In keiner anderen Situation im Alltag ist die Unterscheidung zwischen Frau und Mann noch so selbstverständlich wie beim Gang zur Toilette. Rock oder Hose schmücken die Tür. In Berlin natürlich pinkelt man schon lange unisex. Ist es Zeit für eine Klorevolution? Finn Lorenz arbeitet derzeit im „In&Out“ Beratungsprojekt für junge LGBT*-Menschen des Vereins „Lambda“ und ist dafür.
Toiletten im öffentlichen Raum. Für viele sind sie das „stille Örtchen“, ein Ort, an dem man dem Trubel dort draußen für einen Moment entgehen, durchatmen, sich frisch machen kann. Für andere gleicht der alltägliche Gang zur Toilette eher einem Spießrutenlauf – unter anderem für Menschen, die weder Frauen noch Männer oder die beides sind, oder für Menschen, deren Geschlechtsausdruck den mehrheitsgesellschaftlichen Bildern nicht entspricht. Ich bin einer davon, ich bin trans* und sehe mich nicht als Frau oder Mann.
Die folgenden Geschichten haben sich an meiner Uni abgespielt. Ich stehe in der Frauentoilette und wasche meine Hände. Im Spiegel sehe ich, wie eine Person den Toilettenraum betritt. Sie guckt mich an – bleibt stehen – guckt mich weiterhin an, der Blick wandert in Richtung meiner Brust – immer noch Verwirrung. Die Person geht langsam Schritt für Schritt rückwärts zurück zur Tür, wirft einen Blick auf das Symbol auf der Tür, erkennt das Frauensymbol – guckt mich an – schüttelt lachend den Kopf und geht langsam an mir vorbei aufs Klo.
Wieder auf der Frauentoilette. Ich bin gerade zur Tür herein und auf dem Weg zu den Klo-Kabinen. Eine Person kommt hinter mir durch die Tür, sieht mich, hält mich anscheinend für einen kleinen Jungen und sagt: „Du, Entschuldigung, aber das hier ist die Damentoilette!“ Ich sage nur: „Ich weiß“, versuche dabei möglichst gelassen zu wirken und bin es nicht. Ich lasse die Person mit einem verdutzten Gesichtsausdruck zurück und gehe in die Kabine.
Ich gehe durch den Flur und – zwar gewohnheitsgemäß, aber trotzdem sehr bewusst – auf die Frauentoilette. Ein Mann folgt mir, steht im Toilettenraum, wundert sich über die fehlenden Pissoirs, nimmt die anderen Toiletten-Besucher_innen wahr – und verlässt fluchtartig den Raum.
Okay, heute fühle ich mich mutig. Sehr mutig. Jap, ich trau mich, ich mach das jetzt – ich gehe zum ersten Mal in der Uni auf eine Männertoilette. Für die ganz große reicht mein Mut dann doch nicht, deswegen suche ich mir eine kleine in einem ruhigeren Flur aus. Mein Herz klopft, der Adrenalinspiegel steigt, aber ich bin fest entschlossen. „Einfach rein, niemanden angucken, schnell aufs Klo und wieder raus“, sag ich mir. Ich mache die Tür auf – und von drinnen kommt mir mein Kommilitone entgegen. „Oh shit.“ Ich sage: „Oh, hi!“ Er sagt: „Oh, hallo!“ und guckt verwirrt. Ich laufe rot an, husche schnell an ihm vorbei, rein in eine der Kabinen, Tür schnell hinter mir zu.
Diese und zahlreiche weitere Szenen sind für mich mittlerweile Anekdoten geworden, die schon viele Leute zum Lachen gebracht haben, und ich selbst lache mit. Mit Abstand fällt es mir leichter, mit solchen Erlebnissen humorvoll umzugehen. Aber bis zum heutigen Tag steigt mein Adrenalinspiegel, sobald ich auf eine öffentliche Toilette gehen muss. Frauentoiletten meide ich, weil ich dort in etwa 80 Prozent der Fälle angesprochen, ausgelacht oder mit verwunderten Blicken bedacht werde. Männertoiletten sind für mich nach wie vor mit Unbehagen besetzt. Was passiert, wenn mich wer als trans* erkennt? Was, wenn jemand aggressiv oder handgreiflich wird? Also gehe ich dort rein, gucke niemanden an, wechsle auf keinen Fall mit irgendwem ein Wort, damit meine hohe Stimme mich nicht „verrät“, und hoffe, dass vor den Sitzklos keine Schlange ist, in der ich längeren Musterungen ausgesetzt bin.
Ich bin damit nicht allein. Viele meiner Freund_innen sind trans*, genderqueer, transsexuell etc. und machen ähnliche Erfahrungen. Wir tauschen immer wieder die neusten Toilettengeschichten aus, denn wir haben alle viele davon zu erzählen. Wir tauschen uns auch über Strategien aus, wie wir auf Blicke und Sprüche reagieren können. Was andere Personen als „Genderwahn“ abtun, ist unser Alltag und unsere Lebensrealität.
Gerade an Unis gibt es meistens sehr viele Toiletten. Warum nicht zumindest ein paar davon zu Unisex-Toiletten erklären? Gerne mit „Alle Geschlechter willkommen“-Schildern und ohne die übliche Frauen- und Männertoiletten-Symbolik, um mehr als nur die beiden gesellschaftlich anerkannten Geschlechter, Frau und Mann, anzusprechen. Das wäre ziemlich cool!