Freudenhäuser, Massagesalons, Escort-Service: Hinter der Heidelberger Romantik verbirgt sich eine ungeahnte Welt. Auf der Suche nach dem Verruchten.
Es fühlt sich verboten an. Ich gehe durch den Flur, die Türen sind rot beleuchtet. Manche sind verschlossen, andere stehen offen. Eine groß gewachsene, stark geschminkte Blondine in Corsage und High Heels lehnt im Türrahmen und verfolgt mich mit ihrem Blick. Für gewöhnlich gehen Freier durch diesen Flur, betrachten die Damen, die in den Rahmen stehen oder sitzen, wählen eine aus, die Tür schließt sich. Nun bin ich die Beobachtete; ein seltsames Gefühl.
In einem der Zimmer treffe ich Inge*. Die ehemalige Friseurin war im Alter von 27 Jahren durch eine Freundin an die Prostitution herangeführt worden. Sie arbeitet täglich acht bis zwölf Stunden in diesem Zimmer. Ich befinde mich im Bordell „Bienenstock“. Vielen dürfte es noch als „Eros-Center“ ein Begriff sein. Seit vielen Jahren eröffnet das schäbige Gebäude den Eingang zur heutigen Bahnstadt am Czernyring. Nun zog das Bordell in ein großes, sauber-weißes Bahnstadthaus in der Eppelheimer Straße. „Öko-Puff“, das weltweit erste Öko-Bordell, nennt es sich jetzt, da es in einem Passiv-Haus angesiedelt ist. Es musste den Modernisierungsmaßnahmen der Stadt weichen. „Als Auftakt zum Aushängeschild Bahnstadt machen sich dieses Gebäude und auch dieses Gewerbe nicht sehr gut“, sagt der Betreiber des Bahnstadt-Bordells augenzwinkernd.
Dem Umzug ging eine längere Auseinandersetzung zwischen Stadt, Betreiber und Hauseigentümer voran, der in den regionalen Medien einige Beachtung zuteil wurde. Sonst schafft es das Rotlicht-Gewerbe in Heidelberg selten in die Schlagzeilen. Zuletzt erregte 2009 ein Bordellbetrieb öffentliche Aufmerksamkeit: Die Schließung des ehemaligen „Pussy Clubs“ in Rohrbach geriet damals sogar deutschlandweit in die Presse. Das Freudenhaus gehörte einer Kette an, die Freiern für 70 Euro sogenannten „Flatrate-“, also unbegrenzt viel, Sex anbot. Dabei konnten sie unter den 50 bis 100 Prostituierten frei wählen und bekamen obendrein gratis Getränke. Doch das war nicht der Grund der Schließung. Tatsächlich wurde die Betreiberin verhaftet, weil sie Sozialversicherungsbeiträge der Frauen hinterzogen hatte.
Wo damals der „Pussy Club“ residierte, steht nun der nicht minder kritisch beäugte „25 Euro Club“. Der Name ist Programm: In knalligem Pink wirbt die Website mit Tiefpreisgarantie. Außerdem gibt es Gruppenrabatte und Tagesmottos wie zum Beispiel das Mittwochsangebot: „Erlebe deine Fantasien und Träume während eines unvergesslichen Gang Bang mit willigen und heissen Teeny Mädchen!!!“
„Bienenstock“ und „25 Euro Club“ sind nicht die einzigen Rotlicht-Angebote in der Stadt. Die „Agentur May“ aus Rohrbach wirbt in elegantem Schwarz mit Wellness-Atmosphäre; in diversen Wohnungen kann man bei richtigem Klingelsignal erotische Massagen erwerben. „Heidelbergladies.de“ bietet online privat buchbare Hostessen, Masseurinnen und SM-Künstlerinnen. So entfernt das Milieu im sauber schönen Heidelberger Leben scheint, so präsent und distanzlos offenbart es sich im Internet. Die Stadt spricht von 14 bekannten, hier ansässigen Prostitutionsbetrieben.
Bis heute gibt es in Heidelberg allerdings keine Einrichtung für ratsuchende Prostituierte. Blickt man hingegen nach Mannheim, findet sich dort seit 2013 die Beratungsstelle „Amalie“. Dort werden Frauen, die zum Beispiel gesundheitliche Probleme oder Schulden haben, die Gewalt erlitten oder mit plötzlicher Schwangerschaft umgehen müssen, betreut und begleitet. Julia Wege ist Sozialarbeiterin und Gründungsmitglied von „Amalie“. „Geld ist die Hauptmotivation für den Einstieg ins Gewerbe“, sagt sie. Viele der Frauen hatten sich in wirtschaftlicher Not oder Unzufriedenheit befunden und suchten aus diesem Grund die Nähe zum Milieu.
Armutsprostitution spielt insbesondere bei Zuwanderinnen aus Rumänien und Osteuropa, derer es in Mannheim viele gibt, eine große Rolle. Meist finanzieren sie über die Sexarbeit ihre Familien in der Heimat. Inge kommt aus Deutschland. „Als Friseurin verdient man ja nichts“, sagt sie und zuckt mit den Achseln. Nun sind es schon zwölf Jahre, die sie im Gewerbe tätig ist. In einem halben Jahr, mit 40 Jahren, will sie aufhören. „Allgemein bietet Prostitution keine langfristige wirtschaftliche Überlebenschance“, berichtet Julia Wege. „So leicht der Einstieg, so schwierig und langwierig der Ausstieg.“ Nur wenige Frauen hätten ein soziales Umfeld oder Hilfe von außerhalb des Milieus. Für Inge gibt es dieses Umfeld: „Ich habe ja einen Beruf gelernt, da kann ich immer wieder zurück.“
So leicht der Einstieg, so schwierig und langwierig der Ausstieg
Neben dem Ausstieg berät „Amalie“ auch in Gesundheitsfragen. Wolfgang Heide, Heidelberger Frauenarzt, ist ehrenamtliches Mitglied. Er führt Gesundheitsuntersuchungen wie auch -beratungen durch und bietet den Frauen an, sie in seiner Praxis zu behandeln. Ein großer Teil der Damen ist weder kranken- noch sozialversichert. „Körperlich ist es für viele Frauen so, als würden sie ständig vergewaltigt“, erklärt er. Manche Frauen leben in einem Umfeld von Gewalt, Missbrauch und Drogen. Nicht zuletzt besteht die Gefahr psychischer Traumata. Besonders von einem Phänomen berichtet Heide: Abspaltung der Gefühle beim Sex mit Freiern, um das Erlebte zu ertragen. „Dissoziation ist eine Form von Selbstschutz.“ So die individuellen Beobachtungen aus der Beratungsstelle.
Allgemeine Aussagen und Bewertungen zum Rotlicht-Gewerbe lassen sich kaum treffen. Das hat mehrere Ursachen: Eine liegt in der grundsätzlichen Bewertungsfrage, ob das Geschäft mit Sex kategorisch abzulehnen sei. Eine solche Entscheidung würde das Milieu in die Illegalität drängen und damit der behördlichen Kontrolle entziehen. Beantwortet man die Frage hingegen mit „nein“, verbleibt eine schattierte Skala an möglichen Arbeits- und Lebensbedingungen, die mehr oder minder zu Gunsten oder Ungunsten der Frauen ausfallen. Mit diesem Spannungsfeld kämpft auch die Politik.
Durch den Erlass des Prostitutionsgesetzes von 2002 wurde der Schritt aus der rechtlichen Grauzone heraus in grundsätzliche Legalität gemacht. Nun steht seit zwei Jahren eine Reform zur Diskussion, die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgeschrieben ist. Kontrollmöglichkeiten durch das Ordnungsamt sollen verbessert, Zwangsprostitution eingedämmt werden. Die Basis der Diskussion ist dünn, da es zu Prostitution in Deutschland nur wenige Daten gibt. Das Geschäft wird von manchen Frauen hauptberuflich bestritten, andere üben es lediglich als Nebentätigkeit aus. Die Frauen ziehen häufig um, weil der „Markt“ Abwechslung verlangt. Davon berichtet auch Inge: „Wo man sich wohl fühlt und Geld verdient, bleibt man. Wenn ich nichts mehr verdiene, ziehe ich weg.“
Daneben gibt es das illegale Feld: Frauen in Verbindung mit Menschenhandel oder Zuhälterei. All das führt zu einer nicht abschätzbaren Dunkelziffer, die die Wissenschaft nur spärlich aufarbeitet. „Bei Prostitution handelt es sich um einen Tabubereich, der verrucht und intim ist. In der Fachöffentlichkeit fehlen entsprechend Reputation und Geldgeber“, bedauert Julia Wege. Die Beratungsstation „Amalie“ arbeitet auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Martin Albert, Professor für Soziale Arbeit an der SRH-Hochschule, begleitet das Projekt. Durch Expertenbefragung, Raum- und biographische Analyse verschafft er mit seinen Studenten einen Überblick über Ursachen und Auswirkungen des Milieus im Raum Mannheim/Neckarstadt. „Jede Stadt braucht ein anderes Angebot“, erklärt er. In Heidelberg ist das Gewerbe dezentralisiert: Statt eines Straßenstrichs gibt es viele Terminwohnungen. Das hemmt die Konzentration von Problemen an einem bestimmten Standort.
Dennoch bedeutet Unauffälligkeit nicht zwangsweise, dass keine Beratung Not tut. Laut Albert und Wege benötigt eine Stadt der Größe Heidelbergs auch eine Anlaufstelle für Prostituierte. Die Arbeit der Polizei konzentriere sich auf Kriminalität. Darüber hinausgehende Probleme sowie Delikte, die nicht zur Anzeige gebracht werden und Schwangerschaften – all dem könne erst durch eine Beratungsstelle begegnet werden. „Es ist schwierig, in Gesellschaft und Politik Gehör zu finden“, erklärt Wege. „Wenn man nichts hört und sieht, möchte man das nicht zum Thema machen. Die Stadt wirbt lieber mit anderen Sachen.“
Prostitution findet in Heidelberg im Verborgenen statt. Der Bienenstock gewährte einen leisen Einblick: „Das läuft hier ähnlich wie in einem Hotel“, beschreibt der Betreiber. Die Damen mieten sich auf einige Wochen oder Monate in die Zimmer ein, Verpflegung inklusive. Sie arbeiten selbstständig und auf eigene Rechnung. Innerhalb des Hauses gibt es Preisabsprachen, um Dumping zu vermeiden. Der Betreiber schreibt lediglich einige Regeln vor: Ein Mindestalter von 21 Jahren, kein Sex ohne Kondom und regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen. Im Gegenzug gewährt der Betrieb einen Sicherheitsdienst, Video-überwachung von Parkplätzen, Fluren und Treppenhäusern sowie Notalarmknöpfe auf jedem Zimmer. Hin und wieder ist das auch notwendig, wenn betrunkene Jugendliche oder aufdringliche Freier Probleme bereiten.
So sitze ich in dem großen hellen Aufenthaltsraum und beobachte auf dem Monitor, wie im Tageslicht alle paar Minuten Männer ein und aus gehen. Einer schlendert selbstsicher von Tür zu Tür. Er verweilt, zieht weiter, begutachtet erst alle drei Stockwerke sorgsam, bevor seine Wahl fällt. Ein anderer steht unsicher im Treppenhaus, die Hände in den Haaren vergraben. Er macht einen halben Schritt auf die Tür zum Gang zu und kehrt ihr dann doch beschämt den Rücken. Durch eben jene Flure begleite nun ich den Betreiber. Bei Tag leuchtet der rote Schein nur matt. Im typisch leeren, weißen Bahnstadt-Stil gebaut scheint alles noch steril und neu.
Zurück im Aufenthaltsraum drückt mir der Betreiber ein kleines Glas Honig mit dem „Bienenstock“-Logo in die Hand. „Als Andenken“, sagt er grinsend.
* Name von der Redaktion geändert
von Christina Deinsberger