Sieben Medizinstudenten und ein angehender Historiker sorgen seit Oktober für frischen Wind in der Handschuhsheimer Landstraße. Der dritte Teil unserer Serie „An die Tür geklopft“
Bereits nach wenigen Minuten entbrennt eine Prestige-Diskussion, ob Zahnmediziner vollwertige Ärzte sind. „Sie sind schon tolerierbar“, scherzt die angehende Humanmedizinerin Monika, mit einem Augenzwinkern in Richtung der empörten Blicke am Tischende. Die Sticheleien werden jedoch nicht in der Mittagspause in der Feldmensa, sondern am Frühstückstisch einer WG in Neuenheim ausgetauscht.
Mit Anne, Caro, Theresa, Regina, Monika, Moritz und Flo sind gleich sieben der acht Bewohner Studenten der Human- oder Zahnmedizin. Allein David vertritt als zukünftiger Historiker die Geisteswissenschaften. „Von uns war das so nicht geplant, aber wir haben kein Mitspracherecht bei der Auswahl unserer Mitbewohner“, erzählt Theresa. Befürchtungen vor einem medizinischen Kollaps blieben unbegründet, denn die Halbgötter in Weiß trotzen dem Streber-Klischee. Statt lateinischem Fachvokabular lassen sie ihre legendären Partys für sich sprechen. „Beim letzten Mal waren fast 200 Leute hier“, prahlt David.
Raum zum Feiern gibt es genug. In der alten Villa an der Handschuhsheimer Landstraße gibt es neben den acht geräumigen Zimmern einen Kellerraum mit Tischkicker und einen Dachstuhl für unangekündigte Übernachtungsgäste. Überhaupt zeugen Kirchenfenster und Fototapeten von dem eigenwilligen Stil der Vormieter „Jörg und Renate“, die noch ab und zu Postkarten bekommen, inzwischen aber ausgewandert sind.
Über die neue Hausbewohner-Generation freuen sich auch die umliegenden Anwohner. „Bei unserer ersten Party standen unsere Nachbarn einmal mit einer Flasche Whiskey vor der Tür und haben mitgefeiert“, erinnert sich Anne. Mitgefeiert haben aber auch andere ungeladene Gäste, sodass am nächsten Morgen die Villa kaum wiederzuerkennen war: fehlende Türklinken, Blutanagramme an den Wänden und ein betrunkener Drogendealer auf dem Sofa. „Eigentlich war der ganz nett. Er hat sogar noch mit aufgeräumt“, lacht Theresa. Die Party-WG hat inzwischen einen so gefestigten Ruf, dass selbst Passanten inzwischen auf Verdacht vorbeischauen. „Manchmal klingelten nachts Leute und wollten Bier“ berichtet David.
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Unmut kommt nur selten auf. Die klassischen WG-Dramen spielen sich entweder in der Küche oder vor der Waschmaschine ab. Während ab und zu gekochtes Essen spurlos von der Herdplatte verschwindet, fehlen in der Waschküche am Ende des Monats Waschmarken. Die Knappheit ist jedoch das geringste Problem, denn pro Waschgang müssen die Studenten zwei Euro zahlen. „Am Anfang hat unser Vermieter sogar das Doppelte verlangt, weil er befürchtete, dass wir für unsere Kommilitonen Waschpartys veranstalten könnten“, erklärt Moritz.
Inzwischen sind die Portemonnaies der Nachwuchsakademiker so gebeutelt, dass sie überlegen, sich selbst eine Waschmaschine zuzulegen. Von dieser Investition könnte dann auch der zukünftige neunte Mitbewohner profitieren, denn mit der „Harry-Potter-Kammer“ unter der Treppe und einem verschlossenen Kellerzimmer existiert bereits Platz für ein neues WG-Mitglied. Einzig mutig sollte der Neuzugang sein, denn die Geister von Jörg und Renate – da sind sich die acht Bewohner einig – sind noch nicht ausgezogen. „Als wir eingezogen sind, ging nachts plötzlich das Licht an, weshalb ich immer mit Caro in einem Zimmer geschlafen habe“, erinnert sich Anne, die von allen als WG-Mutter bezeichnet wird. Trotz Kellergeruchs und teurer Wäsche – zumindest die medizinische Grundversorgung wäre für neue Mitbewohner schon gesichert.
von Greta Aigner und Felix Hackenbruch