Artikel, in denen es um Schriftstellerinnen geht, werden definitiv damit anfangen wie die Frau aussieht, was sie anhat und was sie sich zum Trinken bestellt. Das Aussehen ist sehr wichtig, aber das ist erst in den letzten Jahrzehnten so geworden. Man darf nicht zu gut aussehen, weil einem sonst unterstellt wird, dass man nicht schreiben kann.
„Ein glücklicher Mensch ist für die Literatur wertlos“, meinten Sie mal. Auch Ihr neues Buch ist harte Kost. Wieso sollten wir Bücher lesen, die uns potentiell unglücklich machen?
Es geht bei der Kunst nicht darum glücklich zu machen. Ein Glücksversprechen ist nicht Sache der Kunst. Es geht vielmehr um die Praktik des Perspektivwechsels, dass man sich durch ein Buch oder ein Gemälde in jemand anderen hineinversetzen kann. Und im besten Fall auf Gedanken kommt, die man bis jetzt noch nicht hatte. Das ist, was mich an Büchern fasziniert – und auch viel dankbarer als so ein kurzes Glücksgefühl. Ich habe nichts dagegen, mal die Gala durchzublättern, jedoch ist es nicht das, was einen auf Dauer erfüllt. Ein trauriges Buch hingegen kann sehr glücklich machen… aber vielleicht müsste man Glück erstmal definieren. Glück empfindet jeder anders. Was ist der Unterschied zwischen Erfüllung, Zufriedenheit und Glück? Es kommt auf den Menschen selber an – man muss eine Glücksfähigkeit in sich tragen, dazu in der Lage sein, selbst glücklich zu werden, alleine.
Wie würden Sie Ihr Buch „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ kurz zusammenfassen?
Wahrscheinlich geht es um die Besitzverhältnisse innerhalb einer Beziehung.
Leyla, der Hauptcharakter in Ihrem Buch, zeichnet sich ja auch immer wieder durch ihren Willen zu funktionieren aus. Gibt es da auch eine Parallele zu Ihnen?
Ja, da haben Sie vollkommen Recht, das ist genau das, was sie eigentlich ausmacht. Ich habe sehr viele Interviews mit Tänzern geführt um herauszufinden, wie man von sechs bis fünfunddreißig jeden Tag stoisch dieselben Übungen macht und alles für das Ballett opfert. Das ist wohl der Wille zu funktionieren. Ich habe alles übers Ballett gelesen, was ich dazu finden konnte und mir sehr viele Aufnahmen und Trainings angeschaut. Erst dann habe ich Leylas Figur konzipiert. Aber das ist keine Parallele zu mir.
Ich kann nicht über mich schreiben. Ich brauche etwas, das möglichst weit weg von mir ist. Ballett ist so ziemlich das Entfernteste, über das ich schreiben könnte.
Obwohl Sie selbst mal Tanzwissenschaften studiert haben.
Aber nur drei Wochen. Der schlimmste Studiengang der Welt. Ich bin eine absolute Bewegungs-legasthenikerin, ich schaffe es nicht mal im Fitnessstudio einem Zumbakurs zu folgen und es ist auch nichts, was mir Spaß macht.
Sie sprechen über Ihre Figuren wie reale Personen, mit allergrößter Selbstverständlichkeit.
Ja, das ist ein schizophrener Zustand. Sie sind real und mir nahe, aber nur in den Jahren, in denen
ich an ihnen arbeite. Zum Beispiel bei meinem ersten Roman: Ich kann gar nicht mehr sagen, was die Figuren motiviert hat oder nicht. Beim zweiten Buch ist es durch die Lesereisen noch präsenter. Nun habe ich neue Figuren. Es sind doch einige Jahre, die man mit selbst ausgedachten Figuren im eigenen Kopf verbringt. Ob das so gesund ist, weiß ich nicht.
Das Gespräch führte Dorina Marlen Heller